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Tierphysiologischer Trick: Was sieht ein Schlangenstern ohne Augen?

Auch augenlose Tiere können überraschend gut sehen, allerdings anders als gedacht. Doch wie das prinzipiell funktioniert, bleibt der Fachwelt ein Rätsel.
Schlangenstern

Die Stachelhäuter der Weltmeere – also Seesterne, Schlangensterne und Seeigel – stechen dem Laien vor allem durch ihr zackiges Äußeres ins Auge, sind sonst aber insgesamt unterschätzt: Die Tiere leisten mehr, als man ihnen zutraut, und gelten daher nicht umsonst als Herren des Meeresbodens. Fasziniert hat Meeresbiologen seit Langem etwa die optische Leistungsfähigkeit vieler Stachelhäuter: Die augenscheinlich völlig augenlosen Tiere können irgendwie trotzdem recht gut sehen. Dafür hatte man auch eine Erklärung gefunden – nur leider eine falsche, berichten nun Forscher im Fachblatt "Proceedings of the Royal Society B" am Beispiel des Schlangensterns Ophiocoma wendtii.

Auch dieser im Pazifik heimische Schlangenstern kann am Meeresgrund hell und dunkel unterscheiden, was die neuen Untersuchungen nun bestätigten: Tatsächlich scheut das Tier helles Licht und jagt dunklen Schatten rasch nach, die es auf eine Entfernung von rund 40 Zentimetern erkennt, berichten Lauren Sumner-Rooney von der University of Oxford und ihre Kollegen von Experimenten. Aber wie gelingt dies dem nicht nur augen-, sondern auch gehirnlosen Tier?

Als Lichtsammelorgane der Stachelhäuter hatte man längst bestimmte Kristallstrukturen auf der Haut der Tiere im Verdacht: Diese vage an Perlen erinnernden Miniorgane könnten Licht sammeln, spiegeln und konzentrieren; und ein Netzwerk von Mikrolinsen fokussiert, so die Idee, das gesammelte Licht dann auf in tieferen Zellschichten arrangierte Nerven- und Sinneszellschichten, die aus dem Input schließlich ein größeres Bild zusammensetzen. Insgesamt könnte dieses Arrangement also eine Art Komplexauge bilden, das dem der Insekten zumindest im Prinzip ähnelt.

Allerdings haben die Kristallstrukturen der Stachelhäuterhaut aber wohl doch nichts mit Mikrolinsen und Sehsinn zu tun, meinen nun Sumner-Rooney und Co nach einem genaueren Blick. Denn ihre Untersuchung unter dem Elektronenmikroskop offenbarte, dass die Nervenbahnen der Tiere nicht in tieferen Hautschichten, sondern sehr nahe an der Oberfläche zwischen den Kristallstrukturen verlaufen: in Positionen, in die hinein die Kristalle einfallendes Licht nicht bündeln könnten, wie die Forscher meinen. Die Aufgabe der Kristalle ist damit wieder mysteriös: Womöglich, so die Überlegung, sind sie einfach Skelettbausteine, die rein zufällig auch transparent sind. Eine viel wichtigere Rolle dürfte jedenfalls eine andere Sorte von möglichen Sensoren spielen, die die Wissenschaftler unter dem Mikroskop massenhaft entdeckten: bisher übersehene, weil unscheinbare Zellen, die lichtsensitive Moleküle enthalten. Sie könnten winzige Photorezeptoren sein, die über die gesamte Oberfläche der Tiere verteilt und mit Nervenbahnen untereinander vernetzt sind.

Offenbar entsteht so ein neurosensorisches Netz mit Augenfunktion, vermuten die Forscher – wie das Ganze dann genau funktioniert und wie die Tiere mit dem System sogar Formen ausmachen können, bleibt indes völlig ungeklärt. Auf jeden Fall scheint das Prinzip der so genannten extraokularen Photorezeption – des "Sehens ohne Augen" – im Tierreich vielfältiger umgesetzt zu sein als gedacht. Man kennt die Fähigkeit schon von einigen anderen, vor allem im Meer heimischen Tieren, neben den Seeigeln etwa von manchen Krebsen oder Seegurken. Stets bleibt dabei unklar, wie das Seh-Hautnetz genau arbeitet – vor allem also, wie es ausreichend Informationen kodiert, um gezielte, situationsangepasste und ergebnisorientierte Reaktionen auf Außenreize zu ermöglichen.

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