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Strömungsdynamik: Warum verschwand die Eisbachwelle?

Sie war ein Hotspot für Surfer aus aller Welt: die Eisbachwelle in München. Doch nach Reinigungsarbeiten entsteht keine surfbare Welle mehr. Die überraschende Physik hinter dem Phänomen gibt Hinweise auf mögliche Ursachen.
Surfer in Neoprenanzügen stehen mit ihren Surfbrettern am Ufer eines Flusses, während ein Surfer auf einer stehenden Welle reitet. Im Hintergrund ist eine Steinbrücke mit Bögen zu sehen, und Zuschauer beobachten das Geschehen. Die Szene spielt sich in einer urbanen Umgebung mit Gebäuden und Bäumen ab.
Die Eisbachwelle in München war eine ausgeprägte stehende Welle, die an einem Wechselsprung entstand, einem verbreiteten strömungsmechanischen Effekt. Das Phänomen wurde von Flusssurfern genutzt und ist international bekannt.

Dieser Artikel wurde am 7.11. mit neuen Erkenntnissen aktualisiert.

In München steht ein Hofbräuhaus – und eine der bekanntesten Wellen der Welt. Beziehungsweise stand. Denn die Eisbachwelle, eine bis zu einen Meter hohe stehende Welle im Englischen Garten, ist verschwunden. Und nun rätseln alle, wie man sie zurückholt. Denn bis vor einigen Wochen war sie ein beliebter Surfspot und bedeutende Touristenattraktion.

Doch jetzt erscheint an ihrer Stelle zum allgemeinen Entsetzen bloß noch eine schaumige Turbulenzfront. Hauptverdächtiger: das Baureferat München, das in den zwei Wochen zuvor das Bachbett gereinigt und ausgebessert hatte. Tatsächlich spielen jedoch mehrere Faktoren eine Rolle, so dass die Reinigungsmaßnahmen nur ein möglicher Grund für das Verschwinden der Welle sind.

Hinter der einzigartigen Erscheinung steckt ein weit verbreitetes Phänomen von strömendem Wasser, der Wechselsprung. Der tritt auf, wenn sehr schnell fließendes Wasser gezwungen wird, langsamer zu fließen, zum Beispiel wenn die Steigung eines Flussbetts kleiner oder das Flussbett breiter wird. Dann entsteht eine sehr turbulente Zone, hinter der der Wasserstand höher ist und das Wasser langsamer fließt.

Damit nun ein Wechselsprung entsteht, wie das Phänomen fachsprachlich heißt, muss das Wasser vorher schneller fließen, als sich Wellen über seine Oberfläche bewegen, die kritische Geschwindigkeit. Das passiert etwa, wenn Wasser eine Stromschnelle oder ein künstliches Wehr hinabfließt. Genau das passiert dort, wo der Münchner Eisbach unter der Prinzregentenstraße hervortritt und über eine künstliche Steinstufe fließt. 

Die entscheidende Froude-Zahl

Experten für Strömungsdynamik wie Boris Lehmann unterscheiden verschiedene Formen des Wechselsprungs, von denen die Münchner Welle nur eine ist. »Welche Art von Wechselsprung sich bildet, hängt von der Strömungsgeschwindigkeit und der Tiefe des Zulaufs ab«, erklärt der Professor für Wasserbau und Hydraulik an der TU Darmstadt. Die Eigenschaften der Strömung fasst man in der Froude-Zahl zusammen, die sich aus diesen beiden Werten und der Schwerebeschleunigung errechnet. Eine Strömung, die schneller fließt als die kritische Geschwindigkeit, hat eine Froude-Zahl über eins. »Wir im Wasserbau versuchen, hinter unseren Bauwerken einen stationären Wechselsprung zu erreichen. Den bekommt man, wenn die Froude-Zahl im Zustrom zwischen 4,5 und 9 liegt.«

Dieser Wechselsprung ist sehr turbulent und verteilt effektiv die Energie der Strömung. Zusätzlich nimmt er sehr wenig Platz ein, sodass der Fluss schon kurz dahinter wieder ruhig fließt – ideal für technische Bauwerke. Den Zustrom so zu regulieren, war auch eigentlich das Ziel der Steinstufe im Eisbach. Dass sich dort in der Vergangenheit so eine schöne Welle bildete, ist ursprünglich das Ergebnis eines Designfehlers, der einen anderen Übergang zwischen überkritischer und unterkritischer Strömung entstehen ließ.

»Die Eisbachwelle ist meiner Meinung nach ein oszillierender Wechselsprung«, erklärt Lehmann. »Die Froude-Zahl im Zustrom liegt zwischen 2,5 und 4,5. Dann bekommt man eine Welle mit klarer Front, hinter der das Wasser immer noch sehr schnell abfließt.« Das Problem dabei ist, dass hinter der ersten Welle ein ganzer Zug aus weiteren Wellen flussabwärts wandert, der zusammen mit der noch recht starken Strömung das Flussbett und die Ufer erodieren kann. »Das hat man sicher nicht absichtlich so gebaut.«

Warum die Eisbachwelle nun jedoch verschwunden ist, bleibt unklar. Fest steht, dass sich die Welle nach der alljährlichen »Bachauskehr«, bei der das Bett gereinigt wurde, nicht mehr aufgebaut hat. Dazu muss man wissen, dass im April 2025 eine Surferin gestorben ist, nachdem sich ihre Sicherungsleine am Grund des Gewässers verfangen hatte. Viele Beteiligte vermuten deswegen, dass die Arbeiten am Bachbett umfassender und womöglich auch folgenreicher waren als in den letzten Jahren. Die Steinstufe und das Beruhigungsbecken dahinter seien nicht verändert worden, versichert zwar das Baureferat München. Doch auch die Struktur des Untergrundes, wie die Rauhigeit des Bodens durch Steine und Kies, verändern die Strömungsverhältnisse.

