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Pandemiewarnung: Was die neue Version der Schweinegrippe bedeutet

In Schweinen tauschen viele unterschiedliche Grippeviren Gene aus. Dass dabei ein gefährliches Pandemievirus entsteht, vermuteten Fachleute, ist nur eine Frage der Zeit. Jetzt fanden sie einen möglichen Vorläufer eines solchen Virus.
Ein Tierarzt in Schutzkleidung mit Kapuze und Maske hockt vor einem Schwein in einem Verschlag.

Im April 2009 schien die Welt vor einer Katastrophe zu stehen. Von Mexiko aus begann sich ein Grippevirus aus Schweinen weltweit zu verbreiten. Es gehörte zum Subtyp H1N1 – ebenso wie jenes Virus, das 1918 die verheerendste Pandemie des 20. Jahrhunderts auslöste. Dazu kam es 2009 nicht. Die Grippe erwies sich als vergleichsweise mild, es starben einige hunderttausend Menschen weltweit. Doch die Gefahr einer Wiederholung von 1918 beschäftigt Fachleute bis heute, denn die H1N1-Viren kursieren auf dem Globus unter Schweinen.

In einem dieser Grippeviren sehen Fachleute nun den möglichen Vorläufer einer neuen Pandemie. Eine Arbeitsgruppe um Honglei Sun von der Chinesischen Landwirtschaftsuniversität in Peking berichtet in »PNAS« von dem 2013 erstmals beobachteten Schweinegrippevirus G4 und seinen potenziell gefährlichen Eigenschaften. G4 verdrängte binnen weniger Jahre andere Grippeviren aus chinesischen Schweineherden, wohl weil es ansteckender ist. Zudem gibt es Indizien, dass auch Menschen sich mit diesem Erreger möglicherweise leichter infizieren als mit anderen Schweinegrippe-Genotypen.

Sun und sein Team beobachten das Schweinegrippe-Geschehen in China seit 2011, um genau solche möglichen Pandemieviren früh aufzuspüren. Grippeviren können dank einer genetischen Besonderheit schlagartig neue Eigenschaften hinzugewinnen: Ihr Genom besteht aus acht separaten Teilstücken, die aber zwischen unterschiedlichen Grippeviren frei austauschbar sind. Wenn zwei unterschiedliche Grippestämme die gleiche Zelle infizieren, entstehen gemischte Virusnachkommen.

Die Funde der Pandemiewächter

Schweine können sich neben ihren eigenen Grippeviren auch Menschen- und Vogelgrippe einfangen, so dass die Tiere eine ungewöhnliche Vielfalt an neuen Grippeviren beherbergen. Fachleute beobachten deren Entwicklung schon seit Jahren argwöhnisch. 2016 verschaffte sich ein Team um Huanliang Yang vom Institut für Tierärztliche Forschung in Harbin einen Überblick über die H1N1-Schweinegrippe in zehn chinesischen Provinzen. Die Gruppe fand insgesamt fünf Genotypen mit unterschiedlichen Kombinationen von Erbgutsegmenten ganz verschiedener Herkunft.

Dabei stellte das Team fest, dass all diese Viren mit ihren Oberflächenrezeptoren gut an menschliche Zellen binden. Außerdem waren 90 Prozent der Erreger zwischen Frettchen übertragbar. Die Tiere haben eine ähnliche Lunge wie Menschen, eine ähnliche Verteilung der Zellrezeptoren und die Grippe verläuft bei ihnen ähnlich wie bei uns. Deswegen gelten sie als wichtiger Indikator dafür, wie ansteckend und tödlich ein unbekanntes Atemwegsvirus für Menschen ist.

Der vierte der von Yang beschriebenen Genotypen, kurz G4 genannt, löste bei den Frettchen in der neuen Studie der Gruppe um Honglei Sun eine viel schwerere Erkrankung aus als der bis 2013 häufigste Genotyp 1 und das menschliche H1N1-Pandemievirus von 2009. Gleichzeitig war das Virus, eine genetische Kombination von H1N1-Schweinegrippe, dem Pandemievirus von 2009 und einem weiteren Schweinegrippevirus aus Nordamerika, deutlich ansteckender als die klassische Schweinegrippe.

Keine Ausbreitung von Mensch zu Mensch

Dabei stellte das Team um Sun fest, dass unter 338 Arbeitern von Schweinefarmen etwa zehn Prozent eine Immunreaktion gegen das Virus zeigten, in der Allgemeinbevölkerung waren es nur 4,4 Prozent. Diese allgemeine Immunität stammt aus Kreuzimmunitäten mit ähnlichen menschlichen Grippeviren und sollte zufällig verteilt sein. Dass Arbeiter auf Schweinefarmen häufiger auf das Virus reagieren, deutet die Arbeitsgruppe als Hinweis darauf, dass diese sich bereits sporadisch mit dem Erreger ansteckten.

Fachleute sehen trotz der unter Menschen kursierenden H1N1-Viren keine verbreitete Immunität in der Bevölkerung, weil die Oberflächenproteine Hämagglutinin und Neuraminidase vom Schwein kommen und sich von menschlichen Viren deutlich unterscheiden. Deswegen hätte so ein Virus pandemisches Potenzial.

Die nun beobachteten neuen Eigenschaften, schreibt die Arbeitsgruppe um Honglei Sun in ihrer aktuellen Veröffentlichung, würden dem Virus deutlich mehr Gelegenheit bieten, sich an Menschen anzupassen. Das werfe die Möglichkeit auf, dass aus diesem Genotyp pandemische Grippeviren hervorgehen. Das Team ruft dazu auf, die Belegschaften von Schweinefarmen sorgfältig auf eine neue Grippe zu überwachen und bei Schweinen gegen G4 vorzugehen.

Allerdings ist diese Entwicklung keineswegs unerwartet, im Gegenteil. Fachleute vermuten schon lange, dass Viren mit solchen Eigenschaften immer wieder in Tieren auftauchen. Doch nicht jedes pandemiefähige Virus wird auch zur Pandemie. Dazu muss es zum Beispiel überhaupt weit genug verbreitet sein, um oft mit Menschen in Kontakt zu kommen – eine Hürde, die G4 bereits genommen hat. Allerdings breitet sich das Virus bisher nicht von Mensch zu Mensch aus. Dafür benötigt es vermutlich weitere Mutationen und glückliche Zufälle; wann es diese Fähigkeit entwickelt – und ob überhaupt –, ist völlig unklar.

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