Direkt zum Inhalt

Motivation: Warum es für eine neue Sprache nie zu spät ist

Wer eine Fremdsprache lernen will, sollte möglichst jung sein, so heißt es: Erwachsene täten sich damit deutlich schwerer als Kinder. Stimmt das?
Ein alter Mann mit Hut, im Hintergrund griechische Sprichwörter
Ein schöner Plan für den Ruhestand: noch einmal eine neue Sprache lernen (Symbolbild).

Arno Baum ist 62 Jahre alt, kaufmännischer Angestellter und lebt in München. Sein neuestes Projekt: Griechisch. »Ich habe Freunde in Griechenland und will an den Gesprächen einfach mehr teilnehmen«, berichtet er. Das letzte Mal, dass er eine Fremdsprache gelernt hat, war in der Schule. »Irgendwie gab es dort viel weniger Praxisbezug. Wenn ich mich jetzt mit Griechisch beschäftige, dann deshalb, weil ich die Sprache benutzen will«, erzählt Arno. Vor Kurzem setzte er sein Vorhaben in die Tat um und meldete sich bei einer Online-Plattform an. 30 Minuten Vokabeln und Grammatik büffelt er nun täglich.

Arno ist mit seinen 62 Jahren kein typischer Sprachanfänger. Viele Gleichaltrige glauben, sie wären zu alt, um noch eine Fremdsprache zu lernen. Aber stimmt das auch?

Themenwoche »Fremdsprachen lernen«

Bin ich als Erwachsener zu alt, um eine neue Sprache zu lernen? Gibt es leichte und schwere Sprachen? Ist ein ausländischer Akzent ein Problem? Und wie lernen Erwachsene am besten? Diese Themenwoche beantwortet Fragen rund um eine der schönsten Nebensachen der Welt: fremde Sprachen.

  1. Fremdsprachen: Die besten Lernmethoden für Erwachsene
  2. Bilinguale Schulen: Spielerisch zur Zweitsprache
  3. Linguistik: Welche Sprachen sind leicht zu lernen?
  4. Vorurteile: Was wir mit einem Akzent verbinden
  5. Alte und bedrohte Sprachen: Wozu braucht man das denn?
  6. Motivation: Warum es für eine neue Sprache nie zu spät ist

»Das Alter eines Menschen ist ein wichtiger Faktor«, bestätigt Ingo Isphording, Bildungsökonom am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Er hat unter anderem untersucht, wovon es abhängt, wie gut Immigranten die Sprache ihres Gastlandes lernen. Wer als Kind einwandert, lernt sie mühelos, lautet eines der Ergebnisse. Die Linguistik sei lange sogar von einer kritischen Altersschwelle ausgegangen, berichtet Isphording. Demnach könnten Kinder, die den Erwerb einer Zweitsprache bis zu diesem Punkt beginnen, ein muttersprachliches Niveau erreichen. Ein späterer Beginn würde dies erschweren.

Warum die Hypothese von der kritischen Periode umstritten ist

Den Begriff der »critical period hypothesis« führten 1959 bereits Wilder Penfield und Lamar Roberts in ihrem Fachbuch »Speech and Brain Mechanisms« ein. Die Annahme: Man kann eine Zweitsprache nur bis zu einem gewissen Alter so lernen, dass die Erstsprache nicht durchscheint. Dieser Zeitraum sei mit der Pubertät überschritten. Sie begründeten ihre These damit, dass die Plastizität, also die Wandelbarkeit des Gehirns, mit der Zeit abnimmt, besonders nach der Pubertät, wenn es seine natürliche neurologische Reife erreicht.

2018 sprach ein Forscherteam um den bekannten Psychologen Steven Pinker sogar von einer »scharf definierten Periode für den Spracherwerb«. Die Fähigkeit, eine fremde Grammatik zu lernen, falle ab 17, 18 Jahren deutlich ab.

Dem widersprach allerdings 2021 ein niederländisches Forschungsteam. Aus einer erneuten Analyse von Pinkers Daten schloss es, die vermeintliche Altersgrenze habe nichts mit den kognitiven Voraussetzungen zu tun, sondern sei ein Artefakt: eine Folge von Schule und Sozialisation.

In Sachen Aussprache gilt die These von einer kritischen Phase jedoch als belegt. Diese endet hier sogar bereits weit vor der Pubertät. In diese Richtung deutet zum Beispiel eine Studie aus dem Jahr 2006. Die Forschungsgruppe um Patricia Kuhl von der University of Washington untersuchte, wie gut japanische und US-amerikanische Babys Laute voneinander unterscheiden konnten. Dazu spielte sie den 64 Säuglingen im Alter zwischen sechs und zwölf Monaten Silben vor, die die Konsonanten »l« und »r« beinhalteten. Das Ergebnis: Die amerikanischen Babys konnten die Silben im Alter von zehn bis zwölf Monaten besser unterscheiden als noch mit sechs bis acht Monaten. Den japanischen Babys hingegen fiel das mit zehn bis zwölf Monaten deutlich schwerer als zuvor. Woran liegt das?

Säuglinge sind grundsätzlich in der Lage, die Laute aller Sprachen zu unterscheiden. Aber nicht lange: Im Verlauf des ersten Lebensjahres verlieren zum Beispiel Kinder, die nur Japanisch hören, die Fähigkeit, die Konsonanten »r« und »l« zu unterscheiden – denn der Laut »r« kommt im Japanischen nicht vor. Kuhl spricht von einer »neuronalen Bindung« an die Muttersprache. Ist es demnach besser, mit dem Lernen einer Fremdsprache so früh wie möglich zu beginnen?

