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Neue Infektionswelle: Was hinter den Lungenentzündungen bei Kindern in China steckt

In China häufen sich derzeit die Atemwegserkrankungen, besonders bei Kindern. Nun suchen Fachleute nach der Ursache. Doch tatsächlich kommt die Welle für sie nicht unerwartet.
Tbc-Infektionen lassen sich unter anderem als Schatten auf der Lunge erkennen.
In China kommt es derzeit zu einem auffälligen Anstieg an Atemwegserkrankungen, insbesondere an Lungenentzündungen. Experten wirken davon nicht überrascht.

China hat mit einem Anstieg von Atemwegserkrankungen bei Kindern zu kämpfen, insbesondere mit Lungenentzündungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte Ende November 2023, dass nicht neue Krankheitserreger, sondern gewöhnliche Winterinfektionen für den Anstieg der Krankenhauseinweisungen verantwortlich sind. In diesem Winter, dem ersten in China ohne Covid-19-Beschränkungen seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020, wurde ein Anstieg der Infektionen sogar erwartet. Ungewöhnlich ist nach Ansicht von Epidemiologen das häufige Auftreten von Lungenentzündungen in China. Als die Covid-19-Beschränkungen in anderen Ländern gelockert wurden, waren vor allem die Grippe und das respiratorische Synzytialvirus (RSV) für den Anstieg der Krankheitsfälle verantwortlich, die vor allem Infektionen der oberen Atemwege verursachen.

Die WHO hat die chinesischen Gesundheitsbehörden in der vergangenen Woche um nähere Informationen gebeten, einschließlich Laborergebnissen und Daten über die aktuelle Verbreitung von Atemwegserkrankungen. Zuvor hatten Medien und ein Programm zur Überwachung neu auftretender Krankheiten darüber berichtet. Das »Program for Monitoring Emerging Diseases« (ProMED) ist ein öffentlich zugängliches System der Internationalen Gesellschaft für Infektionskrankheiten, und in Übereinstimmung mit anderen Medienberichten meldete es Häufungen »nicht diagnostizierter Lungenentzündungen«.

In einer Erklärung vom 23. November 2023 teilte die WHO mit, dass die chinesischen Gesundheitsbehörden den Anstieg der Krankenhauseinweisungen seit Oktober auf bekannte Erreger wie Adenoviren, Influenzaviren und RSV zurückführen, die in der Regel nur leichte erkältungsähnliche Symptome verursachen. Der Anstieg der Zahl an Kindern, die seit Mai 2023 – insbesondere in nördlichen Städten wie Peking – ins Krankenhaus eingeliefert werden, sei hauptsächlich auf Mycoplasma pneumoniae zurückzuführen, ein Bakterium, das die Lunge infiziert. Dieser Erreger ist eine häufige Ursache für die so genannte »walking pneumonia«: eine Form der Krankheit, die in der Regel mild verläuft und keine Bettruhe oder Krankenhauseinweisung erfordert, die allerdings in diesem Jahr vor allem Kinder trifft.

Benjamin Cowling, der als Epidemiologe an der Universität von Hongkong arbeitet, ist von der Krankheitswelle nicht überrascht. »Dies ist ein typischer ›Winteranstieg‹ bei akuten Atemwegsinfektionen«, sagt er gegenüber »Nature«. Ihm zufolge trete sie 2023 bloß etwas früher auf, »eventuell wegen der erhöhten Anfälligkeit der Bevölkerung für Atemwegsinfektionen nach drei Jahren Covid-Maßnahmen«.

Muster in China: Aus anderen Ländern bekannt

Der Wiederanstieg allgemeiner Atemwegserkrankungen im ersten Winter nach der Lockerung der Pandemiemaßnahmen – wie dem Tragen von Masken und Reisebeschränkungen – ist ein bekanntes Muster aus anderen Ländern. Im November 2022 war die Zahl der mit Grippe ins Krankenhaus eingelieferten Personen in den Vereinigten Staaten so hoch wie in dieser Jahreszeit seit 2010 nicht mehr.

»Da China weitaus länger abgeriegelt war als jedes andere Land, war zu erwarten, dass die ›Lockdown Exit‹-Wellen beträchtlich ausfallen«François Balloux, Bioinformatiker

Landesweite Abriegelungen und andere Maßnahmen, die die Ausbreitung von Covid-19 verlangsamen sollten, hatten verhindert, dass saisonale Erreger zirkulierten, so dass die Menschen weniger Gelegenheit hatten, eine Immunität gegen diese Mikroorganismen aufzubauen. Dieses Phänomen sei als »Immunschuld« bekannt, erklärte der Londoner Bioinformatiker François Balloux gegenüber dem britischen Science Media Centre. »Da China weitaus länger und härter abgeriegelt war als jedes andere Land der Welt, war zu erwarten, dass die ›Lockdown Exit‹-Wellen in China beträchtlich ausfallen«, äußerte Balloux.

Die chinesische Krankheitswelle unterscheidet sich jedoch von dem andernorts beobachteten Infektionsgeschehen. Einige Länder hatten nach der Coronazeit im Winter mit steigenden Grippe- und RSV-Infektionen zu kämpfen – in China hingegen waren M.-pneumoniae-Infektionen weit verbreitet. Der Epidemiologe Cowling gibt sich davon überrascht, denn bakterielle Infektionen sind opportunistisch und treten ihm zufolge oft nach Virusinfektionen auf.

Obwohl die durch das Bakterium verursachte Lungenentzündung in der Regel mit Antibiotika behandelt wird, hat ein übermäßiger Einsatz dieser Medikamente zur Resistenzentwicklung des Erregers geführt. Das betrifft insbesondere die bei Lungenentzündung gebräuchlichen Makrolidantibiotika. Studien zeigen, dass die Resistenzrate von M. pneumoniae gegen diesen Wirkstoff in Peking zwischen 70 und 90 Prozent liegt. Die Resistenz könnte zu den diesjährigen hohen Zahlen von Krankenhauseinweisungen durch diesen Erreger beitragen, da Antibiotikaresistenzen die Behandlung behindern und die Genesung von bakteriellen Lungenentzündungen potenziell verlangsamen, erklärt Cowling.

Infektionswellen im Winter gelten immer als Herausforderung. Allerdings seien die Gesundheitssysteme in China heute besser als vor der Pandemie in der Lage, sie zu bewältigen, ergänzt die australische Ärztin Christine Jenkins gegenüber »Nature«. Laut der Spezialistin für Atemwegserkrankungen gibt es jetzt bessere nationale Systeme, um die Krankheit zu überwachen und durch Tests zu diagnostizieren, sowie Maßnahmen, um die Übertragung und einen tödlichen Verlauf zu verhindern.

Selbst dann, wenn die Infektionen durch bekannte Erreger verursacht werden, ist es Jenkins zufolge wichtig, sie genau zu verfolgen. So lasse sich das Risiko eines schweren Krankheitsausbruchs minimieren. »Wir befinden uns in einer ganz anderen Situation [als bei Covid-19], aber ich glaube nicht, dass wir selbstgefällig sein können«, schließt die Ärztin.

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