Englische Dichtkunst: Warum Poeten wie besessen Gedichte übers Rasenmähen schreiben

Die scheinbar schnöde Tätigkeit des Rasenmähens dient in der englischsprachigen Dichtkunst als wichtige Metapher für das menschliche Dasein. So vermittelt das Motiv des Rasenmähens zahlreiche Themen wie Sterblichkeit, Krieg, Kindheit oder Männlichkeit, ebenso werden damit Gegensätze thematisiert, etwa Mensch und Natur, Zerstörung und Bewahrung. Zu diesem Schluss kommt die Literaturwissenschaftlerin Francesca Gardner von der University of Cambridge im Fachmagazin »Critical Quarterly«. Die Motivtradition des Rasenmähens habe ihren bisherigen Höhepunkt im späten 20. Jahrhundert erreicht, sie gehe aber weiter zurück, ins 17. Jahrhundert.
Den Anfang dieses dichterischen Genres habe Andrew Marvell (1621–1678) im Jahr 1651 gemacht. In seinem Gedicht »Upon Appleton House« mäht ein Mann mit der Sense – und tötet dabei unabsichtlich einen Vogel, der im Gras sitzt. Der Poet und Politiker habe so das Werk des Rasenmähens mit dem Wirken des Kriegs verglichen, im Speziellen mit dem Englischen Bürgerkrieg (1642–1649). Im Vordergrund stehe, »dass der Tod des Vogels ein Kollateralschaden ist«, schreibt Gardner in ihrer Studie. Der Mensch sei demnach starken Kräften unterworfen, den Jahreszeiten, die das Mähen nötig machten, oder dem Krieg, der unerwartet ein frühes Ende bereiten könne.
Der Igel in Larkins Klinge
Eine wichtige Etappe in der Motivtradition des Rasenmähens habe der englische Dichter Philip Larkin (1922–1985) erreicht. Sein Gedicht »The Mower« aus dem Jahr 1979 beschreibt, wie sein Rasenmäher den Dienst versagt und wie er, als er das Problem beheben will, einen toten Igel zwischen den Klingen entdeckt. Am Ende ist Larkin betrübt, dass er das Tier getötet hat und plädiert für mehr Nächstenliebe. Laut Gardner eröffnet das Gedicht »eine unbehagliche Affinität zwischen dem Natürlichen und dem Mechanischen«. Würde das Gras nicht immer wieder nachwachsen, müsse Larkin es nicht mit Hilfe einer Maschine schneiden – um die Arbeit »schnell, effizient und wiederholte Male zu erledigen und dabei die Achtsamkeit zu opfern«. Doch ebenjene Tätigkeit würde den Menschen auch an die eigene Einfühlsamkeit erinnern. So habe Larkins Gedicht von 1979 während der Coronapandemie neue Aktualität entwickelt, als dessen letzte Zeile häufig zitiert wurde: »Of each other, we should be kind / While there is still time«.
Das Rasenmähen taugt in der britischen, aber auch angloamerikanischen Poesie für weitere Themen, zum Beispiel glückliche Kindheitserinnerungen an den rasenmähenden Vater. Dasselbe Motiv nutzen Dichter wie der Engländer Michael Laskey aber auch für die gegenteilige Aussage: In einem Gedicht von 1999 dient die Maschine als Vergleich für die Strenge und Lieblosigkeit des Vaters. »Das Mähen eines Rasens wird oft als Sieg über die Natur angesehen, aber diese Gedichte spiegeln ein zunehmendes Gefühl wider, dass dies ein Pyrrhussieg oder ein unwürdiger Sieg ist«, sagt Gardner laut einem Pressebericht der University of Cambridge. »Der Vater in Michael Laskeys Gedicht ist so sehr darauf bedacht, gerade Linien zu mähen, dass er die fröhliche Unordnung des Lebens mit seinen Kindern verpasst.«
In den Augen von Gardner sei die Ära der Rasenmäherpoesie längst nicht zu Ende. Das Motiv gebe genug her für weitere Gedichte »in einer Zeit von Umweltkrisen, Konflikten und gesellschaftlichen Problemen«.
Anmerkung der Redaktion am 23. Mai 2025: Um zu verdeutlichen, dass sowohl britische als auch amerikanische Autoren und Autorinnen Gedichte übers Rasenmähen geschrieben haben, haben wir diesen Text angepasst. Zuvor waren nur britischen Dichter genannt.
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