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Covid-19: Was bedeuten die Ergebnisse von AstraZenecas Impfstoffstudie?

62 Prozent Wirksamkeit bei einer hohen ersten Dosis, 90 Prozent bei einer niedrigen: Für dieses Muster gibt es mehrere mögliche Erklärungen.
Impfung

Mit Spannung hat die Welt auf die Ergebnisse dieser Impfstoffstudie gewartet: Das Vakzin, das die University of Oxford und der Pharmakonzern AstraZeneca zum Schutz vor Covid-19 entwickelt haben, scheint im Durchschnitt zu 70 Prozent wirksam zu sein. Darauf deutet die vorläufige Analyse der Daten aus einer Phase-III-Studie hin, wie Unternehmen und Uni am 23. November mitteilten.

Es zeigte sich jedoch ein auffälliger Unterschied in der Wirksamkeit, je nachdem, welche Menge des Impfstoffs den Teilnehmern verabreicht worden war. Ein Impfschema, das aus zwei vollen Dosen im Abstand von einem Monat bestand, schien nur zu 62 Prozent wirksam zu sein. Teilnehmer, die zunächst eine geringere Menge des Impfstoffs und dann mit der zweiten Dosis die volle Menge erhalten hatten, erkrankten im Vergleich zu Teilnehmern der Placebo-Gruppe jedoch mit 90 Prozent geringerer Wahrscheinlichkeit an Covid-19.

AstraZeneca und die University of Oxford sind die Dritten, die Wirksamkeitsdaten für ein Covid-19-Vakzin vorlegen: Bereits in der vergangenen Woche hatten Pfizer und Biontech berichtet, ihr RNA-basierter Impfstoff schütze in etwa 95 Prozent aller Fälle vor einer Erkrankung. Das Unternehmen Moderna vermeldete nach einer ersten Zwischenanalyse der Studiendaten für seinen RNA-Impfstoff ähnlich gute Werte.

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Forscher warnen allerdings davor, Impfstoffe auf Grundlage unvollständiger Daten direkt miteinander zu vergleichen. Solange nicht mehr Daten aus den laufenden Wirksamkeitsstudien vorliegen, herrsche erst einmal Unsicherheit darüber, wie gut das Oxford-Vakzin tatsächlich gegen Covid-19 schütze. »Wir laufen leicht Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen«, sagt Daniel Altmann, Immunologe am Imperial College London. Es sei noch ein langer Weg, bis die Daten vollständig vorlägen und publiziert seien.

Impfstoff auf dem Prüfstand

Der Oxford-AstraZeneca-Impfstoff basiert auf einem Adenovirus, das Erkältungen verursacht. Es wird aus dem Stuhl von Schimpansen isoliert und anschließend so modifiziert, dass es sich in den Zellen nicht mehr vermehren kann. Nach der Injektion weist der Impfstoff menschliche Zellen dazu an, das Spike-Protein von Sars-CoV-2 zu produzieren – das Hauptangriffsziel des Immunsystems gegen Coronaviren. Die University of Oxford und AstraZeneca begannen vor anderen Unternehmen wie Pfizer und Moderna damit, ihren Impfstoff in Phase-III-Wirksamkeitsstudien zu testen. Die Untersuchungen laufen derzeit unter anderem in den Vereinigten Staaten, Südafrika, Japan und Russland. Die Analyse vom 23. November basiert auf 131 Covid-19-Fällen unter mehr als 11 000 Studienteilnehmern in Großbritannien und Brasilien bis zum 4. November 2020.

Wie die Entwickler feststellten, schützte ihr Impfstoff zwei Wochen nach Erhalt der zweiten Dosis in 70 Prozent der Fälle vor einer Covid-19-Erkrankung. Diese Zahl ist jedoch nur ein Durchschnitt aus den Wirksamkeitswerten von 62 und 90 Prozent bei den beiden unterschiedlichen Dosierungsschemata. »90 Prozent ist ziemlich gut, 62 Prozent hingegen nicht so beeindruckend«, schreibt Florian Krammer, Virologe an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York City, auf Twitter.

»Wir laufen leicht Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen«
Daniel Altmann, Immunologe

Für Forscher ist es wichtig zu verstehen, warum der Impfstoff mit einer niedrigeren ersten Dosis so viel bessere Resultate zu liefern scheint. Eine Erklärung könnte in den Daten selbst liegen: Die Studie war möglicherweise nicht groß genug, um den Unterschied zwischen den beiden Schemata zu messen. Vielleicht gleicht sich die Wirksamkeit deshalb an, sobald mehr Fälle von Covid-19 bei den Probanden auftreten, sagt Luk Vandenberghe, Virologe am Massachusetts Eye and Ear Institute und der Harvard Medical School in Boston. Die Ergebnisse von »halbe Dosis, volle Dosis« basieren auf den Daten von 2741 Studienteilnehmern, während der Studienarm, der zu einer schwächeren Wirksamkeit kam, 8895 Probanden umfasste. In der Pressemitteilung wird nicht angegeben, in welcher Gruppe Fälle auftraten.

