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Herzprobleme: Weiblich, herzkrank, unerkannt

Bei Herzproblemen sind Frauen oft schlecht versorgt, da sich viele medizinische Standards an Männern orientieren. Dabei unterscheidet sich die weibliche Herzgesundheit grundlegend: in der Anatomie, den Symptomen, den Risikofaktoren. Wie lässt sich die Behandlung von Frauen verbessern?
Eine Frau hält einen roten Faden an beiden Seiten fest, auf dem ein Papierherz balanciert. Der Hintergrund ist unscharf, und der Fokus liegt auf dem Herz.
Fein abgestimmt: Herzen von Frauen haben eigene anatomische Merkmale, ihre Gefäßwände reagieren anders auf Belastungen, Entzündungen und insbesondere auf hormonelle Veränderungen. Gerade nach den Wechseljahren steigt deshalb ihr Risiko für Herzkrankheiten deutlich.

Brustschmerz, der in den linken Arm ausstrahlt – das klassische Bild eines Herzinfarkts. Doch viele Frauen erleben einen Infarkt anders: Sie spüren den Schmerz im Bauch oder Rücken, leiden unter Schwindel, Übelkeit oder extremer Schwäche. Frauen überleben einen Herzinfarkt seltener als Männer; ihre Sterblichkeitsrate ist zwei- bis dreimal so hoch.

Zwar sind die unterschiedlichen Symptome eines Herzinfarkts bei Mann und Frau heute besser bekannt, andere gravierende Unterschiede in der Herzgesundheit aber nicht. Viele Herzleiden haben ihren Ursprung in geschädigten Blutgefäßen. Und genau hier zeigen sich bei Frauen grundsätzliche Besonderheiten: Ihre Arterien sind schmaler als die von Männern, ihre Gefäßwände reagieren anders auf Belastungen, Entzündungen oder hormonelle Veränderungen. Das beeinflusst nicht nur das Risiko, Herz- und Gefäßkrankheiten zu entwickeln – sondern auch, ob sie überhaupt rechtzeitig erkannt werden.

Die Gefäße von Frauen und Männern unterscheiden sich bereits sehr früh im Leben, wie eine Studie mit Zwillingen zeigt: In der Innenwand der Arterien variieren bei Jungen und Mädchen schon gleich nach der Geburt rund 20 Prozent der aktiven Gene. Daraus schließen die beteiligten Forscher vom University Medical Center Utrecht, dass manche geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Gefäßen nicht erst im Laufe des Lebens entstehen, sondern von Geburt an vorliegen. »Später kommen noch die Geschlechtshormone ins Spiel«, sagt Carolin Lerchenmüller, Professorin für Gendermedizin an der Universität Zürich und Kardiologin am Unispital Zürich. »Da werden die Unterschiede noch mal größer.«

Die häufigsten Herzprobleme und die meisten Herzinfarkte gehen auf verengte, umgangssprachlich »verkalkte« Gefäße zurück. Mediziner sprechen dann von Arteriosklerose – einer Erkrankung, die sich bei Frauen oft anders äußert als bei Männern und deswegen seltener rechtzeitig diagnostiziert wird.

Manche Unterschiede in der Herzgesundheit zwischen den Geschlechtern sind anatomisch bedingt. »Die Arterien sind bei Frauen schmaler als bei Männern«, sagt Sigrid Nikol, Chefärztin für Gefäßmedizin an der Asklepios Klinik Hamburg St. Georg und Professorin an der Universität Münster. »Je dünner aber die Gefäße sind, desto weniger starke Ablagerungen genügen, um diese so zu verengen, dass der Blutfluss behindert wird.«

Ursachen für Schmerzen in den Beinen

Bei manchen Frauen sind etwa die Beinarterien verengt. Viele spüren lange Zeit keine oder nur gelegentlich Symptome. Andere wiederum leiden vor allem beim Gehen unter Schmerzen in den Beinen, weshalb sie immer wieder stehen bleiben müssen, bis die Beschwerden nachlassen. Deshalb nennt man die Erkrankung auch Schaufensterkrankheit. Der medizinische Begriff lautet periphere arterielle Verschlusskrankheit (pVAK). Bei Frauen mit fortgeschrittener Arteriosklerose in den Gliedmaßen seien die Gefäße meist sehr viel stärker verengt als bei Männern, erklärt Nikol. Dennoch wird die Erkrankung bei ihnen seltener erkannt, da oft die klassischen Symptome fehlen. Zudem gilt sie bei vielen Ärzten immer noch als »Männerkrankheit«. Dabei sei das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen, so Nikol.

