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E-Scooter: Kleine Räder, großes Problem

E-Scooter prägen das Stadtbild – und füllen Notaufnahmen. Neue Studien zeigen, warum Stürze so oft mit schweren Verletzungen enden und was Technik und Politik bisher übersehen.
Zwei Personen fahren gemeinsam auf einem E-Scooter durch eine belebte Stadtstraße. Die Umgebung ist verschwommen, was die Bewegung und Geschwindigkeit betont. Im Hintergrund sind Gebäude und vorbeifahrende Autos zu erkennen.
E-Scooter sind beliebt – aber riskant. Unfallchirurgen und Orthopäden schauen mit großer Sorge auf den Boom der kleinen Gefährte, denn die Zahl der Verunglückten steigt seit Jahren stark an.

Kaum ein Verkehrsmittel hat Deutschland so schnell erobert wie der E-Scooter – und kaum eines sorgt für so viele Diskussionen. Seit im Juni 2019 die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung in Kraft trat, sind E-Scooter aus den allermeisten Städten nicht mehr wegzudenken. Die elektrischen Roller sind flink, flexibel, praktisch und deshalb hauptsächlich bei jungen Menschen beliebt. Insbesondere kurze Wege werden mit ihnen zurückgelegt. Die Nutzung ist simpel: Einmal angemeldet, kann man sie per App buchen und sofort losdüsen.

Doch was als innovative Lösung für die letzte Meile begann, führt immer öfter in die Notaufnahme. Unfallchirurgen und Orthopäden schauen mit großer Sorge auf den Boom der kleinen Gefährte. Die Zahl der Verunglückten steigt seit Jahren stark an und erreicht immer neue Höchstwerte. Im Jahr 2024 registrierte die Polizei fast 12 000 Unfälle mit Personenschaden in Deutschland, ein Anstieg von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und auch 2025 wird ein neuer Rekord befürchtet: Unfallkliniken in Norddeutschland verzeichneten bereits Mitte Oktober deutlich mehr Verletzte bei E-Scooter-Unfällen als im Vergleichszeitraum des Jahres 2024, meldete der NDR.

Wie gefährlich E-Scooter sind, zeigt der jüngste Bericht des Statistischen Bundesamts. Von den rund 12 000 Menschen, die im Jahr 2024 auf dem kleinen Roller verunglückten, verletzten sich 1513 Personen schwer, 27 kamen ums Leben. Vor allem junge Menschen sind in Unfälle verwickelt. Fast jeder zweite verunglückte E-Scooter-Fahrer war jünger als 25 Jahre.

Schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen, komplexe Brüche

Dass Unfälle mit E-Scootern zunehmen, davon ist auch Siegfried Brockmann überzeugt. »Der Anstieg ist eindeutig«, sagt der Geschäftsführer der Björn-Steiger-Stiftung, die sich für eine bessere Notfallhilfe und einen leistungsfähigen, modernen Rettungsdienst einsetzt. Allerdings vermisst er in der offiziellen Statistik jegliche Bezugsgrößen. Die gefahrenen Kilometer werden seit Jahren nicht ermittelt; wie intensiv das neue Verkehrsmittel genutzt wird, ist also unklar. In der aktuellen Statistik von 2024 fehlen sogar Bestandszahlen. Das sei schon deshalb ärgerlich, weil die Unfallforschung auf solche Angaben angewiesen ist, um wichtige Erkenntnisse abzuleiten, sagt er.

Dietmar Pennig hat die Folgen des E-Scooter-Booms aus nächster Nähe verfolgt. Als Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie im St. Vinzenz-Hospital in Köln merkte er schon bald nach der Zulassung der E-Scooter im zweiten Halbjahr 2019, dass immer mehr Menschen ins Krankenhaus kamen, die mit dem neuen Verkehrsmittel verunglückt waren. »Abends war am meisten zu tun«, berichtet er, vor allem freitags und samstags. Von 22 Uhr an ging es richtig los. Bis in die Morgenstunden hinein wurden Schwer- und Schwerstverletzte von den Rettungsdiensten in die Notaufnahme gebracht. Letztere sind Patienten, deren Verletzungen als lebensbedrohlich eingestuft werden und mehrere Körperregionen oder Organsysteme gleichzeitig betreffen. Die Verletzungsmuster ähnelten sich: schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen, komplexe Brüche an Schulter, Händen, Ellbogen, nicht selten Oberschenkelfrakturen. Einmal, so erinnert er sich, wurde ein junger Mann mit einem vollkommen zerstörten Ellbogen eingeliefert. Eine Verletzung, die sogar er nur selten in dem Alter gesehen hatte.

