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Schwangerschaft: Hebamme verzweifelt gesucht

Viele Schwangere tun sich schwer damit, eine Hebamme zu finden, die sie vor der Geburt und im Wochenbett betreut. Um die Situation zu verbessern, muss sich nicht nur an der finanziellen Lage von Hebammen etwas ändern.
Neugeborenes in den Händen von Vater und Mutter

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind große Herausforderungen im Leben einer Frau. Schon in der Antike suchte sie sich deshalb in dieser Zeit die Unterstützung einer Hebamme. Heute ist der Anspruch auf Hebammenhilfe in Deutschland gesetzlich geregelt – während der Schwangerschaft sowie bei der Entbindung und bis zu zwölf Wochen danach. Dennoch mehren sich Meldungen, in denen Mütter davon berichten, keine Hebamme gefunden zu haben, die sie nach der Geburt zu Hause im Wochenbett betreut, oder dass sie – schon in den Wehen – von einem überfüllten Krankenhaus abgewiesen worden seien. In den Medien ist deshalb inzwischen von einem regelrechten »Hebammenmangel« die Rede.

Wie groß dieser Mangel tatsächlich ist, ist schwer zu sagen. »Wir wissen nicht genau, wie viele Hebammen in Deutschland praktizieren und welche Leistungen sie anbieten«, erklärt Nicola Bauer, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Es existieren lediglich Schätzungen, etwa auf Basis von Zahlen des Statistischen Bundesamtes und der Gesundheitsämter.

Der Deutsche Hebammenverband e. V. berichtet für das Jahr 2017 von insgesamt etwa 24 000 Hebammen. Einige sind an Kliniken fest angestellt (mehr als 70 Prozent in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt), andere arbeiten freiberuflich. Manche sind sowohl angestellt als auch freiberuflich tätig. Während manche freiberufliche Hebammen Hausbesuche während Schwangerschaft oder Wochenbett machen, führen andere Geburtsvorbereitungs- oder Rückbildungskurse durch, wieder andere begleiten Frauen bei Hausgeburten oder Entbindungen im Geburtshaus. Das große Tätigkeitsspektrum erschwert es, die Verfügbarkeit einzelner Angebote abzuschätzen. »Wie gut wir insgesamt mit Hebammenhilfe versorgt sind, können wir nur eingeschränkt sagen«, fasst Nicola Bauer zusammen.

Versicherung steigt ins Unermessliche

Die einzige deutschlandweite Studie zum Thema stammt aus dem Jahr 2012 und hat ausschließlich die Situation freiberuflicher Hebammen untersucht. Mitarbeiter des Forschungsinstituts IGES trugen dafür im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums unter anderem Daten von Krankenkassen, Abrechnungszentren und Berufsverbänden zusammen und befragten etwa 3600 Hebammen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung in Deutschland überwiegend gewährleistet zu sein scheint.

Zu diesem Zeitpunkt lag der Fokus auf den stark gestiegenen Haftpflichtprämien für freiberufliche Hebammen, die Geburten begleiten. Während die Prämien 1981 noch bei 30,68 Euro lagen, werden sie dem Deutschen Hebammenverband zufolge im Jahr 2020 mehr als 9000 Euro betragen. Als Reaktion darauf hat der Gesetzgeber bereits 2015 einen so genannten Sicherstellungszuschlag beschlossen: Maximal rund 6000 Euro können sich Hebammen seitdem als Ausgleich von den gesetzlichen Krankenkassen erstatten lassen.

Schon die erwähnte Studie aus dem Jahr 2012 sieht allerdings ein Problem an anderer Stelle: Häufig gab es mehr Nachfrage nach einer Wochenbettbetreuung, als die Hebammen befriedigen konnten. Im Wochenbett besuchen Hebammen Mütter und ihre Neugeborenen zu Hause, überwachen die Erholung der Mutter und das Wachstum des Kindes, beraten zu Themen wie Säuglingspflege und Stillen. Die Kosten tragen die gesetzlichen Krankenkassen.

»Immer mehr Frauen wissen, dass ihnen die Hebammenversorgung zusteht«
Nicola Bauer, Hebammenwissenschaftlerin

Eine Hebamme dafür zu finden, scheint in Deutschland unterschiedlich schwer zu sein, wie weitere Studien zeigen. Zwischen 2015 und 2019 hat etwa das Forschungsinstitut IGES die Hebammenversorgung in mehreren Bundesländern (Thüringen, Bayern, Sachsen-Anhalt, Sachsen) für die Landesministerien untersucht. Dabei gab in Bayern mehr als jede vierte Mutter an, dass sie Schwierigkeiten hatte, eine Hebamme zu finden, die sie in der Schwangerschaft oder im Wochenbett betreut.

In Sachsen berichtete jede zehnte Mutter von solchen Problemen, in Thüringen waren es nur sieben Prozent. Letztlich aber fanden fast alle Mütter doch noch eine Hebamme für die Wochenbettbetreuung, ergaben die IGES-Befragungen. Auch in einer aktuellen Studie, die ein Team um Nicola Bauer für das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen anfertigte, konnten nur rund drei Prozent der Frauen keine Hebamme finden, obwohl sie sich eine Betreuung gewünscht hätten.