Niedrige Dosis, hohe Wirkung?

Sollten die Unterschiede allerdings echt sein und eine geringere erste Dosis tatsächlich eine bessere Wirkung erzielen, sind Forscher begierig darauf zu verstehen, warum das so ist. »Ich glaube nicht, dass es sich um eine Anomalie handelt«, sagt Katie Ewer. Die Immunologin arbeitet am Jenner Institute in Oxford an dem Impfstoff. Sie hat zwei Theorien, warum eine niedrigere erste Dosis zu einem besseren Schutz vor Covid-19 führen könnte. So sei es etwa denkbar, dass eine geringe Impfstoffdosis jene Untergruppe von Immunzellen besser stimuliert, die zur Produktion von Antikörpern beitragen: die T-Zellen.

Eine andere mögliche Erklärung hängt mit der Reaktion des Immunsystems auf das Schimpansenvirus zusammen. Der Impfstoff löst nicht nur eine Immunantwort gegen das Sars-CoV-2-Spike-Protein aus, sondern auch gegen Komponenten des viralen Vektors. Die volle erste Dosis könnte diese Reaktion abschwächen, sagt Ewer. Sie will deshalb Antikörperreaktionen gegen das Schimpansenvirus untersuchen, um diese Frage zu klären.

Hildegund Ertl, Immunologin am Wistar Institute in Philadelphia, erklärt, die Ergebnisse passen zu denen ihrer eigenen Arbeiten über Adenovirus-Impfstoffe bei Mäusen. Auch sie hat herausgefunden, dass eine niedrige erste Dosis zu einem besseren Schutz führen kann, wenn ein Impfstoff insgesamt zweimal verabreicht werden muss. Eine niedrigere erste Dosis beschleunige womöglich die Bildung von »Gedächtniszellen«, die durch eine zweite Impfstoffgabe getriggert werden. Eine längere Wartezeit zwischen den beiden Impfungen könnte die gleiche Wirkung erzielen.

In der Zwischenzeit hofft AstraZeneca, weitere Daten über die verschiedenen Dosierungsschemata sammeln zu können. Das Unternehmen hat den Impfstoff bisher auch rund 10 000 Teilnehmern in den USA verabreicht. Im Sommer musste die Studie vorübergehend pausieren, weil bei einem Studienteilnehmer der Verdacht auf schwere Nebenwirkungen bestand. Das Unternehmen plant nun, die Aufsichtsbehörden zu fragen, ob es die Studie modifizieren kann, um das wirksamere Dosierungsschema aufzunehmen, sagte Mene Pangalos, AstraZenecas Vizepräsident für biopharmazeutische Forschung, bei einer Pressekonferenz.

Phasen klinischer Studien

Wird ein neues Medikament entwickelt, durchläuft es fünf klinische Phasen. Um eine Studie in einer höheren Phase durchführen zu können, müssen alle vorhergehenden Phasen erfolgreich abgeschlossen worden sein.

Phase-0-Studie: Die ersten Versuche am gesunden Menschen finden statt. Etwa 10 bis 15 Personen erhalten subtherapeutische Dosen, auch Microdosing genannt. Dabei wird vor allem untersucht, wie sich der Wirkstoff im Körper verhält.

Phase-I-Studie: Etwa 20 bis 80 Personen erhalten eine Dosis, die für die spätere therapeutische Anwendung relevant sein könnte. Es wird geprüft, wie verträglich und sicher das Mittel ist.

Phase-II-Studie: Mit etwa 50 bis 200 Personen überprüfen die Hersteller das Therapiekonzept und legen eine geeignete Dosis fest. Zu diesem Zeitpunkt sollten bereits positive Effekte der Therapie sichtbar sein.

Phase-III-Studie: Nun entscheidet sich, ob die verantwortlichen Behörden ein Medikament zulassen. An 200 bis 10 000 Personen muss die therapeutische Wirksamkeit des Medikaments nachgewiesen werden. Das gilt ebenso für seine Unbedenklichkeit, eine angemessene pharmazeutische Qualität und ein geeignetes Nutzen-Risiko-Verhältnis.

Phase-IV-Studie: Diese Langzeitbeobachtungen beginnen, nachdem das Medikament zugelassen wurde. Damit sollen beispielsweise sehr seltene Nebenwirkungen festgestellt werden, die erst bei sehr großen Patientenkollektiven sichtbar sind.

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