»70 bis 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen«Sigrid Nikol, Chefärztin für Gefäßmedizin

Sind die Beinarterien so stark verengt, dass das Gehen schwerfällt, kann ein Ballonkatheter helfen. Dabei wird meist über die Leiste, alternativ auch über Arm- oder Beinarterien, ein Ballon in das verengte Gefäß geschoben und in der Engstelle aufgepumpt, um das Gefäß zu weiten. In manchen Fällen wird zusätzlich ein Stent gesetzt, eine Art Hülse, die das Gefäß offen hält. »Dieser Eingriff ist bei Frauen wegen der dünneren und verkalkten Zugangsgefäße jedoch oft schwieriger als bei Männern«, erklärt Nikol. Außerdem verliefen die Arterien nach Jahren mit Bluthochdruck häufig in Schlangenlinien, was den Zugang zur Engstelle erschwert (siehe »Einfluss von Blutdruck und Hormonen«.)

Schmerzen in den Beinen haben bei manchen Frauen allerdings eine ganz andere Ursache: eine Verengung der Bauchschlagader. Betroffene leiden unter starken Beschwerden in den Beinen, die häufig in die Gesäßregion oder den Rücken ausstrahlen – und deshalb schwer zu diagnostizieren sind. »70 bis 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen«, sagt Nikol.

Einfluss von Blutdruck und Hormonen

Vor den Wechseljahren schützen die weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene) Frauen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie halten die Gefäße elastisch, senken den Blutdruck und bremsen arteriosklerotische Ablagerungen. Mit den Wechseljahren lässt dieser Hormonschutz jedoch nach. Das Risiko für einen Herzinfarkt steigt bei Frauen dann schneller als bei Männern.

Gleichzeitig verändert der Hormonumschwung die Fettverteilung im Körper und fördert besonders die Zunahme von Bauchfett. Dieses wirkt stoffwechselaktiv und setzt Hormone frei, die den Blutdruck zusätzlich erhöhen. Auch psychischer Stress und ein Anstieg des männlichen Hormons Testosteron können den Blutdruck in die Höhe treiben. Frauen über 65 leiden dann genauso häufig unter Bluthochdruck wie Männer, werden aber oft später diagnostiziert.

Schon leicht erhöhte Werte über 120/70 mmHg sollte man im Blick behalten. Bleibt Bluthochdruck lange unbemerkt, belastet der erhöhte Druck die Gefäßwände und das Herz dauerhaft. Dadurch steigt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall erheblich.

Frauenherzen schlagen anders

Auch das Herz unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern. Mit 250 Gramm wiegt ein Frauenherz deutlich weniger als ein Männerherz, das etwa 300 Gramm auf die Waage bringt. Um das auszugleichen, schlägt das kleinere Herz bei Frauen schneller und hat eine höhere Pumpleistung. Bei gesunden Frauen wird etwa 60 Prozent des Blutvolumens, das sich in der linken Herzkammer befindet, mit jedem Schlag in den Körper gepumpt. Bei Männern liegt dieser Anteil bei etwa 50 Prozent. Zudem sind die Herzkranzgefäße von Frauen meist feiner, was weitere Probleme mit sich bringt: »Wir sehen bei Frauen zwar auch Verengungen in den großen Herzkranzgefäßen«, sagt Carolin Lerchenmüller. »Aber bei Frauen treten sie häufiger in den kleinen Gefäßen auf als bei Männern.« Das erschwert die Diagnose, da gängige Methoden die Verengungen in den kleinen Gefäßen schlechter erfassen. »Wenn Frauen Herzbeschwerden haben und die Katheteruntersuchung unauffällig ist, sollten weitere Diagnoseverfahren erwogen werden, etwa eine Widerstandsmessung der Mikrogefäße«, rät die Kardiologin.

