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Teilchenphysik: Tempolimit für alle Quarks?

Ein Quark-Gluon-Plasma bremst leichte und schwere Quarks überraschend ähnlich stark. Das haben Experimente am Europäischen Kernforschungszentrum ergeben.
CMS-Detektor am Large Hadron Collider (LHC)

In den ersten Augenblicken unseres Universums, nur millionstel Sekunden nach dem Urknall, war die gesamte Materie in einem extrem heißen und dichten Plasma konzentriert, in dem verschiedene Quarks und Gluonen genannte Elementarteilchen frei durcheinanderfliegen. Physiker nennen diesen außergewöhnlichen Materiezustand Quark-Gluon-Plasma – manchmal etwas scherzhaft auch Quarksuppe. Seine Dichte und Temperatur sind unglaublich hoch: In dieser heißesten aller Suppen ist es bis zu mehrere hunderttausend Mal heißer als im Zentrum der Sonne; und die Elementarteilchen sind 30- bis 50-fach dichter zusammengequetscht als die Materie im Innern von Atomkernen.

Entwicklungsphasen des Universums | Seit dem Urknall vor etwa 13,8 Milliarden Jahren dehnt sich das Universum aus. Der sich aufweitende "Raumtrichter" soll die beschleunigte Expansion während der Inflationsphase veranschaulichen.

Als dieser Feuerball sich nach dem Urknall ausdehnte und abkühlte, kondensierten dann aus den wild umherfliegenden Quarks die Neutronen und Protonen heraus, aus denen die Atomkerne aller normalen Materie im Kosmos zusammengesetzt sind. Sowohl Neutronen als auch Protonen bestehen aus je drei Quarks: Neutronen aus einem up- und zwei down-Quarks, Protonen aus einem down- und zwei up-Quarks. Diese beiden Quarksorten sind die leichtesten Quarks. Mit Hilfe hoher Energien kann man auch sehr viel schwerere Quarks erzeugen – diese sind jedoch instabil und zerfallen schnell wieder in die leichten Varianten.

Quarks sind "Herdentiere"

Allen Quarks ist jedoch eine besondere Eigenschaft zu eigen: Sie können nicht als Einzelgänger existieren, sondern nur im Verbund mit anderen Quarks. Es gibt sie nur im Zweierpack – diese Gebilde heißen Mesonen – oder wie bei Neutronen und Protonen im Dreierpack. Die Gluonen sind dabei so genannte Kraftteilchen, die die Quarks zusammenhalten. Und das äußerst effektiv: Versucht man, etwa durch Beschuss mit hochenergetischen Teilchen in einem Beschleuniger, ein Quark aus einem Proton oder Neutron herauszubrechen, benötigt man so viel Energie, dass wieder neue Quarks entstehen. Man erhält dabei viele neue Teilchen, üblicherweise ein ganzes Strahlenbündel, auch Jet genannt – jedoch keine einzelnen Quarks. Sie bleiben stets in Zweier- oder Dreierpacks gebunden.

Die einzige Methode, diese gebundenen Zustände aufzulösen, besteht darin, die Quarks und Gluonen bei extremen Bedingungen zusammenzuschmelzen. Um die Verhältnisse in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall nachzubilden, schießen Physiker deshalb an den größten Teilchenbeschleunigern schwere Atomkerne mit hoher Energie aufeinander. Dadurch können sie so große Energiedichten erzeugen, dass die Kernmaterie den Phasenübergang zum Quark-Gluon-Plasma durchmacht und für einen verschwindend kurzen Sekundenbruchteil in einem winzigen Feuerball die Verhältnisse kurz nach dem Urknall nachstellt.

Quark-Gluon-Plasma | In den ersten Augenblicken unseres Universums war die gesamte Materie in einem extrem heißen und dichten Plasma konzentriert, in dem verschiedene Quarks und Gluonen genannte Elementarteilchen frei durcheinanderfliegen.

Im Gegensatz etwa zu den Experimenten, mit denen man das Higgs gesucht hat, nutzten die Wissenschaftler hierfür nicht Protonen, die Atomkerne des leichtesten Elements Wasserstoff, sondern schwere Bleiatomkerne. Denn es kommt nicht darauf an, einige wenige Elementarteilchen mit extrem hoher Energie kollidieren zu lassen. Die Forscher wollten stattdessen einen extrem heißen Feuerball aus möglichst vielen Quarks und Gluonen erhalten. Bei den erzielten Energien entstehen etliche zehntausend dieser Teilchen.

