Mentale Gesundheit und Kreativität: »Zeiten ohne Handy und Social Media machen uns freier«

Frau Urner, stimmt es, dass unsere Konzentrationsspanne immer weiter sinkt?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es gibt zwar ein paar Studien, aber man muss methodisch genau hinschauen: Wie wird Konzentration definiert? Wie wird sie gemessen? Welche Aufgaben betrachten wir? Es ist etwas anderes, ob ich eine mathematische Gleichung lösen soll oder ob ich einen Film anschaue und die Konzentrationsaufgabe darin besteht, nicht nebenbei auch noch am Handy zu spielen. Unterm Strich kommt für mich aber klar heraus: Konzentration fällt vielen Menschen heute schwerer als früher.
Wo wird das deutlich?
Die meisten Lehrenden – von der Grundschule bis zur Universität – klagen darüber, dass es sehr viel schwieriger geworden ist, junge Menschen in die Konzentration hineinzubekommen.
Sie sind selbst Hochschullehrerin. Machen Sie diese Erfahrung auch?
Ja. Wenn ich Studierenden beispielsweise eine Aufgabe gebe, die Konzentration erfordert – etwa das Lesen eines Textes, der über einen klassischen »Post« hinausgeht –, haben viele Probleme, sich darauf einzulassen. Das macht mich schon sehr nachdenklich. Ich sehe hier eine doppelte Abwärtsbewegung: Zum einen nimmt die Kompetenz ab, zum anderen aber auch die Bereitschaft. Ich frage mich, ob längere Konzentration noch möglich wäre, wenn sich die Studierenden mehr anstrengen würden.
Was hilft uns dabei, uns zu konzentrieren?
Wichtig ist eine möglichst ablenkungsarme Umgebung. Wenn ich konzentriert an einer Sache arbeiten will, lege ich mein Handy außer Reichweite und stelle es auf stumm. Wer abnehmen möchte, stellt schließlich auch keine Süßigkeiten vor sich hin.
Ist das Handy unsere größte Ablenkungsquelle?
Ich würde sagen: ja, eindeutig.
Handynutzung bedeutet heute meist, in sozialen Medien unterwegs zu sein, zu spielen oder sich Kurzvideos anzusehen – sogenannte Shorts, Reels oder Tiktoks. Inwiefern tragen diese Medien, die von sehr schnellen Reizwechseln leben, dazu bei, dass gerade junge Menschen Mühe haben, sich auf etwas zu konzentrieren?
Es sind nicht nur die Reizüberflutung und die Schnelligkeit. Schon die schiere Präsenz eines digitalen Endgeräts sorgt dafür, dass wir uns schlechter konzentrieren können. Ich beschreibe das gerne mit einem Kreis: In jedem x-beliebigen Moment stehen uns im Prinzip 100 Prozent maximale Aufmerksamkeit zur Verfügung. Wobei Ihre maximale Aufmerksamkeit eine andere ist als meine und sie über den Tag variiert. Dabei spielen etwa Hunger und Müdigkeit eine Rolle. Doch unabhängig davon, wie groß die maximale Aufmerksamkeit eines Menschen gerade ist – wenn ein Handy in greifbarer Nähe ist, steht sie nicht voll zur Verfügung. Das Krasseste daran ist: Das gilt sogar dann, wenn das Handy stummgeschaltet ist und somit gar nicht stören kann.
Das Smartphone raubt uns Konzentration, selbst wenn es aus ist?
So ist es. Eine Studie aus dem Jahr 2023 zeigt sogar: Selbst wenn das Handy komplett ausgeschaltet ist und wir das auch wissen – wenn also nicht unbemerkt der Akku leergelaufen ist –, können wir uns schlechter konzentrieren. Der Effekt sinkt dabei mit dem Abstand zum Gerät. Je weiter das Smartphone weg ist und je weniger sichtbar es für uns ist, desto weniger beeinträchtigt es unsere Aufmerksamkeit. Wer sich also wirklich auf etwas konzentrieren will, verbannt das Smartphone am besten aus dem Raum und – weitaus schwieriger – den Gedanken.
»Wer sich konzentrieren will, verbannt das Smartphone am besten aus dem Raum«
Noch einmal zu den ultraschnellen Schnittfolgen, mit denen Kurzvideos operieren: Wer vorrangig über solche Medien sozialisiert wird, muss vor einem Buch fast zwangsläufig kapitulieren – ist das Ihre Perspektive?
