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News: Warum sind Dioxine giftig?

Die Lücke in der Beweiskette ist geschlossen: Wissenschaftler haben herausgefunden, warum Dioxine giftig sind. Sie wirken auf das genetische Programm von Zellen und bringen dadurch das Zellwachstum zum Erliegen. Auf Grundlage der neugewonnenen Erkenntnisse läßt sich abschätzen, welche Dioxinmengen zu Gesundheitsschäden führen. Von der täglichen 'normalen' Aufnahme von Dioxinen mit der Nahrung sind nur sehr geringe Auswirkungen auf den Organismus an der Nachweisgrenze der empfindlichsten verfügbaren Methoden zu erwarten. Der jetzt entdeckte Mechanismus, der für einige der Gesundheitsgefahren verantwortlich ist, wird erst bei höheren Dioxinmengen ausgelöst, wie sie durch den Unfall in Seveso oder längere Ernährung mit hochbelasteten Nahrungsmitteln erreicht werden.
Seit dem Chemieunfall in Seveso 1976 werden Dioxine als eine der giftigsten Substanzgruppen diskutiert, die der Mensch als Abfallprodukt der Industriegesellschaft in die Umwelt gebracht hat. Meldungen über dioxinverseuchte Eier aus Belgien machten erst kürzlich Schlagzeilen. Aber wie giftig ist Dioxin wirklich? Welche Mengen sind für den menschlichen Organismus tolerierbar, wann nimmt er Schaden? Diese Fragen können nur geklärt werden, wenn die Mechanismen aufgeklärt werden, die bei der Wirkung von Dioxinen auf lebende Zellen eine Rolle spielen.

"Dioxin" steht als Oberbegriff für eine ganze Substanzklasse. Das "Seveso-Gift" ist in sehr geringen Konzentrationen nahezu überall in der Umwelt und in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs nachweisbar. Ein Erwachsener in Industrienationen nimmt täglich etwa einhundert Picogramm (= ein Zehnmilliardstel Gramm) an Dioxinen auf. Die Dioxine werden im Körper gespeichert und führen zu einer durchschnittlichen Konzentration von zwanzig Nanogramm ( zwanzig Milliardstel Gramm) pro Kilogramm Fettgewebe. Die Halbwertszeit für den Abbau liegt bei rund zehn Jahren. Die Diskussion der Giftigkeit von Dioxinen für den Menschen konzentriert sich auf die Frage, ob diese "normale" Dioxinaufnahme bereits ein Risiko für die Gesundheit darstellt. Diese Frage läßt sich kaum epidemiologisch klären; zu sehr werden die Effekte von anderen Umwelteinflüssen überlagert. Nur Zellkulturen bieten die Möglichkeit, die verschiedenen Einflüsse isoliert zu betrachten.

Eine Zellkultur hat zwar weder ein Immunsystem, das durch Dioxine gestört werden kann, noch wird sie Chlorakne ausbilden oder Krebs bekommen. Doch liegen diesen Krankheiten Veränderungen der Programme zur Steuerung von Zellwachstum (Zellteilung) und Differenzierung der Zellen für spezielle Aufgaben zugrunde. Diese Wirkungen auf Zellen lassen sich hervorragend an Kulturen im Labor studieren. Einer Arbeitsgruppe um Martin Göttlicher vom Institut für Toxikologie und Genetik des Forschungszentrums Karlsruhe ist es nun erstmals gelungen, einen Weg zu entdecken, auf dem Dioxine die Teilung von Zellen beeinflussen. "Die Ergebnisse der Experimente im Forschungszentrum zeigen, welche genetischen Programme Dioxine in Zellen anstoßen, um dort die Zellteilung zu behindern", erläutert Göttlicher. "Weiterhin zeigen die Versuche, daß das genetische Programm für die Störung der Entstehung von Immunzellen erst durch relativ hohe Dioxinmengen aktiviert wird. Derzeit eingesetzte Nachweismethoden für Dioxinwirkungen auf den Organismus sprechen aber schon bei sehr niedrigen Dioxinmengen an, die deutlich geringer sind als jene Mengen, die schädigend in das genetische Programm eingreifen. Ausreichend hohe Dioxinmengen zur Aktivierung des genetischen Programms könnten jedoch bei Unfällen wie in Seveso oder bei langfristiger Ernährung mit hochvergifteten Nahrungsmitteln erreicht werden." (Genes & Development vom 1. Juli 1999, Abstract).

Substanzen, die in derart geringen Mengen wie Dioxine wirken, benötigen für ihre Aktivität im Organismus einen spezifischen Sensor in den Zellen. Dieser spezifische Sensor, der sogenannte Ah-Rezeptor (so genannt, weil er auch aromatische Kohlenwasserstoffe – aromatic hydrocarbons – binden kann) ist seit einiger Zeit bekannt. Wenn er durch Dioxine, die zu ihm passen wie ein Schlüssel in ein Schloß, aktiviert wird, wandert er in den Zellkern und löst dort genetische Programme aus. Welche Gene der Ah-Rezeptor aktiviert und welche Einflüsse dies auf die Zelle hat, wurde in den Experimenten aufgeklärt.

Eine Zellteilung verläuft in mehreren Phasen: In der sogenannten G1-Phase (siehe Abbildung 1) fällt die Entscheidung, ob sich die Zelle teilt oder nicht. In der anschließenden S-Phase verdoppelt sich das Erbgut, die DNA. In der G2-Phase bereitet sich die Zelle auf die Teilung vor, die dann in der Mitose-Phase mit der Teilung von Zellkern und Zelle abgeschlossen wird. Für die Entscheidung, ob sich die Zelle teilt oder nicht (G1), ist die Aktivität verschiedener Gene verantwortlich. Es gibt Gene, welche die Teilung fördern, und andere, die sie behindern. Wie nun bewiesen werden konnte, wirkt der Ah-Rezeptor nach seiner Aktivierung dadurch, daß er ein spezifisches Gen (Kip1) anschaltet, das die Zellteilung bremst. Ein wesentlicher Signalweg – vom Dioxin auf die Vorgänge in der Zelle – ist damit auf genetischer Ebene aufgeklärt.

Das die Zellteilung bremsende Protein des Gens Kip1 liegt in Zellen in geringer Konzentration auch ohne den Einfluß von Dioxin ständig vor. Erst wenn infolge der Aktivierung durch Dioxin die Menge des Proteins größer wird als die "natürliche" Bandbreite in der Zelle, kann das Dioxin die Zellteilung merklich beeinflussen. Die hierfür nötige Dioxin-Mindestkonzentration kann nun angegeben werden. Von geringeren Dioxinmengen sind – zumindest über die Aktivierung des am Forschungszentrum entdeckten Signalweges – keine Gesundheitsschäden zu erwarten.

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