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Metaverse: Willkommen im digitalen Paralleluniversum

Demonstrationen, Konzerte, Trauungen – immer mehr Ereignisse finden im virtuellen Raum statt. Wie Tech-Konzerne das Metaverse zur neuen Wohn- und Arbeitswelt ausbauen wollen.
Willkommen im Metaverse
Ist das Metaverse eine Cyberpunk-Utopie, vor der man sich fürchten muss, eine bloße Spielerei der Tech-Konzerne oder doch die unaufhaltsame Zukunft des Internets?

Im Sommer 2022 heiratete der Fußballprofi Kevin-Prince Boateng das Model Valentina Fradegrada. Für die Eheschließung wählte das Paar zwei besonders exquisite Orte aus: die sonnenverwöhnte Toskana – und das Metaverse. Während sich Boateng und Fradegrada im italienischen Radicondoli vor Freunden und Familie real das Jawort gaben, fand gleichzeitig eine Online-Trauung auf der Metaverse-Plattform »OVER« statt. Dort standen ihre Avatare – sie in klassisch weißem Kleid mit Schleppe, er im schwarzen Smoking – in einer virtuellen Mondlandschaft mit romantischem Blick auf die Erde. Auch Gäste waren zugelassen: Für 50 Dollar konnte das interessierte Publikum die Zeremonie miterleben. Etwa 82 Tickets sollen tatsächlich verkauft worden sein. Die Promihochzeit sorgte weltweit für Schlagzeilen – nicht so sehr wegen der Protagonisten, sondern vor allem wegen des Settings.

Um das Metaverse ist ein riesiger Hype entstanden. In dem digitalen Paralleluniversum finden bereits Hochzeiten, Konzerte und sogar Demonstrationen statt. Luxusmarken wie Prada und Balenciaga sind dort ebenso präsent wie Auktionshäuser, Stars wie der Rapper Snoop Dogg veranstalten Privatpartys mit exklusiven Gästelisten. Das Metaverse ist eine gigantische Verheißung – »the next big thing«, die nächste große Sache, wie die Tech-Gurus im Silicon Valley gerne sagen. Nach dem Siegeszug des Smartphones soll das mobile Internet einen dreidimensionalen Nachfolger erhalten, der mit einer Datenbrille erschlossen wird.

Serie: Metaverse

Das »Metaverse« gilt als gigantische Verheißung – als »the next big thing«, die nächste große Sache, wie die Tech-Gurus im Silicon Valley sagen. Dieser dreidimensionale Nachfolger des mobilen Internets soll unsere Wirklichkeit von Grund auf verändern. Fantasie und Realität verschmelzen zu einem digitalen Paralleluniversum. Doch ist es schon mehr als eine Spielerei?

  1. Willkommen im digitalen Paralleluniversum
  2. In der Stretchlimousine durchs Metaverse
  3. »Im Metaverse droht ein Komplettverlust der Privatsphäre«
  4. Wie eine Datei zum Statussymbol wird

Cloud Computing, soziale Medien und Online-Handel könnten im Metaverse zu einem milliardenschweren Markt zusammenwachsen, wo sich dank Augmented und Virtual Reality ganz neue immersive Produkterfahrungen machen lassen. Noch ist das Zukunftsmusik, aber es gibt bereits etliche Plattformen wie »Roblox«, »Fortnite« oder »Minecraft«, auf denen insgesamt fast eine halbe Milliarde Menschen aktiv sind. Facebook-Chef Mark Zuckerberg setzt derart große Hoffnungen in die Technologie, dass er sein Unternehmen sogar in »Meta« umbenannt hat. So wie man heute einen Link im Netz anklickt, werde man sich in Zukunft durch verschiedene Räume im Metaverse teleportieren, sagte Zuckerberg auf der Entwicklerkonferenz Facebook Connect im Jahr 2021.

Eine Wiederholung alter Narrative

Zwar haben die unterleiblosen Avatare, die Facebooks Plattform »Horizon Worlds« bevölkern, inzwischen Beine bekommen, die Grafik wirkt aber immer noch comicartig und erinnert mehr an Computerspiele aus den nuller Jahren. Doch geht es nach Zuckerberg, werden in diesem virtuellen Raum künftig Vorlesungen, Museumsbesuche und sogar Zeitreisen möglich sein.

Das Vorbild für diese Zukunftsvision ist Neal Stephensons 1992 erschienener Roman »Snow Crash«. In der Geschichte sammelt der Protagonist Hiro für den Geheimdienst Informationen im Metaversum, einem Raum, der dreidimensionale Bilder auf seine Brille projiziert. Das digitale Paralleluniversum, das Stephenson in seinem Roman beschreibt, ist eine Cyberpunk-Utopie, eine Mischung aus Hippie-Traum und Wildem Westen: Es gibt Prachtstraßen, Wohnviertel, No-go-Areas, in denen Gesetze ignoriert werden, sowie »Freikampfzonen, in denen die Menschen einander jagen und töten können«.