Unser Gehirn ist seit der Steinzeit darauf optimiert, neue Reize wahrzunehmen. So hält es uns am Leben. Passiert irgendetwas, analysiert es sofort, ob Gefahr droht. Auf die Kurzvideos übertragen: Jedes Flackern, jedes neue Geräusch, jeder abrupte Schnitt könnte auf eine Bedrohung hindeuten oder – nicht ganz so wichtig, aber auch relevant – auf potenzielle Nahrungsquellen oder eine Fortpflanzungsgelegenheit. Aus diesem Grund sind wir von diesen Reizmaschinen so gefesselt. Hinzu kommt, dass das Lesen einer Buchseite im Vergleich dazu anstrengend ist. Wirkliches Verstehen erfordert Konzentration und Anstrengung. Die Videos sind also doppelt verlockend: Einerseits nutzen sie unsere fest verdrahteten neuronalen Mechanismen aus, um unsere Aufmerksamkeit zu bannen, andererseits sparen sie uns Anstrengung, die aber wichtig ist, um Neues zu Lernen.
Kennen Sie diese Verlockung auch selbst?
Natürlich, auch ich habe ja so ein »Steinzeithirn« in meinem Kopf. Für mich ist es äußerst verlockend, immer nochmal schnell woanders hinzuklicken, statt den Laptop einfach zuzuklappen. Allerdings bin ich mir sehr bewusst, dass mein Gehirn so funktioniert. Wenn ich konzentriert arbeiten will, schaffe ich mir die erwähnte ablenkungsarme Umgebung: Das Smartphone ist nicht in Reichweite und stummgeschaltet; das E-Mail-Programm und soziale Medien sind geschlossen.
Sind unsere Steinzeitgehirne untauglich für die digitale Welt – oder ist es umgekehrt?
Zumindest sind sie nicht annähernd auf die digitale Welt vorbereitet, so wie wir sie heute gestalten. Das Absurde ist: Wir haben mit unseren Steinzeitgehirnen phänomenale Technologien geschaffen, die unserer Biologie und damit unserer Gesundheit gar nicht guttun. Das ist schon ziemlich verrückt.
»Wir haben mit unseren Steinzeitgehirnen phänomenale Technologien geschaffen, die unserer Gesundheit gar nicht guttun«
Was wäre dagegen zu tun?
Die Technologien an sich sind nichts Schlechtes. Wir brauchen jedoch einen besseren Umgang – eine fortgeschrittenere Kultur – mit ihnen. Eine Navigationsapp ist super – aber nicht, wenn die ständige Nutzung uns die Fähigkeit raubt, in ungewohnter Umgebung auch nur 100 Meter ohne Smartphone zurückzulegen.
Im August 2025 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Diskussionspapier der Nationalakademie Leopoldina Zugangsbeschränkungen für Kinder und Jugendliche gefordert. Kein Social Media Account vor dem 13. Lebensjahr und für 13- bis 15-Jährige nur mit Zustimmung der Eltern. Was halten Sie davon?
Wenn unser Ziel darin besteht, Menschen möglichst gut auszubilden – kritisches Denken, Zusammenhänge verstehen, eine gute ausgeprägte Analysefähigkeit und so weiter –, dann ist ein solches Verbot aus meiner Sicht sinnvoll, gemessen am Forschungsstand der Neuro- und Verhaltenswissenschaften. »Verbot« darf aber nicht heißen, dass wir die Technologien aus dem Unterricht verbannen. So kann es beispielsweise Tage geben, an denen Lehrerinnen und Lehrer wissen: Heute wird mit dem Handy gelernt, und zwar auf sinnvolle Weise. Dieses Lernen sollten sie dann gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern reflektieren: Was war anders, und was hat es mit uns gemacht?