Vor vier Jahren ging Pennig in den Ruhestand, aber das Thema beschäftigt ihn weiter, denn der 70-Jährige hat weiterhin zwei Ehrenämter inne. Er ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) – und damit noch immer bestens im Bilde, was in der Unfallmedizin los ist. In seiner Funktion für die DGU verantwortet er zudem das Traumaregister, das Behandlungsdaten von Unfallverletzten sammelt. Es soll helfen, die Behandlung und Versorgung von Schwer- und Schwerstverletzten zu verbessern.

Verletzungsmuster sind eine Folge des Aufprallmechanismus

Die Forschungsgruppe für Verkehrssicherheit am Klinikum der Technischen Universität München hat das Register genauer untersucht und im Mai 2025 erstmals belastbare Zahlen vorgestellt. Die Autoren analysierten 538 Unfälle aus einem Zeitraum von vier Jahren, bei denen sich E-Scooter-Fahrer schwere Verletzungen zuzogen. Diese Daten verglichen sie mit Daten zu anderen Zweirad-Unfällen. Die Studie, die im »Deutschen Ärzteblatt« erschienen ist, liefert ein erschreckendes Bild. Demnach landeten knapp 84 Prozent aller Verletzten sogar auf der Intensivstation, ihr Leben war also wenigstens kurzfristig in Gefahr. Fast alle von ihnen zogen sich schwere Verletzungen am Kopf oder im Gesicht zu. Die häufigsten Diagnosen waren Hirnblutung (20 Prozent) und Schädelbasisbruch (17 Prozent). 26 Menschen starben. Die Sterblichkeit lag bei fast fünf Prozent.

Verletzungen nach Körperregion | Viele Menschen, die mit E-Scootern verunglücken, ziehen sich multiple Verletzungen zu: schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen, komplexe Brüche an Schulter, Händen, Ellbogen, nicht selten Oberschenkelfakturen. Das liegt auch an der Kinematik des Sturzes. Der E-Scooter wirkt wegen seiner Massenträgheit wie ein Hebel, der den Fahrer nach vorn katapultiert.

Die Verletzungsmuster sind eine Folge der besonderen Kinematik des Sturzes, wie Physiker des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik in Freiburg anhand von Unfällen ohne Fremdeinwirkung – sogenannten Alleinunfällen – in Modellen nachgewiesen haben. Demnach ist der Aufprallmechanismus bei solchen Unfällen besonders ungünstig. Der E-Scooter wirkt wegen seiner Massenträgheit wie ein Hebel, der den Fahrer in die Höhe und, je nach Aufprallwinkel, meterweit nach vorn katapultiert. Da der Fahrer oft mit dem Kopf voran stürzt, ist das Risiko schwerer Gesichts- und Kopfverletzungen besonders hoch. Die Geschwindigkeit, mit der der Kopf auf dem Boden aufschlägt, ist sogar höher als die Aufprallgeschwindigkeit des E-Scooters, zeigten die Freiburger Forscher.

Dietmar Pennig nimmt deswegen auch die Konstrukteure der E-Scooter in die Pflicht. Viele Roller hätten einen schmalen Lenker und kleine Hartgummireifen statt gefederter Luftreifen. Ersteres könne zu ruckartigen Bewegungen führen, Letzteres zu rutschigen Manövern. Hartgummireifen bieten weniger Haftung, gerade wenn die Fahrbahn nass und mit Laub bedeckt ist. Zudem beschleunigen manche Exemplare sehr ruckartig, die Kontrolle über das Verkehrsmittel wird erschwert. Rammt ein Fahrer dann in voller Fahrt von bis zu 20 Kilometern pro Stunde eine Bordsteinkante, wird er regelrecht ausgehebelt.

