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Mythen: Was ist dran an der Phrenologie?

Bis ins 20. Jahrhundert wollten Forscher die Persönlichkeit eines Menschen an seiner Kopfform ablesen. Alles Quatsch, oder?
Kopf mit Beschriftung für phrenologische Studien

Haben häusliche Charaktere einen eckigen Hinterkopf? Oder finden sich bei traurigen Menschen womöglich kleine Grübchen an den Schläfen? Natürlich glaubt heute kein ernst zu nehmender Forscher mehr, dass die Kopfform eines Menschen Aufschluss über seine Persönlichkeit geben könnte. Andererseits: Richtig widerlegt hat noch niemand die »Phrenologie«, die nach genau solchen Zusammenhängen sucht.

Trotzdem nahm die Popularität der maßgeblich von dem deutschen Arzt Franz Joseph Gall (1758-1828) erdachten und im 19. Jahrhundert sehr verbreiteten Theorie bis ins 20. Jahrhundert schlicht immer weiter ab. Am Ende hatten sich weder Befürworter noch Gegner die Mühe gemacht, phrenologische Kernthesen einmal systematisch auf den Prüfstand zu stellen.

Das hat ein Team vom Wellcome Centre for Integrative Neuroimaging der University of Oxford nachgeholt, halb im Ernst, halb im Spaß, denn mit echten Überraschungen rechnete die Forschergruppe um Oiwi Parker Jones nicht. Wie sie dabei vorgingen, beschreiben sie detailliert in einem Fachartikel auf biorxiv.org.

Wie einst Gall wählten sie eine digitale Untersuchungsmethode. Ersterer verstand darunter das Abtasten des Schädels mit den Fingern – mehr oder weniger das einzige Messinstrument, das in die Entwicklung seiner Theorie einfloss. Parker Jones und Kollegen hingegen griffen auf eine medizinische Datenbank mit Hirnscannerdaten zu rund 6000 Personen zurück. Jeder der Probanden hatte bei der Erfassung einen Fragebogen ausgefüllt, dessen Angaben die Wissenschaftler nun in Bezug zum Kanon der 27 »Organe«, also Persönlichkeitsmerkmale, stellten, die die Phrenologen bei der Beurteilung zu Grunde legten. Dabei mussten die Forscher ein bisschen tricksen, denn die Fragebogen erfassten natürlich nicht diese ursprünglichen Kategorien. So setzten sie die Angabe »Zahl der Sexualpartner« mit der Eigenschaft 1 »Geschlechtstrieb« in Verbindung, musische Fähigkeiten wurden über die Berufswahl des Probanden abgefragt, die »Gewinnsucht« über die Zahl der Autos im Haushalt und so weiter.

Ebenfalls tricksen mussten die Forscher, um an Daten über die Kopfform zu gelangen, denn üblicherweise bereinigt die MRT-Software die Daten um dieses (sind wir ehrlich: aussagelose) Element. Parker Jones und Kollegen programmierten den Computer hingegen so, dass er ausschließlich die Schädelform analysierte. Schließlich stellten sie zwei Fragen: Treten bestimmte Ausbuchtungen des Schädels überzufällig häufig gemeinsam mit einer phrenologischen Persönlichkeitseigenschaft auf? Und hängt die Form des Schädels mit der Form des darunter befindlichen Gehirns zusammen?

In beiden Fällen geben sie ein klares Nein als Antwort. Damit dürfte die Phrenologie nun auch offiziell als widerlegt gelten. Zumal – und darauf zielte die Frage zwei – ihre argumentative Basis sich nicht halten lässt. Gall und seine Nachfolger hatten angenommen, dass bestimmte mentale Fähigkeiten in bestimmten Regionen des Hirns angesiedelt sind und sich diese bei beständiger Nutzung wie ein Muskel aufwölben – bis sie schließlich sogar den Knochen des Schädels verbiegen. Doch schon im 19. Jahrhundert entdeckten Forscher, die bei Autopsien genauer hinschauten, dass diese Annahme nicht haltbar war. Die Zweifel, die damals aufkamen, hinderten vermeintliche Experten der vergangenen Jahrhunderte übrigens nicht daran, weiter auf die Phrenologie zu setzen und sie für ihre Zwecke auszuschlachten: Die Schädelvermessung lieferte bis in die Nazizeit unter anderem argumentatives Material zur pseudowissenschaftlichen Untermauerung von rassistischen Stereotypen.

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