Sind 13 Jahre denn eine sinnvolle Altersgrenze für Social Media? Das Australische Parlament hat 2024 die Grenze sogar auf 16 Jahre gelegt …
Ich bin keine Bildungspolitikerin, ich kann nur sagen, was neurowissenschaftlich sinnvoll erscheint. Letztendlich muss die Gesellschaft dies aushandeln. Aus empirischer Sicht erscheint mir eine Altersgrenze im Jugendalter plausibel – wo sie genau festgelegt wird, ist eine gesamtgesellschaftliche Fragestellung. Fest steht: Vor dem 16. Lebensjahr liegen sehr prägende Jahre der Identitätsentwicklung während der Pubertät. Dabei haben auch die gewählten Peer-Groups einen großen Einfluss. Genau hier liegen die großen Gefahren von Social Media. Eines ist mir in diesem Zusammenhang aber sehr wichtig: Wir sollten nicht von einem Verbot sprechen.
Diese Vokabel durchzieht aber die öffentliche Diskussion.
Was verboten ist, wird für viele Jugendliche – und für Menschen generell – erst recht reizvoll. Tatsächlich besteht der mögliche Gewinn einer entsprechenden Handhabung ja in einer neuen Freiheit, die den Kindern und Jugendlichen dadurch gegeben wird. Denn Zeiten ohne Handy und Social Media machen uns freier und häufig auch zufriedener. Das merkt man schon an unserem Sprachgebrauch. Manche Leute sprechen von ihrem Diensthandy als einer elektronischen Fußfessel. Oder wir sagen, dass das Handy uns versklavt. Ich habe Studierende auch schon mal herausgefordert, eine Woche lang täglich für eine halbe Stunde ohne technische Endgeräte vor die Tür zu gehen. Hinterher erzählten sie mir überrascht, dass sie Vogelstimmen gehört haben und ihre Umgebung viel intensiver wahrgenommen haben als sonst. Das mag fast kitschig klingen, aber genauso funktioniert unser Gehirn. Denken Sie an die 100 Prozent. Wenn das Smartphone dabei ist, gehen x Prozent dafür drauf, und man hört eben keine Vögel singen.
»Die ständige digitale Reizüberflutung raubt uns die besten Ideen«
Die Vögel sind für Sie eine Chiffre für all die Dinge, die uns entgehen, wenn wir ständig mit starrem Blick aufs Handy durchs Leben gehen, oder?
Ja, richtig. Jetzt kommen wir zu einem entscheidenden Punkt: Das Handy verhindert Kreativität. Doch gerade Kreativität und Neugier sind es, die uns als Spezies ausmachen. Ökonomisch betrachtet sprechen wir hier von Innovation. Als Neurowissenschaftlerin weiß ich: Wir brauchen diesen Leerlauf von Zeit zu Zeit, der streng genommen alles andere als ein Leerlauf ist, weil auf neuronaler Ebene ganz viel passiert. Die ständige digitale Reizüberflutung raubt uns die besten Ideen.
Höre ich da so etwas wie ein Lob der Langeweile heraus?
Wenn Sie wollen … Langeweile und Tagträumen sind essenziell. Unser Gehirn ist kein Computer, in dem wir Informationen speichern, löschen und so weiter. Die Verarbeitung im Gehirn endet nicht mit der Informationsaufnahme. Aus diesem Grund schlafen wir ja auch: damit die Informationsverarbeitung in Ruhe weitergehen kann. Und diese Verarbeitung braucht Phasen mit wenig Input – oder nur mit dem Gesang von Vögeln, bildhaft gesprochen. Jeder, der schon einmal versucht hat, etwas Kreatives zu Papier zu bringen, weiß aus Erfahrung, dass es genau solche Momente braucht.
Kommen wir noch einmal auf die Hirnentwicklung zurück. Wie ist das mit Kleinkindern und digitalen Medien?
Die Veränderbarkeit des Gehirns – die Neuroplastizität – ist in den ersten Lebensjahren am größten. Deshalb sind sie so entscheidend. Babys und kleine Kinder brauchen kaum mehr als menschliche Ansprache und enge Bezugspersonen. Bis zum Alter von zwei Jahren sollten Kinder absolut gar keine Bildschirmzeit haben, da dies ihrer Hirnentwicklung nicht förderlich ist. So zeigte eine Studie mit Kindern unter zwei Jahren beispielsweise eine Korrelation zwischen Bildschirmnutzung und abnormaler sensorischer Verarbeitung.
Und danach?
Danach ist, wie bei fast allen Dingen im Leben, nicht nur das Wieviel, sondern vor allem auch das Was entscheidend: Geben wir Kindern ein Handy oder Tablet zur Ablenkung und Ruhigstellung? Oder geht es um edukative, interaktive Formate, bei denen auch etwas vermittelt wird?
