Gefährlicher Darmkeim: Warum der Ehec-Ausbruch bei Kindern ungewöhnlich ist

In den Landkreisen Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald sind nach Angaben der Behörden mindestens neun Kinder an enterohämorrhagischen Escherichia coli (Ehec) erkrankt. Das sind Varianten eines verbreiteten Darmbakteriums, die einen potenziell sehr gefährlichen Giftstoff produzieren, das Shigatoxin. Bei fünf der Kinder ist das davon ausgelöste hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) aufgetreten, bei dem das Shigatoxin Nieren, Blutzellen und das Zentralnervensystem schädigt. Ehec ist eine Zoonose, der Keim lebt natürlicherweise im Darm von Nutztieren. Infektionen mit dem Bakterium kommen in Deutschland regelmäßig vor, besonders im Sommer. Bemerkenswert bei dem jüngsten Ausbruch sind vor allem die auffällige Häufung und der anscheinend hohe Anteil an schweren Erkrankungen.
Was ist das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS)?
Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehrere tausend Menschen an Ehec, das in den meisten Fällen jedoch nur unangenehmen Durchfall verursacht, der binnen einer Woche wieder verschwindet. Weniger als 100 von ihnen entwickeln das gefährliche hämolytisch-urämische Syndrom. Besonders gefährdet sind dabei Kinder unter fünf Jahren. Die Erkrankung beginnt mit Bauchkrämpfen und schwerem Durchfall, der oft nach einer Weile blutig wird.
Typisch für HUS ist Blässe und Erschöpfung, weil das Shigatoxin die roten Blutkörperchen zerstört. Zusätzlich wird die Nierenfunktion gestört, betroffene Kinder scheiden kaum noch oder gar keinen Urin aus. HUS durch EHEC ist die wichtigste Ursache für Nierenversagen bei Kindern und kann Dialyse und in seltenen Fällen eine Nierentransplantation nötig machen. Die gefürchtetste Komplikation bei HUS sind jedoch Schäden an Gehirn und Nervensystem, die bei etwa einem Viertel der HUS-Betroffenen auftreten.
Die häufigsten Symptome sind Lethargie und Reizbarkeit, in schwereren Fällen auch Lähmungen und Koma, und neurologische Komplikationen sind für die meisten Todesfälle bei HUS verantwortlich. Die Erkrankung kann außerdem Langzeitfolgen wie anhaltende Nierenschäden, Bluthochdruck oder Probleme des Zentralnervensystems verursachen. Die meisten von HUS Betroffenen erholen sich jedoch wieder.
Wie haben sich die Kinder mit Ehec angesteckt?
Wie sich die Kinder in Norddeutschland infizierten, ist bislang nicht bekannt; die Häufung der Fälle deutet jedoch auf eine gemeinsame Quelle. Wichtigster Ursprung von Ehec-Infektionen sind Lebensmittel. Escherichia coli ist ein sehr weit verbreitetes Bakterium, es kommt im Darm vieler Säugetiere natürlich vor, auch bei Menschen. Shigatoxinproduzierende Varianten wie Ehec leben im Darm von Wiederkäuern wie Rindern, sodass sie immer wieder in landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln auftauchen.
Escherichia coli kann sehr lange in der Umwelt überleben und so auch in Lebensmittel gelangen, die nicht mit Fäkalien in Berührung kommen. Etwa in zwei bis drei Prozent aller Fleisch- und Rohmilchproben werden Shigatoxinproduzierende Kolibakterien nachgewiesen. Der Erreger kann aber auch von Mensch zu Mensch übertragen oder gar beim Baden über das Wasser aufgenommen werden. Auch Ansteckungen bei Tieren sind bekannt, speziell über Kontakt mit durch Fäkalien verschmutztem Fell.
Häufigste Infektionsquelle sind jedoch pflanzliche Lebensmittel, weil die oft nicht durchgegart werden. Bei dem sehr großen EHEC-Ausbruch in Deutschland 2011, bei dem mehr als 50 Menschen starben, stammten die Bakterien mit hoher Wahrscheinlichkeit von verunreinigten Sprossen des Bockshornklees.
Warum ist Ehec so gefährlich?
Der Grund, weshalb Ehec eine der gefährlichsten Durchfallerkrankungen ist, ist das von den Bakterien produzierte Shigatoxin. Dieser Giftstoff ist entfernt verwandt mit jenen Toxinen, welche die Erreger von Diphterie und Cholera ausscheiden. Allerdings erwirbt E. coli das Gen für den Giftstoff durch eine Virusinfektion: Der Bakteriophage trägt das Shigatoxin-Gen in sich, sodass es mit dem Virusgenom in das Erbgut des Bakteriums eingefügt wird.