Der simulierte Urknall

Manchmal treffen bei den Blei-Blei-Kollisionen einzelne Bestandteile dieser Atomkerne so frontal aufeinander, dass sie besonders viel Energie in Form von Jets freisetzen. Nach dem Gesetz der Impulserhaltung entstehen dabei zwei Strahlenbündel, die in entgegengesetzte Richtungen weisen. Diese Jets sind äußerst praktisch, denn sie erlauben es den Wissenschaftlern, die Eigenschaften der Urknallmaterie eingehend zu studieren: Wenn nämlich die Strahlen nicht im Zentrum, sondern etwas seitlich versetzt im Quark-Gluon-Plasma entstehen, so muss einer der beiden Jets einen weiteren Weg durch dieses extrem dichte Medium zurücklegen. Dabei wird er abgeschwächt oder verschwindet sogar ganz.

"Die Kollisionen schwerer Bleikerne bietet eine einmalige Möglichkeit, die Struktur des Universums nur Bruchteile einer Sekunde nach seiner Entstehung zu studieren", erklärt Ralf Ulrich vom Karlsruher Institut für Technologie. "Wenn hochenergetische Teilchenbündel durch das Quark-Gluon-Plasma solcher Kollisionen schießen, kann deren Abschwächung im Plasma direkt analysiert werden."

Am Universaldetektor Compact Muon Solenoid (CMS) des Large Hadron Collider (LHC) bei Genf konnte eine große internationale Kollaboration von Teilchenphysikern nun erstmals die Abschwächung der sehr schweren b-Quarks messen, die rund 1000-mal massereicher als die leichten up- und down-Quarks sind. Wie sich überraschenderweise herausstellte, blieben diese schweren Geschosse ähnlich in der Quarksuppe hängen wie die leichteren Quarks. Das steht im Widerspruch zu einigen gängigen Modellen des Quark-Gluon-Plasmas und wird deshalb helfen, wichtige Fragen zur Frühzeit unseres Universums zu klären.

Das Innere der Sterne?

Denn die Physik der ersten Sekundenbruchteile scheint komplexer zu sein als früher angenommen. Ging man noch vor nicht allzu langer Zeit davon aus, dass sich ein Quark-Gluon-Plasma quasi wie ein Gas verhält, so deuteten Messungen aus dem Jahr 2011 darauf hin, dass es eher einer perfekten Flüssigkeit ähnelt. Nach den neuen Erkenntnissen scheint sich die Quarksuppe jedoch auf verschiedenen Längenskalen unterschiedlich zu verhalten: Auf kurzen Distanzen sind die Wechselwirkungen anscheinend vergleichsweise schwach. Über größere Strecken kommen jedoch kollektive Vielteilcheneffekte ins Spiel, die stärkere Kopplungen zwischen den Partikeln bewirken.

Auch zwei weitere Detektoren am CERN – ATLAS und ALICE – sind an der Erforschung dieses ungewöhnlichen Materiezustands beteiligt. Ab 2015, wenn der LHC in die nächste Betriebsphase geht, werden alle Detektoren nach weiteren, komplexeren Signaturen des Quark-Gluon-Plasmas fahnden, wozu die Forscher allerdings deutlich größere Datenmengen benötigen als bislang.

Wie genau ein Jet in der Quarksuppe hängen bleibt, basiert auf seiner Richtung und Zusammensetzung ab sowie von der Art und Weise, wie sich Energie und Impuls auf die einzelnen Komponenten verteilen. Hierzu müssen die Wissenschaftler Millionen von Kollisionsereignissen untersuchen. Doch auch wenn die dabei erzeugten Feuerbälle winzig sind: Nach einigen Theorien könnte nicht nur kurz nach dem Urknall die Materie in Form eines Quark-Gluon-Plasmas vorgelegen haben – vielleicht befindet sich auch das Innere von Neutronensternen in solch einem Zustand. Beim Rühren in der Quarksuppe lernen wir also nicht nur etwas über die Frühzeit unseres Universums, sondern möglicherweise auch etwas über diese exotischen Sternreste.

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