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Coronatest: Was der Ct-Wert über die Ansteckungskraft verrät

Ist der Coronatest positiv, muss der Infizierte in Isolation. Doch für wie lange? Der Ct-Wert soll helfen, die Ansteckungsgefahr zu ermitteln. Aber das Maß eignet sich nur bedingt.
Wann eine häusliche Quarantäne beendet werden darf, entscheidet das zuständige Gesundheitsamt.

Zwei Tage nach ihrer Ankunft in Taipeh fühlte sich die Frau krank. Ihr Fieber war moderat, wie ihre Ärztinnen und Ärzte vom National Taiwan University Hospital berichten. Husten oder andere Beschwerden hatte sie nicht. Blutwerte und ein Röntgenbild der Lunge – unauffällig. Doch da die Frau aus Wuhan angereist war, beschlossen die Ärzte, vorsichtshalber einen PCR-Test zu machen. Das Ergebnis: Sars-CoV-2 positiv.

In den folgenden Tagen ließen die Symptome rasch nach, am 9. Tag war sie fieberfrei und ab dem 15. Tag wurde in Abstrichen, Hustensekret oder Mundspülungen der Frau kein lebensfähiges Virus mehr gefunden. Trotzdem musste sie noch viele Tage auf der Isolierstation bleiben, weil ihre PCR-Tests bis zu Tag 60 nach Symptombeginn positiv blieben. Die ungeklärte, aber für alle Infizierten letztlich entscheidende Frage: War die Coronavirus-Patientin noch ansteckend, oder war die lange Isolation unnötig?

Wer positiv auf Corona getestet ist, muss nicht zwangsläufig ansteckend sein, also infektiös. Eine PCR testet nämlich nicht nur auf lebensfähige Viruspartikel, sondern auf Virus-RNA. Und die kann noch nachweisbar sein, wenn sich das Virus längst nicht mehr vermehren kann. Experten schlagen deshalb vor, einen bestimmten Kennwert der PCR zu nutzen, um die Ansteckungsfähigkeit eines Infizierten abzuschätzen: den Ct-Wert. Doch das Maß hat seine Tücken.

Der Ct-Wert ist keine feste Größe

Bei einem typischen PCR-Test auf das neuartige Coronavirus wird ein Verfahren namens RT-qPCR genutzt. Dabei wird Viruserbgut aus einer Probe, etwa einem Rachenabstrich, in einen DNA-Doppelstrang übersetzt und in wiederholten Temperaturzyklen vermehrt. In jedem Zyklus verdoppelt sich die Zahl der DNA-Stränge. Markiert wird sie mit fluoreszierenden Signalmolekülen, die perfekt an eine ausgewählte Gensequenz passen, die im Coronavirus vorkommt. So nimmt mit der Zahl der DNA-Stränge auch das Fluoreszenzsignal zu. Es wird aber erst nach einer bestimmten Zahl von Temperaturzyklen messbar. Dieser Schwellenwert ist der Ct-Wert.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Der Wert ist keine feste Größe. Wenn zum Beispiel in einer Probe viele Viren vorhanden sind, beginnt die PCR ihre Zyklen auch mit einer größeren Ausgangsmenge DNA. Die Folge: Die Fluoreszenz wird bereits nach weniger Zyklen messbar, und der Ct-Wert ist geringer. Ist dagegen wenig Virus in der Probe, braucht die PCR länger, um das Signal zu erzeugen. Im Prinzip also kann man aus dem Ct-Wert ablesen, wie hoch die Viruslast im Rachen war, aus dem die Probe kam. Je höher der Ct-Wert, desto geringer die Ausgangsmenge Virus und umgekehrt. Im Prinzip.

»Ist der Abstrich schlecht gemacht, haben Sie in der Probe sofort eine geringere Viruslast und damit auch einen höheren Ct-Wert«Ortwin Adams, Virologe

»Die Idee kommt eigentlich aus der Viruslast-Bestimmung bei chronischen Erkrankungen wie HIV oder Hepatitis-C«, sagt Professor Ortwin Adams vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. »Dabei wird im Gegensatz zu Sars-CoV-2 Blutplasma als Probenmaterial genutzt.« Im Plasma sei die gemessene Viruskonzentration recht konstant. In Rachenabstrichen schwanke sie dagegen erheblich, unter anderem abhängig von der Technik der Probenentnahme, erklärt der Virologe. »Ist der Abstrich schlecht gemacht, haben Sie in der Probe sofort eine geringere Viruslast und damit auch einen höheren Ct-Wert«, sagt Adams.