Auch vom Shigatoxin gibt es verschiedene Varianten, von denen manche häufiger schwere Erkrankungen bei Menschen auslösen. Ein besonders aggressives Shigatoxin könnte auch beim aktuellen Ausbruch zum hohen Anteil an HUS beitragen – alternativ könnte es auch einfach sehr viele unentdeckte Infektionen geben.
Die meisten Ehec-Stämme produzieren neben dem Shigatoxin selbst mehrere weitere Moleküle, die zum Krankheitsbild beitragen. Mit einem speziellen Enzym bauen sie die Schleimschicht des Darms ab, binden an die Zellen der Darmwand und injizieren mithilfe eines Proteinkomplexes weitere Moleküle in die Zelle. Darunter sind ein Bindungsprotein, das sich in die Zellmembran einbaut und an einen Oberflächenrezeptor des Bakteriums bindet, sowie weitere Enzyme, die das Skelett der Zielzelle umbauen. Dadurch verankert sich Ehec sehr fest an der Darmwand und stört die Bindungen der Zellen untereinander. Das führt zu schwerem Durchfall.
Die gefährlichsten Auswirkungen hat jedoch das Shigatoxin, das freigesetzt wird, wenn die Bakterien absterben. Das Toxin verbreitet sich im Körper und dringt in Zellen ein, die über einen passenden Rezeptor verfügen. Dort blockiert es die Herstellung von neuen Proteinen und leitet den programmierten Zelltod ein, die Apoptose. Zusätzlich verursacht Shigatoxin eine starke Immunantwort, die Thrombosen in kleinen Blutgefäßen besonders der Nieren auslöst und zu weiteren Organschäden führt; das Toxin aktiviert das Komplementsystem, eine Gruppe von Blutproteinen, die Krankheitserreger bekämpfen. Vor allem bei den schwersten Verläufen von HUS ist das Komplementsystem mutmaßlich überaktiviert und schädigt Zellen in den Nieren, dem Blut und im Nervensystem.
Wie behandelt man Ehec und HUS?
Es gibt bisher keine wirksame gezielte Behandlung für Ehec und das von den Bakterien ausgelöste HUS. Den Erreger mit Antibiotika zu bekämpfen, ist sehr kontrovers, weil es einerseits Hinweise darauf gibt, dass solche Therapien wirken können, andererseits aber auch darauf, dass dadurch mehr Shigatoxin produziert und freigesetzt wird. Auch Medikamente gegen Durchfall, die die Darmbewegung einschränken, können das Risiko von HUS erhöhen, sodass man kaum mehr tun kann, als dem Körper Flüssigkeit und Elektrolyte nachzuliefern, bis der Durchfall abklingt.
Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass man dem Entstehen von HUS durch Infusionen vorbeugen kann oder auch durch regelmäßige Darmspülungen mit Polyethylenglycol, welche die Bakterienlast verringern. Unklar ist hier allerdings, ob der Schutzeffekt eine derart unerfreuliche Prävention rechtfertigt.
Gegen das gefährliche Shigatoxin gibt es derzeit ebenfalls keine Behandlung, weil bisher nur teilweise aufgeklärt ist, wie der Stoff HUS auslöst. Man beschränkt sich dabei auf unterstützende Behandlung wie Dialyse bei Nierenversagen, Medikamente gegen Bluthochdruck oder unter Umständen Bluttransfusionen. Es gibt eine ganze Reihe experimenteller Therapien wie zum Beispiel den Austausch von potenziell mit Shigatoxin belastetem Blutplasma oder manganhaltige Wirkstoffe, die die Aufnahme des Toxins blockieren; allerdings ist die Evidenz, dass sie wirken, meist gering.
Warum wird Ehec in Deutschland häufiger?
Seit dem Jahr 2023 gibt es in Deutschland deutlich mehr Fälle von Ehec. Wurden 2022 noch rund 2400 Erkrankungen gemeldet, was etwa in der Größenordnung der vorherigen zehn Jahre lag, stieg die Zahl im Folgejahr auf 4400 und 2024 sogar auf 5800. Diese Zahl könnte im Jahr 2025 sogar noch übertroffen werden.
Woran das liegt, ist unklar; ein Problem dabei ist, dass meist der genaue Serotyp nicht übermittelt wird – der exakte Erregerstamm. Deswegen kann man größere zusammenhängende Ausbrüche nur schwer identifizieren und damit auch nicht feststellen, ob eine bestimmte Infektionsquelle wie zum Beispiel kontaminierter Fertigsalat wichtiger wird.
Tatsächlich vermuten Fachleute allerdings, dass für den sprunghaften Anstieg der Fallzahlen ohnehin ein ganz anderer Effekt verantwortlich ist: Seit der Pandemie hat sich Multiplex-PCR zur Diagnose von Erregern immer weiter verbreitet. Ein erheblicher Teil des Anstiegs geht darum vermutlich schlicht auf bessere Diagnosen zurück. Dafür spricht auch, dass die Zahl der HUS-Fälle im gleichen Zeitraum etwa stabil geblieben ist.
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