Neuronale Dysregulation: Was bei Borderline im Gehirn anders ist

Menschen mit Borderline haben mit intensiven und wechselhaften Emotionen wie Wut oder Traurigkeit zu kämpfen und haben Probleme, Gefühle und Handlungsimpulse zu regulieren. Sie verletzten sich häufig selbst. Ihre Beziehungen zu anderen sind oft intensiv, von Konflikten geprägt und instabil. Ähnlich wechselhaft ist auch ihre Wahrnehmung von sich selbst.
Das Gehirn der Betroffenen reagiert offenbar besonders intensiv auf emotionale Reize, während Areale, die Gefühle und Verhalten regulieren, weniger aktiv sind als bei Gesunden. Darauf deutet eine in der Zeitschrift »Journal of Clinical Medicine« erschienene Übersichtsarbeit hin.
Um die neuropsychologischen Mechanismen, die der Persönlichkeitsstörung und ihren Symptomen zugrunde liegen, besser zu verstehen, sichtete ein Team um Eleni Giannoulis von der Medical School of Athens in Griechenland die Ergebnisse von 82 bildgebenden physiologischen Arbeiten sowie neuropsychologischen Entwicklungsstudien. Es ging den Fachleuten vor allem darum, die neuronalen Schaltkreise der häufigsten Symptome Impulsivität, emotionale Dysregulation, Beziehungsprobleme und Selbstverletzung zu bestimmen.
Eine neuronale Erklärung für das Gefühlchaos
Die Amygdala – eine Hirnregion, die bei der Verarbeitung von Emotionen eine entscheidende Rolle spielt – war bei Patienten mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung in bildgebenden Studien im Vergleich zu Gesunden sehr aktiv. Dafür war der präfrontale Kortex weniger aktiv. Das könnte das von den Betroffenen erlebte Gefühlchaos erklären und die Schwierigkeiten, Emotionen angemessen zu regulieren. Der präfrontale Kortex ist für höhere kognitive Prozesse wichtig, zum Beispiel wenn wir etwas planen, Probleme lösen oder einen Impuls kontrollieren.
Ein verringertes Volumen der Amygdala im Alter von 13 Jahren oder früher stand mit später entwickelten Borderline-Symptomen in Verbindung und könnte daher möglicherweise als Biomarker für die Entwicklung der Persönlichkeitsstörung genutzt werden.
Funktionelle und anatomische Besonderheiten bei Borderline
Zwischenmenschliche Probleme hingen der Analyse zufolge mit einer Störung im sogenannten Ruhezustandsnetzwerk und bei der Signalübertragung des Hormons Oxytozin zusammen. Das neuronale Netzwerk wird aktiv, wenn Menschen nichts tun und ihren Gedanken freien Lauf lassen, während Oxytozin für die Bindung, das Vertrauen und bei der Stressreduktion eine große Rolle spielt.
Die Mehrheit der Menschen mit Borderline hat in ihrer Kindheit ein Trauma erlebt. Solche Erfahrungen können die HPA-Stressachse (HPA steht für Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) verändern, zu mehr Kortisol im Körper führen sowie zu strukturellen Veränderungen im Hippocampus und im präfrontalen Kortex.
Die Befunde sprechen dafür, dass traumatische Erfahrungen in der Kindheit zu der Persönlichkeitsstörung beitragen. Kindheitstraumata, problematische Bindungsmuster und frühkindlicher Stress könnten die neuronalen Schaltkreise der Emotionsregulation und Impulskontrolle verändern. Außerdem deutet die Übersichtarbeit darauf hin, dass die Betroffenen Selbstverletzung als ungünstige Strategie nutzen, um emotionale Schmerzen und eine traumabedingte Erregung zu regulieren.
Eine Psychotherapie wirkt auch im Gehirn
Lange hielt man die Persönlichkeitsstörung für kaum behandelbar. Inzwischen weiß man, dass das so nicht stimmt. Bestimmte Psychotherapieverfahren können nicht nur die Symptome lindern, sondern auch die Auffälligkeiten in der Reizverarbeitung des Gehirns. Um Betroffenen und ihren Angehörigen in Zukunft effektiver helfen zu können, sei es jedoch wichtig, neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden in die psychotherapeutische Praxis zu integrieren, betonen die Wissenschaftler. Vielversprechende Ansätze sehen sie etwa in traumafokussierten Behandlungen und in Neuromodulationsverfahren. Vor allem die transkranielle Magnetstimulation (TMS) und Neurofeedback hätten das Potenzial, neuronale Netzwerke im Gehirn zu normalisieren.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.