Bei Verdacht auf Herzprobleme absolvieren Betroffene meist zuerst ein Belastungs-EKG. Dabei misst der Arzt mit Elektroden, wie leistungsfähig das Herz bei körperlicher Belastung ist, etwa beim Strampeln auf dem Ergometer. Die Muskeln fordern durch die Belastung mehr sauerstoffreiches Blut, so dass das Herz stärker pumpen muss. Zeigt das Herz dabei eine Durchblutungsstörung, lässt sich dies am EKG erkennen. Doch bei Frauen sind die EKG-Ergebnisse oft weniger aussagekräftig als bei Männern. »Man hat lange nicht bedacht, dass Frauen eine geringere Muskelmasse besitzen. Ihr Muskeln ermüden oft, bevor man Durchblutungsstörungen am Herzen sieht«, sagt Vera Regitz-Zagrosek, Seniorprofessorin für Gendermedizin an der Charité Berlin und die Begründerin des Fachgebiets in Deutschland. Zudem sei bei großen Brüsten die Messung über Elektroden häufig nicht empfindlich genug.

»Wir sehen bei Frauen auch öfter andere Erkrankungen der Herzkranzgefäße und des Herzens, die mit dem Belastungs-EKG nicht gut diagnostiziert werden können«, sagt Regitz-Zagrosek. Dazu zählten neben Mikrozirkulationsstörungen Längseinrisse in den Herzkranzgefäßen und die so genannte diastolische Herzinsuffizienz. »Bei Letzterer kann sich der Herzmuskel nicht mehr so weit dehnen, dass er gut mit Blut gefüllt werden kann«, sagt sie. Diese Form der Herzschwäche trete bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Ärzte sollten deshalb bei Frauen andere Diagnosetechniken wählen. So könne man auch mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie Durchblutungsstörungen am Herzen erfassen, erklärt Regitz-Zagrosek. »Auf diese Methoden sollte man bei Frauen früher zurückgreifen, als das heute oft der Fall ist.« Welches bildgebende Verfahren sich in welchen Fällen am besten eignet, zeigt eine umfassende, interdisziplinäre Übersichtsarbeit.

Störfeuer im Herzen

Im gesunden Herzen arbeiten Vorhöfe und Herzkammern präzise zusammen: Zuerst kontraktieren die Vorhöfe und füllen die Kammern mit Blut, dann pumpen die Kammern es in den Körper. Gesteuert wird der Rhythmus durch elektrische Signale, die das Herz selbst erzeugt. Mit zunehmendem Alter oder durch Vorerkrankungen kann dieser Ablauf jedoch aus dem Takt geraten, es kommt zum so genannten Vorhofflimmern. Die elektrischen Impulse verlaufen dann unkoordiniert, die Vorhöfe ziehen sich nicht mehr effektiv zusammen, und auch die Herzkammern geraten aus dem Rhythmus und können das Blut nicht mehr mit voller Kraft durch den Körper pumpen. Mit steigendem Alter wächst das Risiko, daran zu erkranken. Bei unter 50-Jährigen ist deutlich weniger als ein Prozent betroffen, bei den über 60-Jährigen liegt der Wert bereits bei vier bis sechs Prozent. Ab 75 Jahren hat rund jeder Zehnte Vorhofflimmern.

»Vorhofflimmern tritt bei Frauen zwar nicht öfter auf, führt aber bei ihnen häufiger zu einem Schlaganfall«, sagt Regitz-Zagrosek. Der unregelmäßige Herztakt stört nämlich den Blutstrom, wodurch sich Gerinnsel bilden können, die über die Blutbahn ins Hirn gelangen. »Warum das bei Frauen öfter passiert als bei Männern, wissen wir nicht«, sagt Regitz-Zagrosek. »Aber deswegen muss man bei Frauen sorgfältiger als bei Männern darauf achten, dass sie wirklich gut medikamentös eingestellt sind.« Sie empfiehlt moderne Blutverdünner, so genannte neue Antikoagulanzien (Noac). Die Stoffe sollen Gerinnungsfaktoren daran hindern, sich zu verbinden, und damit Blutgerinnsel effektiv unterbinden. »Sie sind bei Frauen gut verträglich«, sagt Regitz-Zagrosek.

Ohne Hormonschutzschild ab den Wechseljahren

Viele Unterschiede, wie sich Herz- und Gefäßkrankheiten bei Frau und Mann ausprägen, lassen sich auf hormonelle Einflüsse zurückführen. Bei Frauen treten Herzprobleme vermehrt ab den Wechseljahren auf. »Östrogen schützt. Fällt in der Menopause die Östrogenkonzentration im Blut ab, kommt es verstärkt zu Erkrankungen an Herz und Gefäßen«, erklärt Lerchenmüller.

