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Schadstoffe: Was wurde aus dem Waldsterben?

Das Waldsterben war eines der wichtigsten Themen in den Umweltdebatten der 1980er Jahre. Waren diese zu hysterisch? Zu dem damals befürchteten großflächigen Tod der Bäume ist es nicht gekommen. Dafür steht der Wald nun aber vor neuen Herausforderungen.
Wald

Das Schlagwort "Waldsterben" machte vor allem in den 1980er Jahren die Runde. Damals fanden Wissenschaftler immer mehr Indizien dafür, dass Europas Bäume unter dem Einfluss von Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid und Stickoxiden litten. Symptome wie lichte Kronen und Verfärbungen an den Nadeln wurden zunächst an Weißtannen beobachtet, zum Beispiel im Bayerischen Wald oder im Schwarzwald. Dann fielen Fichten und Kiefer durch Nadelverluste auf, ab Mitte der 1980er Jahre wurden auch die Kronen von Buchen und Eichen schütter. Die Schäden waren zum Teil so massiv, dass die betroffenen Bäume eingingen. In einigen Regionen wie im Harz oder im Erzgebirge kam es sogar zum Absterben größerer Bestände.

Die Tatsache, dass manche Emissionen von Industrieanlagen und Kraftwerken nicht gut für die Gesundheit des Waldes sind, war dabei keineswegs neu. Schon im 19. Jahrhundert fanden sich im Umfeld von luftverschmutzenden Betrieben immer wieder kranke und abgestorbene Bäume. Nun aber schien es sich nicht mehr um solche klassischen Rauchgasschäden zu handeln, sondern um ein großflächiges Phänomen: Selbst weit entfernt von möglichen Schadstoffquellen kümmerten Bäume vor sich hin. Wissenschaftler sprachen deshalb von "neuartigen Waldschäden".

Alarmierende Erkenntnisse hatte der Forstwissenschaftler Bernhard Ulrich von der Universität Göttingen zum Beispiel im Solling gewonnen. Das niedersächsische Mittelgebirge, dessen Ausläufer bis nach Hessen und Nordrhein-Westfalen reichen, galt als relativ unbelastet. Doch die Messungen zeigten, dass es in Wirklichkeit reichlich Schwefeldioxid und Stickoxide abbekam. Diese Verbindungen waren naheliegende Verdächtige, die hinter den Waldschäden stecken konnten. Schließlich war Schwefeldioxid der erste Luftschadstoff, dessen Wirkung auf Bäume man bereits im 19. Jahrhundert erkannt hatte. Die Verbindung, die bei der Verbrennung schwefelhaltiger fossiler Brennstoffe frei wird, kann einen Baum zum einen direkt über seine Blätter oder Nadeln schädigen. Bei hohen Konzentrationen wird das Laub dann gelb. Zum anderen reagiert Schwefeldioxid mit Wasser zu Schwefelsäure und führt so zur Entstehung von saurem Regen. Auch die ebenfalls bei Verbrennungsprozessen entstehenden Stickoxide und andere Luftschadstoffe können Säuren bilden und so zur Versauerung von Waldböden beitragen. Dieser Prozess kann dann bei Bäumen zu Schäden an den Wurzeln und zu Ernährungsproblemen führen.

Buchenwald | In den letzten Jahrzehnten nahm die Waldfläche in Deutschland stetig zu. Doch bald könnte sich ein Umbruch vollziehen, denn Holz gilt zunehmend als Energieträger der Zukunft.

Angesichts solcher Zusammenhänge schien es naheliegend, dass die Probleme um sich greifen würden. Anfang der 1980er Jahre warnte Bernhard Ulrich mehrfach davor, dass innerhalb weniger Jahre große Flächen der deutschen Wälder absterben könnten; andere Kollegen schlossen sich an. Medien und Umweltschützer setzten bald griffige Formulierungen wie "Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch" in die Welt. Wissenschaftler verwendeten den Begriff zwar ungern, in der öffentlichen Diskussion aber blieb das "Waldsterben" über Jahre hinweg eines der meistdiskutierten Umweltthemen in Deutschland.

War die These vom "Waldsterben" hysterisch?

Laut der jüngsten Bundeswaldinventur, deren Ergebnisse im Oktober 2014 veröffentlicht wurden, ist heute mit 11,4 Millionen Hektar etwa ein Drittel Deutschlands bewaldet. Die Befürchtung, dass die Bäume innerhalb weniger Jahrzehnte großflächig absterben würden, ist also offensichtlich nicht Realität geworden. Und derzeit rechnet auch niemand damit, dass es noch so weit kommen könnte. Sogar der unermüdliche Mahner Bernhard Ulrich von der Universität Göttingen gab 1995 in einer Veröffentlichung zumindest teilweise Entwarnung: Die Hypothese vom großflächigen Absterben der Wälder in naher Zukunft werde von den Daten nicht gestützt und könne verworfen werden.