»Bei den Erzählungen über das Metaverse handelt es sich vor allem um die Wiederholung alter Narrative und Versprechen, die wir noch aus den frühen Tagen des Cyberspace kennen«Anna-Verena Nosthoff, Digitalforscherin

Die Wissenschaftlerin Anna-Verena Nosthoff befürchtet, dass digitale Konzerne dadurch noch mehr Macht bekommen. »Bei den Erzählungen über das Metaverse handelt es sich vor allem um die Wiederholung alter Narrative und Versprechen, die wir noch aus den frühen Tagen des Cyberspace kennen: die Träume von virtuellen Harmonien und maximaler Freiheit in einem vermeintlich postpolitischen, digitalen Raum«, sagt die Kodirektorin des Critical Data Lab an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Philosophin forscht zurzeit an der Princeton University zum digitalen Kapitalismus und hat sich in Aufsätzen intensiv mit der Plattformökonomie beschäftigt. Für sie ist der Hype um das Metaverse vor allem eine »ökonomische Wette auf eine mögliche Zukunft«, bei der es dem Facebook-Konzern »Meta« vor allem darum gehe, »die eigene Machtsphäre auszuweiten und sich etwa mit einer eigenen VR-Brille von Android und iOS zu emanzipieren«.

Nosthoff merkt an, dass Meta es vor allem auf die biometrischen Daten abgesehen habe, die sich mit Datenbrillen sammeln lassen. So hat der Konzern kürzlich ein Patent für eine Technologie angemeldet, die mit Hilfe von Kameras und Sensoren Körperposen und Augenbewegungen trackt. Bleibt der Nutzer mit seinem Avatar im Metaverse am Schaufenster eines Modelabels hängen, kann man ihm passgenaue Werbung auf die Datenbrille ausspielen.

Nicht nur Meta, auch Konzerne wie Microsoft, Nvidia oder Epic Games werkeln an eigenen Online-Welten und Geschäftsmodellen. Tim Sweeney, Geschäftsführer und Gründer von Epic Games, sagte der »Washington Post«, dass Autobauer im Metaverse künftig keine Werbung mehr zu machen brauchen, sondern einfach ein virtuelles Fahrzeug freischalten, mit dem Kunden dann eine Probefahrt machen können. Digitalforscherin Nosthoff hält es für möglich, dass es zu einer Ausweitung digitaler Service-Modelle kommen könnte und User etwa Eintritt zahlen müssen, um eine virtuelle Welt zu betreten – so wie das bei Boatengs Traumhochzeit der Fall war.

Digitale Besitzansprüche beurkunden lassen

Die Idee, Inhalte in dreidimensionalen Welten zu monetarisieren, ist nicht neu. Mit »Second Life« gibt es bereits seit 2003 eine virtuelle Welt, in der Spieler mit einer eigenen Digitalwährung, dem Linden Dollar, in Spielkasinos zocken oder virtuelle Objekte wie Möbel oder Häuser kaufen können. Die Chinesin Ailin Gräf, die zeitweise zehn Prozent des verfügbaren Lands besaß und von CNN als »Rockefeller von Second Life« bezeichnet wurde, ist dank ihrer Immobiliengeschäfte auch im realen Leben zur Millionärin geworden. Doch zwischen dem Metaverse der ersten und der zweiten Generation liegt eine technologische Innovation, die das Potenzial hat, die Netzwelt zu revolutionieren: Non-Fungible Tokens, kurz NFTs.

Hinter diesem kryptischen Kürzel verbirgt sich ein digitales Echtheits- und Eigentumszertifikat, das auf einer Blockchain hinterlegt wird. Mit diesen Urkunden ist es vereinfacht gesagt möglich, digitale Besitzansprüche zu verbriefen. War das Internet bislang eine billige Kopiermaschine, gibt es nun einen Hebel, ein Preisschild an virtuelle Objekte zu hängen – zum Beispiel an eine Gucci-Tasche oder Adidas-Sneakers, mit denen man seinen Avatar schmückt. Das digitale Fashion-Start-up Fancurve, in das die deutschen Fußballweltmeister André Schürrle und Mario Götze investiert haben, bietet Fans virtuelle Trikots an. Und die Kosmetikmarke Clinique hat sogar eine eigene Beauty-Kollektion als NFT herausgegeben.

Das Metaverse | Schrille Cyperpunk-Utopie oder realistische Wohn- und Arbeitswelt?

Nicht nur Modeaccessoires, auch Liegenschaften lassen sich über das Konstrukt absichern. So wurde im Jahr 2021 in dem Online-Spiel »The Sandbox« ein virtuelles Grundstück für 4,3 Millionen Dollar verkauft. Im Metaverse werden teilweise Immobilienpreise aufgerufen, die mit besten Lagen in München oder Hamburg mithalten können. Für das Nachbargrundstück des Rappers Snoop Dogg, der in »The Sandbox« eine Luxusvilla errichtet hat, legte ein Investor 450 000 Dollar auf den Tisch. Die Lage zählt auch im virtuellen Raum, doch das Preisniveau für virtuelle Liegenschaften hat mittlerweile solch schwindelerregende Höhen erreicht, dass Beobachter vor einem Platzen der virtuellen Immobilienblase am Markt warnen.

