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Familie: Warum Großeltern so wichtig sind

Die Oma mütterlicherseits ist zwar oft der Liebling. Aber »entscheidend is' auf'm Platz«, lautet die ermutigende Botschaft für Großeltern – eine von vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Großelterndasein, die Anton A. Bucher, Professor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg, in seinem neuen Buch »Lebensernte. Psychologie der Großelternschaft« schildert. Der 58-Jährige hat selbst sechs Kinder und drei Enkelkinder. Wir fragten den gebürtigen Schweizer: Was ist das Besondere an der Beziehung zwischen Kindern und ihren Großeltern?
Großvater und Enkelsohn spielen das chinesische Schachspiel Xiangqi

Herr Professor Bucher, sind Sie Großvater?

Ja, seit 16 Jahren! Ich habe zwei Enkel und eine Enkelin.

Was machen Sie am liebsten mit ihnen?

Gemeinsame Ausflüge, die Festtage miteinander verbringen, einfach mal zusammensitzen und erzählen. Ich höre ihnen gerne zu. Einer der beiden Jungs wohnt wie ich in Salzburg; wir treffen uns auch manchmal im Alltag und gehen ein Eis essen. Die Enkelin ist vier und lebt leider ein paar hundert Kilometer entfernt.

Anton A. Bucher | Professor für Religionspädagogik am Fachbereich Praktische Theologie der Universität Salzburg.

Viele Großeltern wohnen heute weit weg von ihren Enkeln. Fehlt den Kindern dann etwas?

Tatsächlich ist das nicht der Fall. Die meisten Kinder fühlen sich ihren Großeltern auch dann verbunden, wenn sie sie selten sehen. Es wohnen außerdem weit mehr Großeltern nah bei ihren Kindern, als man gemeinhin vermutet. Nur jedes fünfte Enkelkind in Deutschland lebt von seinen Großeltern weiter als eine Stunde Fahrzeit entfernt. In England etwa können sogar 45 Prozent der Großeltern ihre Enkel zu Fuß erreichen. Nur für Migrantenkinder sieht die Situation anders aus. Viele halten den Kontakt dann aber per Handy.

Wenn es von Geburt an keinen Opa und keine Oma mehr gibt: Was halten Sie davon, eine Oma oder einen Opa zu adoptieren?

Wenn es der Herzenswunsch eines Kindes ist: in Ordnung. Ansonsten wäre ich eher skeptisch. Wenn Kinder von Geburt an ohne Großeltern aufwachsen, ist das für sie selbstverständlich. Was nie da war, vermisst man nicht.

Können Großeltern ihren Enkelkindern etwas geben, was diese bei anderen Menschen nicht finden?

Für viele Kinder sind die Großeltern der Schlüssel zur Familiengeschichte. Kinder wollen wissen, wo sie herkommen, wo ihre Familie herkommt. Darüber hinaus hat die ältere Generation eine ausgleichende Funktion. Erziehen Eltern ihre Kinder streng, sind die Großeltern nachsichtiger. Und ebenso umgekehrt: Neigen Eltern zum Laisser-faire, verhalten sich Großeltern erzieherischer. Nicht zuletzt betrachten Kinder Oma oder Opa häufig als Vorbild, zum Beispiel dafür, wie sie selbst einmal sein möchten, wenn sie alt werden. Die Großeltern stehen bei Kindern häufig auf Rang zwei in der Liste der Vorbilder, direkt nach den Eltern. In einer unserer Studien würdigten von 630 österreichischen Schülern und Schülerinnen 70 Prozent ihre Großeltern als vorbildhaft.

Lieblingsgroßeltern

Wie wird man denn zur Lieblingsoma oder zum Lieblingsopa?

Indem man viel gemeinsam unternimmt. Eine große Entfernung ist da natürlich von Nachteil. Aber unabhängig davon ist der Liebling der Kinder am häufigsten die Oma mütterlicherseits. Im Mittelfeld folgen der zugehörige Opa und die Oma väterlicherseits und an letzter Stelle der Opa väterlicherseits. Nicht dass das falsch ankommt: Die Enkelkinder mögen ihn auch, nur steht er weiter unten auf der Beliebtheitsskala.

