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News: Was Hänschen nicht lernt...

Lektionen, die früh im Leben gelernt werden, können - zumindest bei Eulen - im Gehirn einen dauerhaften Eindruck hinterlassen. Dieser Effekt erlaubt einem erwachsenen Vogel Probleme zu meistern, die er früh im Leben schon einmal bewältigen mußte. Dieselbe Aufgabe kann aber niemals von einer erwachsenen Eule erlernt werden, die als Jugendliche kein entsprechendes Training erhielt.
Nach einer Studie, die in Science (Ausgabe vom 6. März 1998) von Eric Knudsen, Professor für Neurobiologie an der Stanford University School of Medicine veröffentlicht wurde, führen "Veränderungen im Gehirn, die durch frühe Erfahrungen ausgelöst werden, ... zu einem anhaltenden Effekt, der im späteren Leben wieder genutzt werden kann". Knudsen ist der Auffassung, daß Teile des menschlichen Gehirns auf ähnliche Weise arbeiten. Dies würde erklären, warum Lernen in der Kindheit so wichtig ist: Es werden Strukturen im Gehirn angelegt, die benötigt werden, um Aufgaben zu meistern, die erst viel später im Leben auftreten.

Knudsens Aufgabe für seine Eulen war das Auffinden von Objekten, die Töne von sich gaben. Eulen bestimmen die Position einer quiekenden Maus oder einer schmackhaften Grille durch Verrechnung der Zeiten, zu denen vom Objekt abgegebene Töne ihr Ohr erreichen. Trifft der Ton zuerst auf das linke Ohr, dann muß sich die Grille links von der Eule befinden. Das Gehirn steuert dann die Kopfbewegung so, daß die Eule die Grille direkt anstarrt, bereit, sie zu verspeisen.

Knudsen erschwerte seinen Eulen dieses Verhalten durch eine Brille. Deren Prismagläser verschoben den Blick der Eule auf die Welt, so daß eine Eule, die direkt nach vorne schaute, diese Objekte nach rechts versetzt sah. Die jungen Eulen lernten, daß ein Ton, der von rechts kommt, verlangt, daß sie geradeaus starrt, während Töne direkt von vorne eine Kopfdrehung nach links erfordern. Die Tiere lernten also, die Verschiebung ihres Blickfelds zu kompensieren.

Bereits früher hatte Knudsen festgestellt, daß Eulen dieses modifizierte Verhalten nur früh im Leben erlernen können, indem sie in diesem Zeitraum neue Gehirnverbindungen (Synapsen) bilden. Die Verbindungen verknüpfen zwei räumliche Landkarten im Gehirn einer Eule – eine auf der Basis von Tönen und die andere auf der Basis des Sehvermögens.

In der neuen Studie untersuchte Knudsen wiederum die Fähigkeit der Eulen, sich spät im Leben an eine solche Brille anzupassen. Wie schon in den früheren Experimenten beobachtet, waren zwei ältere Eulen ohne Training nicht in der Lage, ihr Verhalten entsprechend zu verändern. Aber drei Eulen, die bereits als Jugendliche trainiert wurden und sich dann wieder an ein Leben ohne Brille gewöhnt hatten, erlernten rasch wieder das veränderte Kopfdrehen, das aufgrund der Brille erforderlich war.

Die jungen Eulen hatten im Vergleich zu den alten, trainierten immer noch einen Vorteil. Die älteren Eulen können nur genau die Reaktion wiedererlernen, die sie als Jungvögel erlernt hatten. Setzte man ihnen Brillen auf, die ihren Blick noch weiter nach rechts verschoben, paßten sich die älteren Eulen schlecht oder überhaupt nicht an. Und von Brillen mit einem "Linksdrall" wurden sie völlig aus der Fassung gebracht. Junge Eulen können sich an diese und weitere Herausforderungen anpassen.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, sagte Knudsen, daß ein für die erlernte Aufgabe spezifischer "Marker" verankert wird. Und zwar seien dies die geänderten Verbindungen zwischen Nervenzellen, die er in früheren Studien beobachtet hat. "Wir stellen die Hypothese auf, daß es diese anatomische Veränderung ist, die zur Verhaltensveränderung führt", meinte Knudsen, "aber die Hypothese muß noch überprüft werden." Er glaubt, daß, wenn die Brille auf- oder abgesetzt wird, das Gehirn die Fehlreaktionen benutzt, um eine Selbstanpassung vorzunehmen: "Es muß ein Signal vorhanden sein – wir nennen es ein belehrendes Signal – das dem System sagt, daß es nicht funktioniert, und es dann korrigiert." Bei jugendlichen Eulen kann sich das Gehirn noch umprogrammieren, aber bei den älteren Eulen vermutet Knudsen, daß das Gehirn nur auf bereits früher gelegte Bahnen umschalten kann.

Knudsen weiß, welcher Teil des Gehirns an der Lernaufgabe der Eule beteiligt ist, so daß er die Reaktion einzelner Zellen testen kann, wenn die Brille geändert wird. Andere Tiere weisen ähnliche Arten des Lernens auf. Bestimmte Singvögel zum Beispiel müssen ein Lied während einer entscheidenden Phase früh im Leben erlernen, obwohl sie erst zu singen beginnen, wenn sie geschlechtsreif sind.

Bei Menschen deutet die Verwendung von Cochlea-Implantaten darauf hin, daß die Interpretation von Sprache früh im Leben erlernt werden muß. Diese Implantate stimulieren Nerven direkt, unter Umgehung der Haarzellen im Ohr, deren Abwesenheit oder eingeschränkte Funktion die Wurzel einiger Formen von Taubheit ist. Empfänger von Implantaten, die als Erwachsene taub wurden, können die neuen "Töne" schnell interpretieren, aber Menschen, die schon immer taub waren, werden durch die Töne nur verwirrt.

Erst künftige Arbeiten werden zeigen, sagte Knudsen, ob die Erkenntnisse über Eulen Parallelen bei Menschen aufweisen, die eine Sprache wiedererlernen oder bei Kindern, die Lektionen in der Schule erlernen.

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