Direkt zum Inhalt

Bedrohlicher Bebenschwarm: Was die Erdbeben auf Santorini bedeuten

Eine Serie von Erdbeben erschüttert ein untermeerisches Vulkangebiet. Droht ein Ausbruch, ein Starkbeben oder gar ein katastrophaler Tsunami – oder passiert womöglich gar nichts?
Blick auf die malerische Insel Santorini in Griechenland mit der charakteristischen Architektur der weißen Gebäude und Kuppeln im Vordergrund. Im Hintergrund ist die Vulkaninsel Nea Kameni im tiefblauen Meer zu sehen. Die Szene wird von einem klaren Himmel überragt, der die ruhige und idyllische Atmosphäre der Region unterstreicht.
Santorini mit seinem riesigen Vulkankrater liegt in einer geologisch sehr aktiven Region der Erde.

Ein ungewöhnlicher Erdbebenschwarm am Meeresboden der Ägäis zwischen den Inseln Santorini und Amorgos weckt Befürchtungen, ein Starkbeben oder Vulkanausbruch könne bevorstehen. Mehr als 200 Beben binnen 48 Stunden, darunter mittelschwere Beben mit Magnituden um 5, trafen die Region zwischen dem 1. und dem 3. Februar. Laut Medienberichten verlassen viele Menschen die beliebte Ferieninsel. Fachleute spekulieren, der Schwarm könnte ein schweres Erdbeben ankündigen. Gefahr droht auch von einem nahe gelegenen Unterwasservulkan, dessen Magmakammer das Potenzial einer verheerenden Explosion birgt. In beiden Fällen drohen zusätzlich Tsunamis.

Die Beben finden in einer vulkanisch und seismisch sehr aktiven Region statt, dem Christiana-Santorini-Kolumbo-Vulkanfeld, zu dem auch Santorini gehört. Nordöstlich von Santorini erstreckt sich eine Kette von mehr als 20 untermeerischen Vulkanschloten, von denen der größte der rund 500 Meter hohe Kolumbo ist. Die aktuellen Beben finden unter einem Teil dieser Kette statt und könnten möglicherweise einen Ausbruch auslösen. Gleichzeitig durchziehen mehrere Verwerfungen – Bruchzonen in der Erdkruste – die Region, die Erdbeben der Magnitude 7 und mehr hervorbringen können.

»Es scheint sich bisher um tektonische Beben an den typischen Störungszonen der Region zu handeln«, erklärt der Geophysiker Joachim Ritter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). »Aber gleichzeitig haben wir dort den Kolumbo-Vulkan, dessen Magmakammer Gesteinsschmelze in der Größenordnung von einem Kubikkilometer enthält.« Auch ein verheerendes Erdbeben sei nicht auszuschließen, fügt der Forscher hinzu, denn der Schwarm sei ungewöhnlich stark für die Region. »Ein Erdbebenschwarm dieser Größenordnung ist dort eigentlich nicht bekannt. Seit Januar hatten wir über 70 Beben der Magnitude 4 und stärker, und inzwischen auch Magnitude 5.«

In Griechenland und der Ägäis treten allerdings immer wieder solche Schwarmbeben auf – ohne dass darauf starke Erdbeben folgen. 2017 erreichten einige Erschütterungen eines Bebenschwarms an der türkischen Küste über Magnitude 5, ebenso ein Bebenschwarm im Jahr 2022 nahe der Insel Nisiros, nur 150 Kilometer östlich von Santorini. Tatsächlich gab es auch am Christiana-Santorini-Kolumbo-Vulkanfeld immer wieder Schwärme von Beben, zuletzt 2021. Man wisse eben nicht, ob das ein Schwarm bleibe oder eine große Vorbebenserie vor einem Hauptbeben sei, sagt Ritter.