Andere Untersuchungen deuten hingegen darauf hin, dass die Versorgungslage deutlich schlechter sein könnte: Einem Report der AOK Rheinland/Hamburg zufolge wurde 2016 in Nordrhein-Westfalen nur rund jede zweite Familie nach der Geburt zu Hause begleitet. Ein Bericht der Gesundheitsbehörde in Hamburg kam 2015 für die Hansestadt zu einer ähnlichen Einschätzung.

»Bildungsfernere Frauen haben vermutlich einen erschwerten Zugang zu Hebammenhilfe, obwohl gerade diese sie besonders benötigen«
Nicola Bauer

»Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen«, sagt Nicola Bauer. An schriftlichen Befragungen wie denen der IGES oder der eigenen Studie aus Nordrhein-Westfalen nähmen erfahrungsgemäß eher gebildete und besser verdienende Frauen teil, die häufiger eine Betreuung fänden. »Bildungsfernere Frauen haben dagegen vermutlich einen erschwerten Zugang zu Hebammenhilfe, obwohl gerade diese sie besonders benötigen«, erklärt Bauer. Die AOK-Studie bestätigt, dass die Versorgung in hohem Maß von der sozialen Lage abhängt.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Hinzu kommen Unterschiede zwischen Stadt und Land. So hatten in München knapp 30 Prozent der Mütter in der IGES-Studie mehr als sieben Hebammen kontaktiert; auf dem Land erging es in Bayern nur knapp vier Prozent ähnlich. Auch die AOK-Auswertung aus Nordrhein-Westfalen ergab, dass in einigen Landkreisen 75 Prozent Frauen nachgeburtlich zu Hause begleitet wurden, in einigen Städten dagegen lediglich nur rund 30 Prozent.

Der Mangel wird vermutlich durch verschiedene Faktoren verursacht.So ist beispielsweise die Geburtenzahl in Deutschland zwischen 2009 und 2016 wieder kontinuierlich gestiegen. »Außerdem wissen immer mehr Frauen, dass ihnen die Hebammenversorgung zusteht«, sagt Nicola Bauer. Das steigert die Nachfrage.

»Das Wochenbett ist schlecht bezahlt, aber arbeitsintensiv«
Andrea Sturm, Hebamme

Gleichzeitig wird ein Hausbesuch in der Wochenbettbetreuung pauschal vergütet, egal ob dieser 20 Minuten oder eineinhalb Stunden dauert. »Das Wochenbett ist schlecht bezahlt, aber arbeitsintensiv«, meint Andrea Sturm, Hebamme und Vorsitzende des Hebammenverbands Hamburg. Der Ursprung dieses Problems liegt ihr zufolge im Jahr 2007. Seitdem verhandeln die Hebammenverbände die Gebühren für ihre Arbeit selbst mit den Krankenkassen. Eigentlich habe das Bundesgesundheitsministerium bereits zuvor eine Anhebung der Grundvergütung in drei Schritten geplant, sagt Andrea Sturm: »Es kam aber nur zu der ersten Anhebung.« Nun gingen die Verhandlungen mit den Krankenkassen von einer zu geringen Grundsumme aus. In der Folge »bekommen freiberufliche Hebammen viel zu wenig Geld für das, was sie leisten, und prozentual zur Entwicklung der Wirtschaft«, sagt sie weiter.

Auch bieten immer weniger Kliniken Unterstützung bei der Geburt an. Die Zahl der Krankenhäuser mit Geburtshilfe hat sich von 1186 Kliniken im Jahr 1991 auf 672 im Jahr 2017 fast halbiert. Unterschiedliche Gründe spielen bei der Schließung der Entbindungsstationen eine Rolle: Teilweise fanden an den Kliniken zu wenig Geburten statt, damit sie noch wirtschaftlich arbeiten konnten. Anderen Krankenhäusern fehlte das Personal.

Offenbar hat fast jede zweite Klinik Probleme, offene Hebammenstellen zu besetzen, ergab eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts 2016. Zwei Jahre zuvor fiel dies nur rund 20 Prozent der Kliniken schwer. Der aktuellen Studie aus Nordrhein-Westfalen zufolge arbeitet jede vierte befragte Hebamme in einem Kreißsaal, der im letzten Monat vorübergehend geschlossen wurde. Hauptgründe waren fehlendes Hebammenpersonal und zu wenig Räume. Die Folge: Schwangere weichen auf andere Kliniken aus.

»Die Arbeitsverdichtung hat extrem zugenommen«
Nicola Bauer

»Die Arbeitsverdichtung hat extrem zugenommen«, sagt Hebammenwissenschaftlerin Nicola Bauer. Das bestätigt auch eine Umfrage des Deutschen Hebammenverbands und des Marktforschungsinstituts Picker. Demnach kümmern sich rund 50 Prozent der Hebammen häufig um drei Frauen parallel, obwohl eine Leitlinie medizinischer Fachgesellschaften empfiehlt, dass eine Hebamme möglichst nur eine Gebärende zur gleichen Zeit betreuen sollte. Je höher die Arbeitsbelastung, desto eher dachten die befragten Hebammen daran, ihren Arbeitgeber zu verlassen.