Woran liegt das?

Wahrscheinlich daran, dass sich Männer der Verwandtschaft mit ihren Enkelkindern weniger gewiss sein können als Frauen. Die Oma mütterlicherseits kann davon ausgehen, dass sie 25 Prozent der Gene mit ihren Enkelkindern teilt. Und es zeigt sich, dass sie im Schnitt tatsächlich fürsorglicher ist und mehr Zeit mit ihnen verbringt als alle anderen Großeltern. Allerdings können sich Väter ihrer Vaterschaft weitaus sicherer sein als gemeinhin angenommen. Es gibt gar nicht so viele Kuckuckskinder; die Schätzungen schwanken zwischen 1,7 und 3,7 Prozent.

Jugendliche und ihre Großeltern

Eine britische Studie unter rund 1500 repräsentativ ausgewählten Kindern zwischen 11 und 16 Jahren zeigt: Sie standen ihren Großeltern näher, je häufiger sie Kontakt hatten. Die Eltern fungierten als »Gatekeeper«: Je besser deren Verhältnis zu den Großeltern, desto involvierter waren diese im Leben ihrer Enkelkinder. Keine Rolle spielte die Familienkonstellation, also ob die Kinder bei beiden Eltern, bei allein erziehenden oder mit Stiefeltern aufwuchsen.

Heute haben viele Kinder angeheiratete Stiefomas und -opas. Macht das einen Unterschied für die Beziehung?

Das Thema wurde in der Forschung lange vernachlässigt. Stiefgroßeltern können ihre Rolle ebenso gut erfüllen. Es kommt aber darauf an, wann sie in die Familie eintreten. Wenn ein Kind von klein auf mit ihnen aufwächst, dann sind sie einfach Oma und Opa, und die Beziehung ist nicht anders als die zu den übrigen Großeltern. Kommen Stiefgroßeltern später hinzu, hängt die Beziehung von einigen anderen Faktoren ab. Wenn zum Beispiel eine Scheidung vorausgeht und es Spannungen in der Familie gibt, tun sich die Enkel eher schwer, die neuen Familienmitglieder zu akzeptieren.

Worüber streiten sich Eltern und Großeltern am häufigsten? Viele Eltern meinen ja, ihre Kinder würden bei Oma und Opa zu sehr verwöhnt …

In den meisten Familien gibt es keinen Streit mit den Großeltern. Wenn doch, dann dreht er sich zwar oft darum, wie viele Süßigkeiten die Kinder essen dürfen. Oma und Opa sind in solchen Dingen großzügiger. Aber solche Differenzen werden oft übertrieben. Meist sind sich die Generationen grundsätzlich einig, denn wenn die Eltern ihre Kinder gesundheitsbewusst ernähren wollen, teilen die Großeltern diese Werte oft. Die meisten sehen ihre Rolle darin, für ihre Enkel da zu sein, sich aber nicht in die Erziehung einzumischen.

Homosexuelle Großeltern

In Mitteleuropa klaffen bezüglich der Großelternschaft in GLBT-Familien (gay, lesbian, bisexual, transsexual) viele Wissenslücken. Eine aktuelle Befragung von 171 älteren Schwulen in Hamburg brachte aber zu Tage, dass 45 Prozent jener, die schon Großväter waren, mit der Beziehung zu ihren Enkeln sehr zufrieden sind. Lesbische Großmütter sind dies noch häufiger (79 Prozent).

(Auszug aus dem Buch »Lebensernte« von Anton A. Bucher, erschienen bei Springer 2019)

Unterscheiden sich die Verhaltensweisen je nach Familienkonstellation?