Der gefährliche Aufprallmechanismus ist aber nur einer von mehreren Risikofaktoren. Hinzu kommt das leichtsinnige Fahrverhalten vieler E-Scooter-Nutzer. Bei den Verunglückten zeigt sich ein klares Muster. Der deutsche E-Scooter-Fahrer ist männlich, jung, meistens in der Dunkelheit unterwegs und oft alkoholisiert. Einen Helm trägt er nicht. An Verkehrsregeln ist er zudem nicht sonderlich interessiert. Auch das ist ein Ergebnis der Studie der TU München.

Kirstin Zeidler erlebt den leichtsinnigen Umgang mit dem Gefährt immer wieder in Berlin. Oft sieht sie zwei Menschen auf einem E-Roller, manchmal auch Fahrer, die illegal auf Gehwegen oder gegen die Fahrtrichtung unterwegs sind. »Für manche ist der E-Roller ein Freizeitgerät«, sagt die Leiterin der Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Oder noch schlimmer: ein Spielgerät. Die Zahl der Zulassungen steigt seit Jahren stark an. Aktuelle Zahlen liegen nicht vor, aber Ende des Jahres 2023 waren laut GDV fast eine Million E-Scooter in Deutschland angemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete das einen Anstieg von rund 30 Prozent.

Leihscooter-Fahrer sind leichtsinniger

In der Kritik stehen vor allem die Leihscooter. Sie prägen seit 2019 das Stadtbild mit, sehr zum Ärger vieler Verwaltungen und Bürger. Zahlreiche Roller werden achtlos auf dem Gehweg oder auf der Fahrbahn abgestellt, manche einfach auf Grünflächen oder sogar in Flüsse geworfen. Das Image der E-Scooter hat dadurch stark gelitten. Dabei sind bundesweit nur 20 Prozent aller Zulassungen Leihscooter, auch wenn ihr Anteil in den Städten größer sein dürfte. Die restlichen 80 Prozent der E-Roller sind in privater Hand und mittlerweile echte Alternativen zu Autos, Fahrrädern oder Zufußgehen. Privatnutzer seien häufig Vielfahrer, sagt Zeidler, sie fahren in der Regel routiniert und regelkonform. Leihscooter-Fahrer hingegen seien jünger, weniger geübt und häufiger auf Gehwegen unterwegs – obwohl das eigentlich verboten ist – und darum deutlich häufiger in Unfälle verwickelt. Auch wenn Leihscooter nur einen kleinen Teil des Bestands ausmachen, sind sie für 40 Prozent aller E-Scooter-Schäden in der Kfz-Haftpflichtversicherung verantwortlich, fand Zeidler heraus.

Unfälle können zwar nicht immer auf nur einen einzigen Grund zurückgeführt werden, aber auch hier gibt es klare Muster. Oft gehen dem Unfall mehrere problematische Verhaltensweisen voraus. Das häufigste Fehlverhalten ist mit einem Anteil von 21 Prozent die falsche Benutzung der Fahrbahn oder der Gehwege, wie die Analyse des Statistischen Bundesamts zeigt.

Besorgt sind Unfallforscher über die vielen Alleinunfälle mit E-Scootern. Jeder dritte Unfall ist selbst verschuldet – und sogar jeder zweite tödlich Verunglückte starb ohne Fremdeinwirkung. Zum Vergleich: Bei Radfahrern stirbt nur jeder vierte tödlich Verunglückte ohne Fremdeinwirkung. Kollisionen mit Fußgängern und Radfahrern sind recht selten, doch überwiegend tragen die E-Roller-Fahrer die Schuld, wenn es dazu kommt. Bei Kollisionen mit Autos hingegen, die den größten Teil der Unfälle ausmachen, trägt zu fast zwei Dritteln der Autofahrer die Schuld. Das zeigt auch: »Es braucht eine bessere Radinfrastruktur in den Städten«, fordert Kirstin Zeidler. Viele Wege seien nicht sicher. Das sei ein Grund, weshalb so viele Scooter-Fahrer verbotenerweise auf die Gehwege auswichen. Zudem hält sie es für ratsam, E-Scooter in die Verkehrsausbildung in der Schule aufzunehmen, die alle Kinder durchlaufen müssen.