Die Gefahr ist real

In der Vergangenheit haben die Verwerfungen in der Region bereits schwere Erdbeben hervorgebracht. Im Jahr 1956 trafen zwei schwere Beben der Magnitude 7,7 und 7,2 Santorini, ein Tsunami verheerte die Küste. Dutzende Menschen starben. Diese Vorgeschichte griffen lokale Medien auch während des aktuellen Bebenschwarms wieder auf. Und der Vulkan Kolumbo verursachte 1650 ebenfalls einen schweren Tsunami, bei dem Menschen starben. Nicht zuletzt können sogar vergleichsweise schwache Erdbeben eines Schwarms Gebäude beschädigen und Erdrutsche auslösen. Die Gefahr auf Santorini ist real.

Wie akut sie allerdings ist, weiß man nicht. »An diesem Punkt ist es sehr schwierig, den Erdbebenschwarm wissenschaftlich zu bewerten«, erklärt der Geologe Stéphane Guillot vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Frankreich. »Manchmal geht ein Erdbebenschwarm auch einem großen Beben voraus. Doch das ist nicht allzu häufig.« Andererseits, berichtet der Forscher, seien auch von Magma ausgelöste Beben in der Region registriert worden. »Es ist auch vorstellbar, dass eine Magmakammer in etwa zehn Kilometer Tiefe derzeit mit Gesteinsschmelze aus dem Erdmantel aufgefüllt wird«, sagt er. »Es ist aber noch zu früh, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden.«

Die Erdkruste unter der Ägäis ist so sehr in Bewegung, weil sie direkt in einer kontinentalen Kollisionszone liegt. Hier stößt Afrika mit Eurasien zusammen und schiebt den Meeresboden an seiner Vorderseite gegen Kreta. Das Gestein des Meeresbodens ist dichter und schwerer als das Kontinentgestein, so dass die ozeanische Kruste überfahren wird und in dem Tiefseegraben vor Kreta in den Erdmantel abtaucht. Dabei entsteht in der Tiefe Magma, das die Vulkane des Kykladenbogens speist – darunter Santorini und den untermeerischen Vulkan Kolumbo.

Afrika zerrt die Erdkruste auseinander

Ungewöhnlich an der Ägäis ist, dass die Kollision dort die Erdkruste eben nicht zusammendrückt, sondern dehnt. Das liegt daran, dass der kalte, schwere afrikanische Meeresboden schneller in den Erdmantel abtaucht, als er nach Norden vorrückt. Dadurch entsteht an seiner Vorderseite quasi eine Lücke, in die der Rand des eurasischen Kontinents hineinrutscht. Die gesamte Ägäis dehnt sich wie auseinandergezogener Pizzateig und ist dadurch in viele unterschiedliche Blöcke zerbrochen.

Einige dieser Blöcke rutschen entlang großer Bruchzonen in die Tiefe und bilden hunderte Meter tiefe Tröge, während die hochstehenden Blöcke als Inseln über die Wasseroberfläche ragen. Südlich dieser ägäischen Inselwelt erstreckt sich der Kykladenbogen, eine halbmondförmige Serie von aktiven und erloschenen Vulkanen. Die Insel Amorgos ist ein über das Meer ragendes Bruchstück der gedehnten Erdkruste, während Santorini Teil des Vulkanbogens ist.

Das Problem mit Erdbebenschwärmen wie nun bei Santorini ist, dass sie keinen einfachen Regeln folgen. Seit dem Beginn am 27. Januar ist die Magnitude der stärksten Beben zwar von 2,5 auf 5 gestiegen – das heißt, sie setzen rund 6000-mal mehr Energie frei –, doch es ist keineswegs gesagt, dass sich dieser Trend fortsetzt. Man geht davon aus, dass die meisten derartigen Bebenschwärme entstehen, weil tief im Untergrund Wasser und Gase in die Verwerfungszone eindringen und dort den Druck erhöhen. Sie stemmen das Gestein auseinander, so dass es leichter gegeneinandergleiten kann und dabei kleinere Erdbeben auslöst. Weil solche Prozesse nur relativ kleine Gesteinsbereiche betreffen, bleiben die entstehenden Beben vergleichsweise schwach.