Eine Pionierstudie aus den 1960er Jahren fand fünf Typen von Großeltern: am häufigsten die »Formellen«, die vor allem an Weihnachten und Geburtstagen zu Besuch kommen und Geschenke mitbringen, und die »Spaßsuchenden«, die sich als Kumpel verstehen und mit ihren Enkelkindern etwas erleben wollen. Etwas seltener gab es die »Bewahrer«, meist Opas, die spezielle Fähigkeiten und Einsichten vermitteln, und die »Distanzierten«, die sich nur wenig für ihre Enkel interessieren. Und schließlich die »Ersatzeltern«, die die Rolle der Eltern übernehmen, wenn diese gestorben sind, im Gefängnis sitzen oder anderweitig nicht in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern. In Mitteleuropa wachsen höchstens zwei bis drei Prozent der Kinder bei den Großeltern auf; in den USA sind es hingegen schon fast zehn Prozent. Studien zeigen aber, dass das für die betroffenen Kinder kein Nachteil sein muss – es sei denn, die Elternrolle ist für die Großeltern mit zu viel Stress verbunden.

Eine weitere Konstellation wäre, dass die Eltern keinen Kontakt zulassen.

Das ist zwar ein seltenes, aber besonders belastendes Problem: wenn die Großeltern ihre Rolle als solche nicht wahrnehmen dürfen. Dazu kommt es manchmal, wenn eine Ehe zerbricht und ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat, meist die Mutter. Im schlimmsten Fall lässt sie dann die Eltern des Vaters für die gescheiterte Beziehung büßen. Für Großeltern ist es schrecklich schmerzhaft, auf diese Weise den Kontakt zu den Enkelkindern zu verlieren.

In der Regel ist es ja andersherum: Die Enkelkinder müssen irgendwann für immer von ihren Großeltern Abschied nehmen. Wenn Oma oder Opa im Sterben liegen, sollte man Kinder an ihr Bett lassen, sofern sie das möchten?

Viele Kinder sind in dieser Situation das erste Mal mit Tod und Vergänglichkeit konfrontiert. Um 1900 haben Kinder oft überhaupt nur einen Großvater oder eine Großmutter kennen gelernt; die anderen waren schon vor ihrer Geburt gestorben. Mein Rat ist, Kinder nicht auszuschließen. Es bringt nichts, ihnen etwas vorzuspielen oder den Tod zu verleugnen: Sie spüren ohnehin, dass etwas nicht in Ordnung ist. Danach mit den trauernden Kindern umzugehen und gemeinsam zu trauern, gehört zu den Aufgaben des Elternseins. Die Trauer ist oft sehr massiv, das ist unvermeidlich. Aber der Tod ebenfalls, er gehört zum Leben, zur »condition humaine«, der Natur des Menschen. Neben der Trauer erleben viele Kinder auch ein Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber ihren Großeltern.

Kann man den Kindern diese Erfahrung auch dann zumuten, wenn sie noch sehr jung sind, vielleicht nicht einmal zur Schule gehen?

Ich kann mich erinnern, wie mein Großvater gestorben ist. Ich war drei, vier Jahre alt. Es würde mir etwas im Leben fehlen, wenn ich davon ausgeschlossen worden wäre.

Wie möchten Sie selbst in Erinnerung bleiben?

Ich hoffe, meinen Enkeln dieselben Werte weitergeben zu können, die meine Großeltern vorgelebt haben: Fleiß, Anstand, Freundlichkeit, Nächstenliebe. Sie waren gelassener als meine Eltern und sehr großzügig. Und sie haben mir gezeigt, wie man im Alter eine gute Beziehung leben kann.

Haben Sie etwas von Ihren Großeltern bewahrt oder besondere Erinnerungen an sie?

Erzählen möchte ich dazu etwas aus der Herkunftsfamilie meiner Frau. Das Haus der Großmutter wurde im Krieg von einer Bombe getroffen. Sie ist noch einmal ins brennende Haus gerannt, um ihre Lieblingspuppe zu retten. Diese Puppe haben wir noch, sie ist uns heilig, hält die Familie zusammen. Und von meinen Großeltern ist das stärkste Bild, das ich im Kopf habe, der Tod meines Großvaters. Bevor er eingeschlafen ist, hat er noch einmal seine Augen geöffnet. Sie haben geleuchtet. Das vergisst man nie.

Herr Professor Bucher, herzlichen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Christiane Gelitz.

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