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Rekordtemperaturen: Was die Juni-Hitze außergewöhnlich macht

Eine gigantische Welle zieht sich von Nordamerika nach Europa - und bringt Temperaturen, die man so eher aus dem August kennt. Doch Hitze im Juni ist gefährlicher, wie Studien zeigen.
Drei Personen in Badebekleidung sitzen im Freibad am Beckenrand.

Während sich Facebook-Kommentatoren gegenseitig versichern, dass »es im Sommer schon immer warm war«, sind Fachleute sich einig: Die aktuelle Juni-Hitze hat das Zeug, Rekorde in ganz Europa zu brechen. Auf dem Höhepunkt der Hitze zwischen Mittwoch und Freitag sollen die Temperaturen in einem breiten Streifen von Spanien bis weit nach Osteuropa hinein um bis zu 20 Grad über den langjährigen Monatsdurchschnitt steigen. Große Teile des Kontinents werden Höchsttemperaturen von 35 bis 40 Grad erreichen, an einigen Orten wird es wohl sogar noch heißer.

Möglicherweise fallen deswegen nicht nur die Rekorde für den Monat Juni, die nächsten Tage könnten manchen Regionen die höchsten jemals gemessenen Werte bringen – über den bisherigen Spitzenwerten der eigentlich heißeren Monate Juli und August.

Durch die hohen Temperaturen hat das Freibadwetter allerdings auch eine dunkle Seite. Solche heißen Phasen töten mehr Menschen als alle anderen Wetterkatastrophen. In der dreiwöchigen Sommerhitze von 2003 etwa starben insgesamt 70 000 Menschen.

Hitzewellen sind unauffällige Killer, die ihre Spuren im statistischen Rauschen verbergen. Während die Todesopfer eines Sturms oder einer Flut schnell gezählt sind, zeigt sich bei hohen Temperaturen der Effekt erst nach und nach. Besonders bedroht sind, unter anderem weil sie ohnehin meistens zu wenig trinken, ältere Menschen, die allein und in relativer Armut leben – und bei dieser Bevölkerungsgruppe fällt die höhere Sterblichkeit am wenigsten auf.

Hitzewellen töten leise

Zusätzlich sind Hitzewellen im Juni allgemein gefährlicher als jene später im Jahr. Studien in Europa und den USA zeigen, dass bei den ersten Hitzewellen im Juni fast doppelt so viele Menschen zusätzlich sterben wie bei vergleichbaren Ereignissen in Juli oder August, obwohl es später im Jahr wärmer ist. Der Grund ist vermutlich, dass man dann bereits an die wärmeren Temperaturen gewöhnt ist.

Für die gefährdeten Bevölkerungsgruppen ist die Juni-Hitze deswegen ein gefährlicher Doppelschlag: Sie trifft nicht nur auf weniger vorbereitete Menschen, sondern könnte auch vergleichbare Ereignisse in den eigentlich wärmeren Monaten in den Schatten stellen. Aktuelle Modellrechnungen deuten jedenfalls eindeutig in Richtung Rekordtemperaturen. Bis zu 30 Grad heiß werde die Luft in Frankreich sogar noch etwa 1500 Meter über dem Erdboden; das sei der höchste Wert seit Beginn der Messungen und für den Monat Juni beispiellos, schreibt der finnische Meteorologe Mika Rantanen.

Die ungewöhnliche Juni-Hitze verdanken wir einer seltenen Kombination großräumiger atmosphärischer Einflüsse, die bis an die Rocky Mountains reichen und gemeinsam ein Stück Atmosphäre aus Nordafrika über 2000 Kilometer nach Norden verschieben.

Zum einen befindet sich die Nordatlantische Oszillation (NAO) seit Wochen in einer negativen Phase. Das bedeutet, dass die beiden wichtigsten Wettermaschinen für Europa, Azorenhoch und Islandtief, nur schwach ausgeprägt sind. Tatsächlich befindet sich jenes Tiefdruckgebiet vor der Iberischen Halbinsel, das derzeit heiße Luft aus Nordafrika nach Mitteleuropa treibt, genau dort, wo normalerweise das Azorenhoch waltet.

Wellen aus den Rocky Mountains

Diese Schwächung hat weit reichende Folgen. Die beiden Phänomene treiben – sofern der Druckunterschied zwischen ihnen hoch ist, was der positiven Phase der NAO entspricht – Luftmassen vom Atlantik nach Europa und bringen wechselhaftes Wetter. Dagegen begünstigt die negative Phase der NAO längere stabile Wetterlagen in Europa. Grund dafür ist der Jetstream, der schwächer wird und ausladende Schlaufen nach Nord und Süd ausbildet. Dieses Muster führt zu jenen Jetstream-Blockaden, die vermutlich durch den Klimawandel zunehmen und immer wieder durch lang anhaltendes Extremwetter Schlagzeilen machen.

Welches Wetter diese Konstellation bringt, hängt davon ab, wo sich die vagabundierenden Hoch- und Tiefdruckgebiete in den Schlaufen des Strahlstroms aufhalten. Im recht kühlen Mai 2019 lag zum Beispiel ein Tiefdruckgebiet über Nordeuropa und brachte an seiner Westseite kalte Luft aus der Arktis. Doch nun ist die Lage anders: Von den Rocky Mountains erstreckt sich ein ortsfester Wellenzug des Jetstreams bis nach Europa, dessen Rücken und Tröge von West nach Ost immer ausgeprägter werden. Sie gipfeln in dem ungewöhnlich weit südlich liegenden Tiefdruckgebiet vor Spanien und dem darauf folgenden Hoch über Europa, die gemeinsam heiße Luft aus Nordafrika über 2000 Kilometer nach Norden leiten.

Das wird vermutlich auch noch bis in den Juli hinein so bleiben, denn die nach Süden reichende Jetstreamschlaufe schnürt sich ab. Von Grönland nach Europa zieht sich nun ein Hochdruckrücken, der das Tief vor Portugal bis auf Weiteres festnagelt.

Diese Konstellation eines Hochdruckgebiets, das nördlich eines Tiefs liegt und es so blockiert, bezeichnet man als Dipol-Blockade oder »Rex block«. In solchen Blockademustern fließt die Luftströmung nord-südlich, so dass kaum Bewegung Richtung Westen stattfindet – und uns das entstehende Wetter eine ganze Weile lang erhalten bleibt.

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