Hören die Beben einfach wieder auf?

Historisch lösten Erdbebenschwärme deshalb nur sehr selten schwere Beben aus. Eines der wenigen Beispiele ist das schwere Noto-Erdbeben vom 1. Januar 2024, das Teil einer mehrere Monate langen Serie kleinerer Erschütterungen war. Die allermeisten Bebenschwärme laufen nach ein paar Wochen aus. Es gibt jedoch die Hypothese, dass sie manchmal langfristig mit späteren schweren Ereignissen in einem Umkreis von einigen Dutzend Kilometern zusammenhängen könnten. Ob sie zutrifft, wird sich in der häufig von Erdbeben erschütterten Ägäis kaum beweisen lassen.

Ebenso unklar ist, ob die Erschütterungen in der Erdkruste wirklich die Vulkane unter dem Meer ausbrechen lassen können. Zwar gehen Vulkanausbrüchen oft Erdbebenschwärme voran. Allerdings entstehen diese durch aufsteigendes Magma – eine Besonderheit, die sich klar in den Erdbebenwellen abzeichnet. Gesteinsschmelze in einem Vulkan verursacht charakteristische Signale, die man als »Tornillos« bezeichnet, nach der schraubenförmigen Gestalt ihrer Spur in Messgeräten. Die Beben vor Santorini zeigen jedoch die klassischen Merkmale aneinanderreibender Gesteinspakete.

Doch auch solche Beben können Vulkanausbrüche auslösen. Dann nämlich, wenn ein Vulkan ohnehin vor einem Ausbruch steht und die Bebenwellen den letzten Impuls geben, der das Magma in Bewegung versetzt. »Die seismischen Wellen können dem Magma Wege öffnen oder auch den Druck im Magmareservoir des Vulkans ändern und dadurch eine Eruption auslösen«, erklärt Joachim Ritter vom KIT. Grundsätzlich kommt so etwas selten vor, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Bebenschwarm den Kolumbo-Vulkan aktiviert, gilt als gering. Im Jahr 2022 warnte allerdings ein Team um Kajetan Chrapkiewicz vom Imperial College London ebenfalls vor dem Unterwasservulkan. Er könnte, wie die Arbeitsgruppe schreibt, »in naher Zukunft einen hochexplosiven, Tsunamis erzeugenden Ausbruch auslösen«.

Joachim Ritter sieht deswegen die aktuellen Maßnahmen zum Katastrophenschutz auf der Insel als durchaus gerechtfertigt an. »Es gab sowohl beim Kolumbo-Ausbruch 1650 als auch beim Erdbeben 1956 bis zu 20 Meter hohe Tsunamis, die ja auch in großer Entfernung noch Schäden anrichten können. Und an den steilen Hängen der Insel kann es zu gefährlichen Felsstürzen kommen«, gibt er zu bedenken. »Man muss die Leute wegbringen, die potenziell gefährdet sind.«

Doch es kann auch sein, dass gar nichts passiert. Dieser Erdbebenschwarm ist der dritte, der in den letzten 25 Jahren unter den Vulkanen auftrat. Er könnte beispielsweise mit in großer Tiefe aufsteigendem Magma zu tun haben. Das setzt womöglich vulkanische Gase frei, die eine nahe gelegene Bruchzone als Weg des geringsten Widerstands nutzen – und sie damit aktivieren. Ein solcher Prozess wäre weder der Auftakt zu einem schweren Erdbeben noch würde er einen bevorstehenden Vulkanausbruch ankündigen. Die Beben von Santorini würden dann in ein paar Wochen wieder nachlassen, wie viele Bebenschwärme vor ihnen. Klar ist aber auch: Die Ägäis ist eine der instabilsten Regionen des Planeten. Die Erde wird wieder beben, und Vulkane werden wieder ausbrechen.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.