Analog zu physischen Gebäuden sind allerdings auch die (Bau-)Werke, die aus Programmiercode geschaffen werden, nicht gerade umweltfreundlich. Allein das Erstellen eines NFT verbraucht 142 Kilowattstunden Strom und emittiert 57 Kilogramm Kohlendioxid. Zwar wurde die Ethereum-Blockchain, auf der NFTs abgelegt werden, kürzlich auf ein energiesparenderes Verfahren umgestellt. Doch grafisch anspruchsvolle 3-D-Welten sind weiterhin auf energieintensive Cloud-Lösungen angewiesen. Laut Schätzungen des US-amerikanischen Halbleiterherstellers Intel könnte das Metaverse 1000-mal mehr Rechenpower benötigen als aktuell verfügbar. Wie sich das angesichts eines globalen Rohstoff- und Chipmangels realisieren lässt, ist ungewiss. Schon heute sind Rechenzentren für gut ein Prozent des globalen Strombedarfs verantwortlich.

»Die Regulierung des Metaverse ist deutlich komplexer, da es nicht allein mehr um das geschriebene Wort und Hassreden geht, sondern um die Regulierung des gesamten Verhaltens, inklusive der Bewegungen«Anna-Verena Nosthoff, Digitalforscherin

Wie lassen sich die virtuellen Welten von morgen also möglichst nachhaltig und ressourcenschonend bauen? Wer schreibt die Spielregeln für das Metaverse? Gibt es eine Bauaufsichtsbehörde? Digitalforscherin Nosthoff weist darauf hin, dass die Regulierung des Metaverse noch mal deutlich komplexer ist als die von Social-Media-Plattformen. »Der Grund dafür ist, dass es nicht allein mehr um das geschriebene Wort und Hassreden geht, sondern um die Regulierung des gesamten Verhaltens, inklusive der Bewegungen.«

Auf Facebooks VR-Plattform »Horizon Worlds« wurden mehrere Fälle von sexueller Belästigung von Avataren bekannt, eine Frau berichtete sogar von einer »virtuellen Vergewaltigung«. Diese Übergriffe fühlten sich für die Betroffenen sehr real an, erklärt Nosthoff, weil sich bei Nutzern in immersiven Umwelten das so genannte »avatar attachment« ergeben könne, also ein sehr starkes Gefühl von körperlicher Präsenz. Von einer »safe zone«, einer schützenden Blase, wie sie Meta zum Schutz von Nutzerinnen eingeführt hat, hält die Forscherin nicht viel. Sie fürchtet vielmehr, »dass Sicherheitsbehörden auf die Idee kommen, die Räume kontinuierlich und umfassend zu überwachen, und sich die Räume des Metaversums zu virtuellen Pendants derjenigen öffentlich überwachten Plätze entwickeln, die wir aus der analogen Welt kennen«.

Das Metaverse ist interaktiver als das Internet

Drohen im Metaverse also eine Massenüberwachung und der Totalverlust der Privatsphäre? Der Medienmanager Matthew Ball, der jüngst das Buch »The Metaverse: And How it Will Revolutionize Everything« veröffentlicht hat, hält diese dystopische Annahme für unbegründet. Er sieht in virtuellen Welten vor allem Entwicklungs- und Partizipationsmöglichkeiten, etwa im Bereich E-Learning. So könnte man sich von jedem Ort der Welt in ein Klassenzimmer oder einen Hörsaal teleportieren. Das Internet sei vor allem für den Austausch statischer Dateien wie Mails oder Dokumente designt, aber nicht für interaktive Erfahrungen mit mehreren Teilnehmern. Die ermüdenden und seltsam zweidimensionalen Videokonferenzen in der Corona-Pandemie haben die Grenzen des World Wide Web aufgezeigt – nicht nur, was die Datenkapazität betrifft, sondern auch die Belastungsfähigkeit der Teilnehmer. Es gibt dafür sogar einen Begriff: Zoom-Fatigue. Dass aber das Metaverse echte Interaktionen ersetzen wird, glaubt auch Experte Ball nicht.

Über den Erfolg des Metaverse werde letztlich die Interoperabilität entscheiden, also die Möglichkeit, erworbene Objekte – etwa Accessoires, die man sich für seinen Avatar kauft – auf andere Plattformen mitzunehmen. Wer eine teure virtuelle Prada-Tasche erwirbt, will die natürlich auch in anderen Spielewelten zur Schau stellen. »Wie viel würde jemand für ein Real-Madrid-Trikot bezahlen, wenn es nur im Santiago-Bernabeu-Stadion getragen werden kann?«, fragt Ball in seinem Buch. Wenn es gelingt, Besitzstände wie eine Art virtuellen Hausrat mitzuführen, seien auch Käufe im fünfstelligen Bereich möglich, ist er sich sicher. Kevin-Prince Boateng könnte seinen Hochzeitsanzug dann auch auf anderen Partys noch mal tragen.

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