Kritiker werfen ihm und anderen Warnern daher vor, sie hätten damals grundlos die Apokalypse prophezeit. Dagegen lässt sich einwenden, dass die Debatte um das Waldsterben rasch zu deutlichen Fortschritten bei der Luftreinhaltung geführt hat. 1983 trat in Deutschland eine Verordnung in Kraft, die beispielsweise den Betreibern von Kohlekraftwerken eine Rauchgasentschwefelung vorschrieb. Später folgten weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung, darunter Vorschriften für die Abgaswerte von Autos, die Entschwefelung von Kraftstoffen und die Einführung von Katalysatoren.

Vor allem die Belastung mit Schwefeldioxid hat seither drastisch abgenommen. Allein zwischen 1990 und 2013 sind die Emissionen nach Angaben des Umweltbundesamts (UBA) von 5,3 auf 0,42 Millionen Tonnen zurückgegangen – ein Minus von mehr als 92 Prozent. Nicht ganz so groß sind die Erfolge bei den Stickoxiden. Doch auch hier verzeichnet das UBA einen deutlichen Rückgang um rund 56 Prozent. Wie der deutsche Wald heute ohne diese massive Verbesserung der Luftqualität aussähe, bleibt Spekulation. Zumal es ja tatsächlich reichlich kranke Bäume gab und gibt. Mittlerweile ist allerdings klar, dass hinter den Nadel- und Blattverlusten nicht nur eine Ursache steckt. Vielmehr macht den Bäumen eine ganze Palette an Stressfaktoren zu schaffen, die je nach Region eine unterschiedlich große Rolle spielen. Wenn Bäume eine schüttere Krone haben, kann das demnach alle möglichen Ursachen haben – von Schädlingsbefall bis hin zu extremer Hitze und Trockenheit. Das Alter der Bäume und ihr Ernährungszustand können ebenfalls eine Rolle spielen, aber eben auch alle möglichen Schadstoffe vom Schwefeldioxid bis zum Ozon.

Auch der Einfluss der Versauerung macht sich in unterschiedlichen Regionen unterschiedlich stark bemerkbar. So können kalkreiche Böden einigen Säureeintrag verkraften, ohne dass sich ihr pH-Wert massiv verändert. Andere Böden dagegen verändern sich unter dem Einfluss der Säuren deutlich zum Nachteil der Bäume. Zum einen verlieren sie an so genannten basischen Kationen wie Kalium, Magnesium und Kalzium, die wichtige Pflanzennährstoffe sind. In den Hochlagen der Mittelgebirge hat Magnesiummangel in den 1980er Jahren zum Beispiel zu Problemen bei der Baumernährung geführt. Zum anderen setzen versauerte Böden auch giftiges Aluminium frei, das die Wurzeln schädigen kann.

Abgestorbene Bäume | Speziell in den 1990er Jahren schwächte saurer Regen die Bäume auf der Nordhalbkugel.

Das alles muss nicht in jedem Fall dramatische Folgen haben. Viele Bäume sind mit der Säurebelastung offenbar besser zurechtgekommen als zunächst befürchtet. So hat eine Studie im Schweizer Mittelland gezeigt, dass trotz der stark versauerten Böden die Feinwurzeln der dortigen Buchen kaum gelitten haben (PDF). Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Buchenwurzeln in stark versauerten Böden weniger Spitzen und Verzweigungen bilden und dass sie Sauerstoff, Nährstoffe und Wasser nicht mehr optimal aufnehmen können.

Baumgesundheit ist also eine komplexe Angelegenheit, bei der sich die Symptome manchmal nur schwer auf eine bestimmte Ursache zurückführen lassen. Zumal Forscher immer wieder neue Einflüsse entdecken, die zu den Hochzeiten der Waldsterben-Diskussion noch gar nicht bekannt waren. Erst 2013 haben Wissenschaftler der Universität Bonn zum Beispiel nachgewiesen, dass die Salzbestandteile von Feinstaub für Kiefern gefährliche Auswirkungen haben können. Diese Partikel werden durch die Luftfeuchtigkeit verflüssigt und breiten sich dann in die Spaltöffnungen der Nadeln aus. Wie ein Docht ziehen sie anschließend das Wasser aus der Pflanze, so dass sie leichter austrocknet. Das alles hat zwar nicht wie befürchtet zum massenhaften Baumsterben geführt, gibt aber nach wie vor Anlass genug, den Gesundheitszustand von Deutschlands Wäldern im Auge zu behalten.

Wie steht es heute um den deutschen Wald?