Ein hoher Ct-Wert bedeutet also nicht zwangsläufig, dass ein Patient eine geringe Viruslast im Rachen hat. Wohl deshalb warnen medizinische Labore davor, Ct-Werte der Sars-CoV-2-PCR falsch zu interpretieren. Das MVZ Labor in Ravensburg etwa schreibt in einem Infoblatt für Ärzte, neben einer abklingenden oder schwachen Infektion komme auch eine »nicht optimale Probenentnahme« als Ursache für hohe Ct-Werte in Betracht. Schlimmstenfalls könnte man auf diese Weise also ansteckende Patienten als virenfrei testen.

Die Viruslast sagt nur bedingt etwas über die Ansteckungsgefahr

Aber selbst bei einer perfekten Probenentnahme lässt der Ct-Wert nicht ohne Weiteres auf eine bestimmte Menge an infektiösem Virus im Rachen schließen. Denn das Testverfahren schlägt zwar auf lebensfähige Viren an, aber auch auf Erreger, die sich nicht mehr vermehren können. Und die kommen nicht nur nach dem Ende einer Infektion als Überbleibsel vor.

»Die Virusreplikation in unseren Zellen ist bei vielen RNA-Viren sehr ineffizient«, sagt Adams. Zum Beispiel sei bei einer Polio-Infektion nur ein kleiner Anteil der Viruspartikel, die aus Körperzellen austreten, überhaupt lebensfähig. Der Rest ist gewissermaßen tote Virus-RNA. Die aber wird bei einer RT-qPCR genauso übersetzt und vermehrt. »Wir messen immer beide Arten von RNA mit«, sagt Adams.

Das Verhältnis von Ct-Wert und Viruslast ist also zumindest beim Rachenabstrich schwierig zu bestimmen. Zudem lässt sich nicht einfach sagen, dass besonders ansteckend ist, wer eine bestimmte Menge Viren im Rachen hat. Es gibt nämlich noch andere Faktoren: anatomische Besonderheiten oder wie empfänglich das Gegenüber beispielsweise reagiert. Obendrein sind verschiedene PCR-Geräte unterschiedlich empfindlich. Das macht die Ergebnisse von verschiedenen Laboren schlecht vergleichbar.

Unwägbar, aber nicht wertlos

Trotz dieser Tücken könnte der Ct-Wert bei der Pandemie-Bekämpfung helfen. In den vergangenen Monaten konnten einige Forschungsgruppen einen groben Zusammenhang zwischen Ct-Wert und Ansteckungsfähigkeit von Probenmaterial bestimmen. Zum Beispiel berichtete eine Gruppe von der University of Manitoba, Kanada, im Mai im »Journal Clinical Infectious Diseases«, dass sie ab einem Ct-Wert von mehr als 24 aus dem Probenmaterial kein Virus mehr in Zellkultur anzüchten konnten. Auch das Robert Koch-Institut schreibt in seinen »Hinweisen zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2«, Studien legten einen »Zusammenhang zwischen Ct-Wert in der RT-PCR und Anzüchtbarkeit in Zellkultur« nahe. Je nach Testsystem ließe sich aus diesen Daten ein »Cutoff« ableiten, also ein Ct-Wert, ab dem ein Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht infektiös sei. Laut RKI liegen mögliche Cutoffs zwischen 31 und 34.

»Mit solchen Werten ist man nicht 100 Prozent auf der sicheren Seite«, sagt Adams. Wenn aber Zellkultur-Experimente zeigten, dass Proben ab einem bestimmten Ct-Wert kaum noch lebensfähige Viren enthalten, dann seien Infizierte mit darüberliegenden Werten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ansteckend. Zudem könnten sehr geringe Ct-Werte auch dazu genutzt werden, Superspreader zu erkennen, die 1000- bis 10 000-mal mehr Virus ausschneiden als die meisten anderen Infizierten. Es wäre daher sinnvoll, dass jedes Labor dem Gesundheitsamt das Testergebnis samt Ct-Wert mitteilt.

»Nichts ist im Augenblick perfekt«, sagt der Virologe, »aber wir müssen jetzt pragmatisch alle Möglichkeiten nutzen, die wir haben«.

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