Lässt sich auf neuronaler Ebene feststellen, dass die Hirnentwicklung bei Kindergarten- oder Grundschulkindern heute anders verläuft als vor der Zeit von Smartphones und Tablets?
Das ist methodisch äußerst schwierig zu fassen. Erstens sind bildgebende Verfahren noch verhältnismäßig jung, sodass Daten aus der Zeit vor den Bildschirmen schlichtweg nicht vorhanden sind. Zweitens sind Studien mit sehr jungen Kindern sehr aufwändig und methodisch herausfordernd. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können einem zweijährigen Kind keine klassischen Aufgaben stellen. Drittens ist die Hirnentwicklung bereits von Kind zu Kind sehr individuell. Ein wenig einfacher ist es mit Verhaltensdaten. Das Verhalten ist nichts anderes als eine andere Perspektive auf das, was im Gehirn passiert. Und hier hat sich sehr viel verändert. Von den Konzentrationsproblemen hatten wir es ja bereits.
Inwiefern beeinflusst die Art unseres Medienkonsums die Stressverarbeitung und unsere Emotionsregulation?
Hier wirkt sich vor allem der Konsum negativer Nachrichten aus. Wenn wir Newsclips mit negativen Meldungen schauen, versetzt das die meisten von uns in einen ängstlicheren Zustand. Das ist sowohl auf der Verhaltensebene als auch an körperlichen Reaktionen messbar. Studien zeigen sogar, dass unser IQ sinkt, wenn wir viele belastende Nachrichten aufnehmen. Wir sind dann also schlechter in der Lage, unsere kognitiven Fähigkeiten auch wirklich zu nutzen. Aus neurowissenschaftlicher Sicht leuchtet das ein: Wenn wir Angst haben, wollen wir ja nicht darüber nachdenken, ob bei einer IQ-Testaufgabe das eine Quadrat in das andere hineinpasst, sondern wir wollen im Jetzt und Hier überleben. Und dafür benötigen wir andere Dinge, zum Beispiel die Mobilisierung der Muskeln und des sympathischen Nervensystems, um zu kämpfen oder zu flüchten. In einem Zustand der Angst, wenn es über moderate ängstliche Erregung hinausgeht, stehen mir schlicht und ergreifend weniger Ressourcen zur Verfügung, um komplexe höhere Aufgaben zu lösen.
TV-Tipp
Maren Urner im Gespräch mit Alena Buyx und weiteren Experten. Die Sendung entstand in redaktioneller Zusammenarbeit mit Spektrum der Wissenschaft und dem NeuroForum Frankfurt 2025 der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Auf 3sat am 16.10.2025 um 21 Uhr.
Angesichts der oft bedrückenden Weltnachrichten fahren manche Menschen ihren Nachrichtenkonsum ganz gezielt herunter …
Wir nennen das »News Avoidance«, und die wächst deutlich, wie der jährlich erscheinende »Digital News Report« zeigt. 40 Prozent der Erwachsenen weltweit sagen heute von sich, dass sie manchmal oder oft die Nachrichten meiden, 2017 waren es nur 17 Prozent. Die Menschen leiden unter dem fehlenden Fokus auf Lösungen und unter dem Ohnmachtsgefühl, selbst nichts gegen die vielfältigen Probleme in der Welt ausrichten zu können.
Es gibt aber auch das Gegenteil: das unentwegte Konsumieren negativer Nachrichten. Ist »Doomscrolling« schon eine Vorstufe von Sucht?
Tatsächlich geraten mehr und mehr Menschen in diese Negativschleifen und können nur sehr schwer wieder aus ihnen ausbrechen. Auch das ist neurowissenschaftlich gut erklärbar. Es ist ähnlich wie bei der Reizdichte in Videos. Unser Gehirn ist darauf optimiert, immer wieder Neues zu suchen. Wenn die Zeit gerade nur langsam vergeht, langweilt es sich beziehungsweise muss selbst neue Ideen entwickeln, was ja etwas Gutes ist. Ganz ähnlich ist es bei negativen Nachrichten, die unsere Aufmerksamkeit wie magisch anziehen. Wir alle unterliegen einem »Negativity Bias«: Wir sind von Natur aus empfänglicher für Negatives. Das kann in der Tat bis zur Abhängigkeit führen – wenngleich es in den offiziellen medizinischen Diagnosemanualen noch keine entsprechende Klassifizierung dafür gibt. Das kommt vielleicht noch.