Mehr Kontrollen, anderer Raddurchmesser

Siegfried Brockmann hat sich die Unfälle mit E-Scootern in einer eigenen Erhebung genauer angesehen und war ebenfalls erstaunt über die hohe Zahl an Alleinunfällen. Der Unfallforscher durchforstete dafür sämtliche Hergangsprotokolle der polizeilichen Unfallaufnahme und die Beschreibungen der Verletzungen von Scooter-Fahrern, die im Unfallkrankenhaus Berlin aufgenommen wurden. Dabei fand er ein interessantes Detail: Jeder dritte E-Scooter-Fahrer, der ohne Fremdverschulden verunglückte, hatte einen »Zusammenstoß mit Einbauten im Straßenraum«, wie es in der Amtssprache heißt, oder verlor einfach nur die Kontrolle über das Fahrzeug. Als Hauptgrund für viele Unfälle macht Brockmann daher die kleinen Räder der E-Roller verantwortlich, die bislang in der Regel nur acht Zoll, das sind etwa 20 Zentimeter, als Durchmesser haben. »Jeder abgesenkte Bordstein wird damit zu einem gefährlichen Hindernis«, sagt er. Für den Unfallforscher ist klar: »So hätte der Gesetzgeber das nie zulassen dürfen.« Dabei ließe sich die Regelung leicht ändern, meint Brockmann. Es müsste bloß der Raddurchmesser verpflichtend von acht auf zehn Zoll – also 25 Zentimeter – heraufgesetzt werden. Damit ließen sich Hindernisse besser überwinden. 

Anfang Oktober 2025 hat der Bundestag eine Novelle der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung verabschiedet, über die noch im Jahr 2025 im Bundesrat abgestimmt wird. Größere Reifen sind darin nicht berücksichtigt, dafür sollen Blinker zu mehr Verkehrssicherheit beitragen. Blinker? Brockmann hält diese Maßnahme für kontraproduktiv, weil Blinker häufig aus Unachtsamkeit durchblinken und deshalb eher Verwirrung stiften. Er fordert stattdessen mehr Polizeikontrollen an den bekannten Hotspots der Städte, damit die Verstöße häufiger geahndet werden, sowie eine Führerscheinpflicht. Mindestens eine Mofa-Prüfbescheinigung sei nötig, sagt er, damit wäre der E-Scooter erst ab 15 Jahren erlaubt statt bisher ab 14. Eine Helmpflicht fordert er nicht. Die meisten Unfälle beträfen vor allem das Gesicht, das Helme nicht schützen. Auch der Gesetzgeber sieht in der Novelle keine Helmpflicht vor.

Eine böse Überraschung erwarten Experten allerdings von anderer Seite. Die Europäische Union will die Regelungen für E-Scooter europaweit vereinheitlichen. Und das könnte bedeuten, dass die Roller künftig sogar schneller fahren dürfen. 25 Kilometer pro Stunde sind in den meisten Ländern wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Griechenland und Spanien erlaubt; in Deutschland beträgt die Höchstgeschwindigkeit derzeit 20 Kilometer pro Stunde. Da die Geschwindigkeit angeglichen werden soll, ist es eher wahrscheinlich, dass sich Deutschland an die Mehrheit anpasst als umgekehrt. Höhere Geschwindigkeiten würden die Gefahr, die von E-Scootern ausgeht, aber sicher nicht entschärfen. Eher werde das Gegenteil der Fall sein, befürchtet Unfallforscher Siegfried Brockmann – und die Notaufnahmen durch die höhere Geschwindigkeit noch mehr belastet.

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  • Quellen
Hartz, F. et al., Deutsches Ärzteblatt 10.3238/arztebl.m2025.0041, 2025

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