Hebammen putzen den Kreißsaal

Der Umfrage zufolge berichten fast zwei Drittel, dass sie häufig oder ständig Aufgaben außerhalb des eigentlichen Arbeitsbereichs erledigen. »Sie arbeiten in der gynäkologischen Ambulanz mit oder müssen sogar den Kreißsaal putzen«, berichtet Bauer. Der Schichtdienst sei zudem sehr anstrengend und für Hebammen mit kleinen Kindern oder anderen Verpflichtungen in der Familie kaum zu leisten. Die Lösung scheint darin zu liegen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Doch wie lockt man mehr Hebammen an die Kliniken?

Der Deutsche Hebammenverband fordert ein Geburtshilfe-Stärkungsgesetz. Es soll Hebammen unter anderem von fachfremden Tätigkeiten befreien und sie dafür deutlich stärker in die Leitung und Organisation der geburtshilflichen Abteilungen einbinden. Dazu soll die Akademisierung des Berufs beitragen, die der Bundesrat Anfang November 2019 beschlossen hat. Zukünftig werden Hebammen an Hochschulen und Universitäten ausgebildet. Andrea Sturm erhofft sich dadurch langfristig, die Position der Hebammen im Kreißsaal zu stärken: »Hebammen werden Ärzten mit wissenschaftlichen Argumenten in nichts nachstehen«, sagt sie. Außerdem ließen sich Hebammen mit abgeschlossenem Studium tariflich besser eingruppieren.

Manche Kliniken gehen einen besonderen Weg, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. An 19 Standorten sind so genannte hebammengeleitete Kreißsäle entstanden, in denen erfahrene Hebammen eigenverantwortlich gesunde Schwangere betreuen. An der Asklepios-Klinik Hamburg-Altona hat sich das gesamte Hebammenteam entschlossen, in Zukunft nur freiberuflich für eine eigene Firma tätig zu sein. Seitdem ist das Krankenhaus ihr Geschäftspartner, und sie bestimmen selbst, wann und wie viel sie arbeiten. Heute sind fast doppelt so viele Hebammen im Kreißsaal wie noch vor zwei Jahren, berichtet »Die Zeit«.

»Wir brauchen eine Best-Practice-Datenbank, in der gute Konzepte einzelner Krankenhäuser zusammengetragen werden«, fordert die Hebammenwissenschaftlerin Nicola Bauer. Es gibt viele Beispiele, jedoch keinen guten Überblick über die Angebote. Bauer erzählt etwa von einem Krankenhaus im australischen Queensland, in dem ein spezielles System eine Eins-zu-eins-Betreuung ermöglicht. Die Schwangeren werden dort vor der Geburt einer von drei Gruppen zugeordnet, je nach dem zu erwartenden Risiko. »So wissen die Hebammen zu Beginn einer Schicht, was sie erwarten könnte«, sagt Bauer. Das entlastet. Eine Geburt ohne besonderes Risiko betreuen die Hebammen eigenständig ohne ärztliche Beteiligung. Zudem rotieren sie alle paar Monate zwischen den Risikogruppen.

Nur Hebammen können das Wochenbett betreuen

Auch für die Wochenbettbetreuung scheint keine einheitliche Lösung in Sicht. Einen Ersatz durch andere Berufsgruppen hält Andrea Sturm für unmöglich: »Das für das Wochenbett nötige Wissen haben nur Hebammen.« Vermehrt Online- oder Telefonberatungen einzusetzen, könne persönliche Betreuung nur ergänzen. In Bundesländern wie Sachsen und Hamburg gibt es inzwischen zumindest die Möglichkeit, online freie Betreuungskapazitäten zu melden. So sollen Schwangere und Hebammen besser zueinander finden.

Einige Hebammen haben als Reaktion auf den Mangel Wochenbettambulanzen für Mütter eröffnet; dort finden diese nach der Geburt Rat und Unterstützung. Eine Notlösung. »Die wenigsten Frauen können in der ersten Woche nach einer Entbindung dort hingehen«, sagt Andrea Sturm. Sie hat eine andere Idee: »Wir sollten Versorgungszentren mit Hebammenteams in den Stadtteilen einrichten, in denen Frauen von der Schwangerschaft bis ins Wochenbett betreut werden.«

Die Hebammen würden die Frauen in der ersten Zeit nach der Geburt zu Hause besuchen. Danach könnten diese, wenn möglich, ins Zentrum kommen. Und die Hebammen könnten sich gegenseitig vertreten. In England und Schweden würden Frauen bereits ähnlich betreut werden. Positiver Nebeneffekt: »Die Schwangeren und Mütter treffen sich im Zentrum und lernen voneinander. Das stärkt ihre Selbstkompetenz«, sagt Sturm.

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