Was macht Doomscrolling speziell mit jungen Menschen?
Nicht nur, aber überdurchschnittlich häufig sind junge Menschen betroffen. Sie kommen nicht zur Ruhe, können ihr Handy nicht aus der Hand legen und finden nicht aus dem Doomscrolling heraus. Eine gefährliche Folge ist dann mangelnde Schlafqualität: Einschlafdauer und Schlaflänge verschlechtern sich. Das ist problematisch, da guter Schlaf gerade bei Teenagern wichtig für die Hirnentwicklung ist.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Depressionen oder Angststörungen?
Ja, dazu gibt es viel Forschung. Schon frühe Studien haben ergeben, dass eine lange Nutzung sozialer Medien statistisch gesehen mit mehr Depressionen und Angststörungen bei Jugendlichen einhergeht. Heute wissen wir zudem, dass nicht nur die Gesamtbildschirmzeit, sondern auch die Häufigkeit der Nutzung eine Rolle spielt. Wenn ich das Handy zehn Minuten am Stück nutze, ist das nicht so schlimm, als wenn ich es 100-mal für sechs Sekunden nutze. Allerdings ist es aus methodischen Gründen sehr schwierig, eindeutige Ursachen und Wirkungen auszumachen. Meist handelt es sich um Korrelationsstudien: Die Phänomene »viel Bildschirmzeit« und »viele psychische Störungen« treten häufiger gleichzeitig auf. Aber ob das eine das andere bewirkt oder ob es weitere Phänomene gibt, die beides bewirken, können wir nicht mit Gewissheit sagen. Dass sich die mentale Gesundheit junger Menschen verschlechtert hat, ist allerdings eine Tatsache.
Welche Inhalte in sozialen Medien sind denn besonders problematisch?
In meiner Zeit als Professorin für Medienpsychologie habe ich mit meinen Studierenden ein Seminar durchgeführt, in dem wir Schönheitsideale auf Instagram analysiert haben. Was die Studierenden dabei recherchiert und in Referaten präsentiert haben, hat mich zutiefst schockiert. Dieser Hyperathletismus bei Jungs und dieser extreme Schlankheitswahn bei Mädchen sind komplett absurd, krank und einfach nur traurig.
»Die meisten Apps und Plattformen machen uns entsprechend unfreier«
Wie sind Ihre Studierenden damit umgegangen?
Sie haben das sehr kritisch hinterfragt, ich war richtig stolz auf sie. Dennoch blieb ein schaler Beigeschmack. Wir hatten es ja schon davon: Unsere wichtigste Ressource ist Aufmerksamkeit. Wenn ich meine Studierenden dazu bringe, sich mit solchen Bildern und Videos auseinanderzusetzen, ist nie ganz klar, ob diese Beschäftigung am Ende nicht dazu führt, dass sie sich die analysierten »Schönheitsideale« auch selbst aneignen. Unser Gehirn lernt schließlich vor allem durch Wiederholungen. Wenn jemand diese schrecklichen Videos also zehnmal angeschaut hat, kommt dann nicht irgendwann der Moment, in dem er oder sie denkt: »Vielleicht sollte ich auch mal mit einer Diät beginnen, um so auszusehen?«
Sie fordern mehr digitale Selbstbestimmung. Wie könnte das aussehen?
Unsere jetzige Kultur ist stark von Technologien geprägt, die wir zwar selbst geschaffen haben, denen wir aber weitestgehend ausgeliefert sind – da sie von großen Unternehmen so programmiert werden, dass sie unsere Aufmerksamkeit möglichst lange in Anspruch nehmen. Die meisten Apps und Plattformen, die uns zur Verfügung stehen, machen uns entsprechend unfreier. Wenn mir der Algorithmus Inhalte präsentiert und mich zum Interagieren bringt, dann ist das oft nicht selbstbestimmt. Daher brauchen wir mehr Regulierung – die ich allerdings Zuwachs an Freiheit nennen würde. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, in einer Welt der permanenten Reizüberflutung unserer seelischen und körperlichen Gesundheit bestmöglich zu dienen. Hier brauchen wir bessere Regeln, die es uns einfacher machen, »nett« zu uns und unserem Gehirn zu sein.
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