»Die Frage ist nicht leicht zu beantworten«, sagt Antje Stoehr, Psycholinguistin am Baskischen Zentrum für Kognition, Gehirn und Sprache in San Sebastián. Sie erforscht, wie Erwachsene zwei oder mehr Sprachen lernen. »Man muss unterscheiden, ob im Alltag oder in der Schule gelernt wird.« Beim Erwerb durch natürlichen Kontakt zur Sprache, beispielsweise durch eine enge Bezugsperson, gilt: je früher, desto besser. Allerdings ist das genaue Alter maßgeblich. In der Schule lernen die älteren Kinder effizienter, im Sandkasten die jüngeren.

»Eine hohe Motivation ist förderlich, wenn nicht sogar Voraussetzung für einen gelungenen Spracherwerb«Ingo Isphording, Ökonom und Bildungsforscher

Kleinkinder lernen weitere Sprachen meist »automatisch«. In der Schule ist das anders. Im Unterricht wird Sprache gelehrt, also explizit vermittelt. Hier haben ältere Kinder und Erwachsene jüngeren Kindern gegenüber in der Regel einen Vorteil. Vor allem in der Anfangsphase machen sie schneller Fortschritte, denn sie können auf ihr bereits bestehendes Verständnis von Sprache zurückgreifen. Zu dieser Erkenntnis kam unter anderem die Bildungsforscherin Thi Tuyet Tran von der RMIT University in Melbourne.

Doch ihrer Ansicht nach wird die Frage nach dem Alter überbewertet. Je früher, desto besser – das hält sie für einen Mythos. Entscheidend sei die Lehrmethode, sagt Tran: Man müsse sie individuell an den Lernenden anpassen.

Welche Rolle die Motivation fürs Lernen einer Fremdsprache spielt

»Außerdem kommt es auch auf die Motivation an«, erläutert Isphording. »Eine hohe Motivation ist förderlich, wenn nicht sogar Voraussetzung für einen gelungenen Spracherwerb. Erwarte ich, dass ich am Arbeitsplatz oder im Alltag von einer Sprache substanziell profitiere, bin ich entsprechend motiviert, diese zu erlernen.«

Dass Motivation und Sprachaneignung Hand in Hand gehen, bestätigte auch eine Studie mit kanadischen Schülerinnen und Schülern. Das Team um den Sozialpsychologen Richard Clément stellte außerdem fest: Hatte jemand viel Kontakt mit einem Muttersprachler, steigerte das die Motivation und das Selbstbewusstsein, sich in der fremden Sprache unterhalten zu können.

Eine klare Verbindung zwischen Motivation und Kompetenz gibt es jedoch nicht. Jüngere Studien fanden keinen deutlichen Zusammenhang. Kieran Green etwa stellte fest, dass es keine besondere Motivation brauche, sofern ein natürliches Lernumfeld wie in einem Klassenzimmer gegeben sei.

»Das könnte zum Teil daran liegen, dass seine Studie größtenteils Schüler und Studenten untersucht hat, die sich eine Fremdsprache im schulischen Kontext aneignen«, sagt Stoehr. »Wenn man nun beispielsweise an Flüchtlinge denkt, für die das Erlernen der neuen Umgebungssprache eine Existenzgrundlage darstellt, könnte man allerdings durchaus erwarten, dass Motivation den Lernerfolg begünstigt.«

»Ein Akzent steht in der Regel nicht dem Sprachverständnis im Weg, sondern signalisiert die eigene Geschichte und Herkunft«Ingo Isphording

Ein weiterer Faktor ist die Angst vor Fehlern, wie schon 1975 der heute emeritierte Professor für angewandte Linguistik John Schumann von der Harvard University beobachtete. Laut Schumann fürchten Erwachsene eher, sie könnten sich blamieren, während Kinder weniger gehemmt sind und drauflosplappern – es kümmert sie nicht so sehr, ob die Grammatik stimmt oder sie die Wörter richtig aussprechen. Daraus erwachse der Eindruck, Kinder wären generell besser oder schneller im Lernen von Fremdsprachen.

»Die Frage ist, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf muttersprachlichem Niveau, also akzentfrei, zu sprechen«, sagt Isphording. »Ein Akzent steht in der Regel nicht dem Sprachverständnis im Weg, sondern signalisiert die eigene Geschichte und Herkunft.« Zum Problem werde er erst, wenn er zu Nachteilen am Arbeitsplatz führe. Wenn man dennoch ohne Akzent sprechen wolle, helfe vor allem die Unterhaltung mit Muttersprachlern, egal in welchem Alter. Und der Spaß daran: »Wer Freude am Sprachenlernen hat, sollte sich von seinem Alter nicht davon abhalten lassen«, ermutigt Isphording.

Der 62-jährige Arno Baum traut sich derzeit zwar noch nicht, Griechisch zu sprechen. Doch er hat ein konkretes Ziel vor Augen: »Ich will mehr auf Griechisch sagen können als: ›Ein Gyros, bitte.‹« Im nächsten Urlaub will er mit seinen griechischen Freunden ein richtiges Gespräch führen können.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.