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Tübinger Forscher sind der Frage nachgegangen, ob die stereotype Annahme, daß Frauen einen schlechteren Orientierungssinn und eine schlechtere Orientierungspraxis haben, zutrifft. Dazu wurden 550 Personen mit Fragebogen befragt, hinzu kamen über 50 qualitative Interviews und Beobachtungen des Alltagsverhaltens. Es stellte sich heraus, daß die Übung den Meister macht, nicht das Geschlecht. Allerdings drängeln Männer sich schnell mal in den Vordergrund, und Frauen lassen sie meist gewähren.
Das verbreitete Stereotyp von der generell schlechteren Orientierungsfähigkeit von Frauen hat sich nicht bestätigt. In konkreten Fragen nach einzelnen Orientierungsfähigkeiten zeigten sich vielfach keine oder nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Deutlich wurde jedoch, daß Frauen ihre Orientierungskompetenz generell als begrenzt einschätzen, während Männer sich hier vergleichsweise selbstsicher zeigen, fanden die Wissenschaftler um Bernd-Jürgen Warneken von der Universität Tübingen heraus.

Das unterschiedliche Selbstbewußtsein von Männern und Frauen hat unter anderem Konsequenzen für das Paarverhalten in Orientierungssituationen: Häufig übernehmen Männer die Führung, und viele Frauen überlassen ihnen diese Aufgabe mit größter Selbstverständlichkeit. Dieses "Doing Gender der räumlichen Orientierung" hat zweifellos nicht nur eine situative, sondern auch eine darüber hinausgehende symbolische Bedeutung: Wenn es darum geht, sich "hinaus ins feindliche Leben" zu wagen, genießt nach wie vor der Mann die Prärogative. Diese Form des Doing Gender ist weitaus weniger offensichtlich und entsprechend weniger im gesellschaftlichen Bewußtsein verankert als andere Traditionen der geschlechtsbezogenen Aufgabenteilung zum Beispiel im Arbeitsleben. Allerdings gibt es auch – vor allem jüngere – Frauen, die ihren Bequemlichkeitsgewinn bei diesem Arrangement nicht mehr über den damit verbundenen Autonomieverlust stellen.

Das Projekt fand also keine generelle Geschlechterdifferenz bei der Orientierungsfähigkeit vor, wohl aber geschlechtsspezifische Einstellungen zu Orientierung, die auch unterschiedliche Orientierungsmodi nach sich ziehen. Während Frauen gern ein "kommunikatives Orientierungsmodell" praktizieren, also öfter die Möglichkeit nutzen, nach Wegen, Beförderungsmöglichkeiten, Abfahrtzeiten usw. zu fragen und die dabei entstehenden Kontakte positiv bewerten, suchen Männer eher die Maxime "Selbst ist der Mann" zu erfüllen und praktizieren lieber ein Trial-and-Error-Verfahren, als die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen.

Auch bei der Einstellung zu bebauten und unbebauten Orientierungsräumen lassen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Frauen äußern häufiger als Männer, daß ihnen die Orientierung außerhalb von Ortschaften schwerer fällt, während Männer eher die Tendenz haben, in unbekanntem Gelände ihre Experimentierfreudigkeit zu erproben.

Für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Aneignung von Räumen sind die Sozialstation wie auch die Übung im Erwachsenenalter wesentliche Faktoren. Generell bedeutsam ist hier, ob das kindliche Spielumfeld ländlich oder urban geprägt ist. Darüber hinaus erwiesen sich auch bei den im Projekt Befragten die traditionellen Erziehungsunterschiede bei Jungen und Mädchen als noch immer virulent: Frauen erinnerten sich zum Beispiel häufiger, in der Nähe der Wohnung auf der Straße gespielt zu haben, während Männer davon berichteten, daß sie größere Bewegungsadien für ihre Spiele nutzten und sich oft und gern allein oder in der Gruppe durchs Gelände schlugen.

Ist die kindliche Sozialstation auch von grundlegender Bedeutung für Orientierungsbewußtsein wie Orientierungsfähigkeiten, so kann spätere Übung natürlich erhebliche Veränderungen erzielen. Als eine wichtige Orientierungsschule im Erwachsenenalter fungiert bei Männern offensichtlich der Wehrdienst. Umgekehrt fanden sich aber auch Beispiele dafür, daß Orientierungsfähigkeiten ohne alltägliche Aktivierung wieder verloren gehen können. Bei beiden Prozessen ist die Berufswahl ein wesentlicher Faktor. Tätigkeiten, die eine hohe Mobilität oder die Fähigkeiten des Kartenlesens, erfordern, finden sich häufiger in von Männern dominierten Berufsfeldern. Wenn Frauen ebenfalls in entsprechenden Berufen arbeiten, läßt sich kein nennenswerter geschlechtsspezifischer Unterschied mehr ausmachen.

Besondere Aufmerksamkeit widmete das Projekt den Orientierungskompetenzen, die für die Nutzung von neuen, teilweise hochkomplexen Informations-und-Kommunikations(IuK)-Technologien notwendig werden. Dabei ergab sich, daß diese Geräte eine Bedienungskompetenz und ein Akzeptanzverhlaten voraussetzen, die für manche Bevölkerungsgruppen (noch) nicht gegeben sind. Generell nimmt die Beherrschung und Akzeptanz mit höherem Alter ab und ist bei Männern höher als bei Frauen. Männer sind aufgrund ihrer Arbeitszusammenhänge im allgemeinen geübter in der Benutzung der Technologien (die ja auch primär von Männern entwickelt wurden). Auch wurde deutlich, daß das Design dieser Geräte dem Streben nach autonom durchgeführten Orientierungsperformanzen der Männer entgegenkommt. Dagegen werden interaktive Nutzungsmöglichkeiten, die unter anderem den kommunikativen Orientierungsweisen von Frauen entgegenkämen, in der Praxis noch zu wenig berücksichtigt.

Ein wesentlicher Faktor dafür, wie gut neue Orientierungstechnologien im Stadtraum angenommen werden, sind natürlich die generellen Computerkenntnisse der potentiellen NutzerInnen. Hier zeigte sich – nicht überraschend – daß die befragten Frauen seltener über Computerwissen verfügen als Männer; dies gilt vor allen Dingen für Ältere und für Familienfrauen, die sich in ihrem Arbeitsalltag in der Regel nicht mit IuK-Technologien befassen. Andererseits stellte sich heraus, daß Männer, die ja häufiger als Frauen mit dem Pkw unterwegs sind, über schlechtere Kenntnisse der neuen IuK-Technologien im ÖPNV-Bereich verfügen. Hier machen computerungeübte Frauen und Ältere ihre Nutzungsnachteile durch regelmäßige Übung wett.

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