Ist der Eisbach komplizierter?

Und es gibt diverse Hinweise darauf, dass die Welle nicht nur vom Zustrom abhängt, sondern auch von Faktoren wie der Geometrie des Bachbetts um die Steinstufe herum wichtig für ihre Entstehung und Höhe sind. So berichteten Fachleute in einer Veröffentlichung von 2021, dass die Froude-Zahl des Eisbachs oberhalb der Welle mit 1,65 deutlich niedriger sei als der normale Schwellenwert für eine stehende Welle, der bei 2,5 liegt. Voraussetzungen dafür seien Elemente, die die Strömung umleiten. Dadurch könnten möglicherweise auch unbedeutend scheinende Änderungen einen großen Einfluss haben – und es wäre deutlich schwieriger, die Welle zurückzuholen.

So zeigen Experimente, dass man auch bei niedrigen Froude-Zahlen mithilfe von Rampen und verstellbaren Elementen künstliche Surfwellen in Flüssen erzeugen kann. Solche stehenden Wellen sind jedoch sehr empfindlich gegenüber Veränderungen im Bachbett oder des Wasserstands. Zum Beispiel zeigten Berechnungen für eine künstliche stehende Welle auf dem Neckar in Stuttgart, dass eine Änderung der Wassertiefe um nur fünf Prozent die Wellenhöhe um die Hälfte reduzieren würde

Die Eisbachwelle entsteht zwar auf andere Weise, aber auch in München beeinflusst die Wassertiefe hinter der Steinstufe die Welle. Nachweislich hat sie Auswirkungen auf den Ort, wo die Welle entsteht. »Wenn wir im Labor einen stationären Wechselsprung erzeugen und dann die Wassertiefe verändern, dann fängt der sofort an zu wandern«, erklärt Lehmann. »Beim Eisbach ist es so, dass die Wassertiefe gewissermaßen versucht, die Welle flussaufwärts zu schieben, bis sie an der Steinstufe nicht weiterkann.«

Zusätzlich hatten im Jahr 1990 Versuche zweier Fachleute gezeigt, dass eine stehende Welle hinter einer Steinstufe bricht und sich in einen stationären Wechselsprung verwandelt, wenn die Wassertiefe hinter der Stufe über einen kritischen Wert steigt. Für diese könnte auch die Rauhigkeit des Untergrunds eine Rolle spielen. Steine zum Beispiel könnten eine beruhigte Bodenschicht erzeugen, die die für die Welle »nutzbare« Tiefe vor der Bachbereinigung verringert hatte.

Als wahrscheinlichster Grund für das Verschwinden der Welle galt zu Anfang jedoch, dass der Eisbach ungewöhnlich wenig Wasser führt, was auf einen verringerten Zustrom von der Isar hindeuten könnte. Das würde sowohl Strömungsgeschwindigkeit als auch Wassertiefe beeinflussen, und damit die Froude-Zahl, von der die genaue Natur des Wechselsprungs abhängt. Der sehr konstante Zufluss galt bisher als einer der Gründe dafür, dass die Welle so stabil war. »Vielleicht hat sich daran etwas verändert. Die Fließgeschwindigkeit ist anders oder Wasser wird oberhalb ausgeleitet«, vermutete auch Boris Lehmann ursprünglich. 

Das allerdings ließ sich recht einfach überprüfen. Am 5. November versuchte die Stadt München, die Welle mit einem »Kick-Start« wiederzubeleben, indem sie den Wasserstrom in der Zuleitung zum Eisbach erhöhte. Das Ergebnis war ernüchternd – keine Welle. Damit erscheinen nun die Veränderungen am Bachbett als plausibelste Ursache, und das ist eine schlechte Nachricht. Denn während sich die Froude-Zahl durch Geschwindigkeit und Wassertiefe im Zulauf leicht verändern lässt, bieten die komplexen Beziehungen zwischen Welle und Bachgeometrie keinen leichten Ansatzpunkt, die Welle wiederherzustellen.

Möglich wäre, die Wassertiefe künstlich zu verringern und zu sehen, was passiert. Alternativ könnte sich die Stadt München entscheiden, die Strömung am Eisbach erst einmal im Computer simulieren zu lassen, um mögliche Maßnahmen zu testen. Doch diese beiden Optionen sind teuer und bieten keine Erfolgsgarantie. Die einfachste Möglichkeit wäre vermutlich, eine speziell konstruierte Rampe zu installieren, wie sie auch in anderen Fließgewässern zum Einsatz kommt, um künstliche Surfwellen zu erzeugen. Doch dann wäre die Eisbachwelle eben nicht mehr die Eisbachwelle, sondern nur noch eine Sportanlage, wie es sie zum Beispiel auch in Nürnberg oder Hannover bereits gibt.

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