Doch was ist der Mechanismus dahinter? »Es gibt Rezeptoren für Sexualhormone, die epigenetische Veränderungen hervorrufen, sagt Regitz-Zagrosek. Diese chemischen Modifikationen steuern, ob Gene aktiv sind oder nicht. Studien zeigen, dass solche epigenetischen Prägungen bei Männern und Frauen unterschiedlich verlaufen und bestimmte Gene betreffen, die etwa Blutdruck, Herzmuskelstruktur oder Entzündungsprozesse beeinflussen. »Das verändert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen«, erklärt Regitz-Zagrosek. Der Östrogen-Schutzschirm sorgt dafür, dass Frauen im Schnitt später im Leben als Männer Herzbeschwerden entwickeln.

»Bei Schwangerschaftsvergiftung, -diabetes oder -bluthochdruck sollten behandelnde Ärztinnen und Ärzte aufmerksam sein«Carolin Lerchenmüller, Kardiologin

Risikofaktoren für Herzprobleme bei Frauen

Ein Problem in der medizinischen Praxis ist, dass Ärzte zu selten spezifisch weibliche Risikofaktoren für Herzerkrankungen erfragen. Und das, obwohl diese ähnlich gefährlich sind wie etwa Bluthochdruck, hohes Cholesterin oder Diabetes. Carolin Lerchenmüller ist überzeugt, dass Hausärzte oder Gynäkologen Frauen nach der Menopause auch bei Routineuntersuchungen immer auf Komplikationen in der Schwangerschaft ansprechen sollten. »Bei Schwangerschaftsvergiftung, -diabetes oder -bluthochdruck sollten behandelnde Ärztinnen und Ärzte aufmerksam sein.« Diese erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch viele Jahre nach der Geburt der Kinder.

Auch Endometriose zählt zu den Risikofaktoren. Bei jener chronischen Erkrankung wächst Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter, kann sich entzünden und dann starke Schmerzen verursachen. Eine Studie mit mehr als 60 000 Betroffenen legt nahe, dass Frauen mit Endometriose ein um 18 Prozent höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen besitzen. Als Ursachen werden chronische Entzündungen, hormonelle Einflüsse und eine durch Endometriose mitverursachte Schädigung der Gefäßfunktion diskutiert.

Bislang haben solche spezifisch weiblichen Risikofaktoren noch keinen Platz in den Leitlinien zur Herzmedizin gefunden. Dabei wäre es für Frauen ab den Wechseljahren besonders wichtig, beeinflussbare Risikofaktoren wie Blutdruck, -zucker und -fette möglichst gut zu überwachen und einzustellen, sagt Carolin Lerchenmüller. »Wichtig ist auch, nicht zu rauchen«, so die Kardiologin.

Doch nicht nur Risikofaktoren unterscheiden sich – sogar die Wahrnehmung von Symptomen verläuft bei Frauen anders als bei Männern. »Bestimmte Schmerzen werden bei Männern über andere Zelltypen wahrgenommen als bei Frauen«, sagt Regitz-Zagrosek. »Bei der Schmerzwahrnehmung und -weiterleitung gibt es eindeutige biologische Unterschiede.«

In der Kommunikation zeigen sich ebenfalls Differenzen, etwa bei einem Herzinfarkt. »Die großen Unterschiede in der Symptomatik kommen vermutlich auch daher, dass Männer und Frauen ihre Beschwerden anders schildern«, sagt Regitz-Zagrosek. Zudem halten sich Frauen oft zurück: »Wir haben in einer Studie Frauen mit Herzinfarktrisiko die Fälle von Menschen vorgelegt, die ein ähnliches Risiko hatten«, sagt Regitz-Zagrosek. »Die Probandinnen sahen bei Fremden deutlich das Risiko – nicht aber bei sich selbst.« Dabei kann im Notfall jede Minute zählen. »Leider warten Frauen länger, bis sie den Notruf wählen«, sagt Carolin Lerchenmüller. »Mein Appell: keine Angst vor einem Fehlalarm. Besser einmal umsonst den Notruf gewählt als einmal zu wenig.«

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