Seit 1984 wurden zunächst in allen westdeutschen Bundesländern und später in ganz Deutschland die Waldschäden systematisch und nach einheitlichen Kriterien erfasst. Jedes Jahr zwischen Mitte Juli und Ende August schicken die Forstlichen Versuchsanstalten der einzelnen Bundesländer dazu geschultes Personal in den Wald, um den Kronenzustand von dauerhaft markierten Stichproben-Bäumen zu erfassen. Je nachdem, wie viele Blätter oder Nadeln im Vergleich zu einem gesunden Exemplar fehlen, wird der Baum dann in eine von fünf Schadstufen eingeordnet. Zusätzlich werden auch Verfärbungen und leicht erkennbare Ursachen von Kronenverlichtungen wie Insektenfraß oder Pilzbefall registriert.

Kritiker dieser Methode wenden ein, dass sie von einem "normalen" Belaubungszustand ausgehe, den es eigentlich gar nicht gebe: Je nach Standort, Ernährungssituation, Wasserversorgung und genetischer Veranlagung falle das Blätter- oder Nadelkleid innerhalb der einzelnen Arten auch von Natur aus recht unterschiedlich aus. Und selbst wenn eine Krone auffallend licht sei, könne das verschiedenste Ursachen haben. Rückschlüsse auf den tatsächlichen Gesundheitszustand des Waldes zu ziehen, sei daher mitunter schwierig. Dennoch bieten die regelmäßigen und flächendeckenden Erhebungen und die daraus erstellten Waldzustandsberichte zumindest eine Möglichkeit, positive und negative Entwicklungen zuerkennen.

Die aktuelle Untersuchung aus dem Jahr 2015 (PDF), die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Februar 2016 veröffentlicht hat, zeigt dabei zunächst wenig Neues. Bei fast allen Baumarten hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum etwas geändert. Einzige Ausnahme sind die Buchen, die sich 2015 mit deutlich voller belaubten Kronen präsentierten als im Jahr zuvor. Das liegt allerdings daran, dass diese Bäume 2014 sehr viele Bucheckern produziert haben – eine Herausforderung, die viel Energie kostet und sich daher regelmäßig in schütteren Kronen niederschlägt.

Für Laubbäume sieht es schlecht aus

Interessanter sind die langfristigen Trends, die sich seit Beginn der jährlichen Gesundheitschecks abzeichnen. Und die verheißen vor allem für Laubbäume nichts Gutes. So wuchsen 1984 nur auf 13 Prozent der untersuchten Waldfläche Buchen mit deutlich verlichteten Kronen, 2015 waren es trotz der Erholung im Vergleich zum Vorjahr immerhin 33 Prozent. Die Fläche mit voll belaubten Exemplaren ist im gleichen Zeitraum von 50 auf 22 Prozent zurückgegangen. Bei den Eichen fanden die Fachleute 1984 auf gerade mal 9 Prozent der Fläche schüttere Kronen, seit 2005 hat es dagegen immer wieder Werte um die 50 Prozent gegeben. Inzwischen scheint sich die Lage wieder etwas entspannt zu haben, 2014 und 2015 lag die Fläche mit derart geschädigten Eichen im Bundesdurchschnitt bei jeweils 36 Prozent. Dabei gab es allerdings je nach Bundesland deutliche Unterschiede. So ist der Flächenanteil der deutlich geschädigten Eichen in Rheinland-Pfalz zwischen 2014 und 2015 um 12 Prozent gestiegen, in Berlin dagegen um 15 Prozent gesunken.

Kiefernwald im Abendlicht | Der Schein trügt nicht: Im Gegensatz zu den Laubbäumen, deren Kronen heute offenbar in schlechterem Zustand als Mitte der 1980er Jahre sind, zeigen Nadelbäume einen deutlichen Trend zur Erholung.

Die Kronen der Laubbäume sind heute also offenbar in schlechterem Zustand als Mitte der 1980er Jahre. Anders sieht die Sache bei den Nadelbäumen aus. Während es bei Fichte und Kiefer keinen klaren Trend gibt, zeigen die übrigen Arten eine Tendenz zur Erholung. Auffällig ist, dass sich extreme Hitze und Trockenheit wie im Jahrhundertsommer 2003 in der Folge häufig auch in hohen Blatt- und Nadelverlusten bemerkbar machen. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass Deutschlands Wäldern künftig weiterer Stress bevorsteht. Schließlich rechnen Klimaforscher damit, dass sich solche extremen Wetterlagen im Zuge des Klimawandels häufen werden. Und das ist bei Weitem nicht die einzige Herausforderung, vor der die Wälder auch in Zeiten verbesserter Luftqualität stehen. Ob ein solches Ökosystem intakt ist und seine vielfältigen Funktionen erfüllen kann, hängt schließlich nicht nur von der Vitalität der einzelnen Bäume ab. Entscheidend ist zum Beispiel auch die Vielfalt der Baumarten oder das Angebot an alten Bäumen und Totholz, die besonders vielen Arten einen Lebensraum bieten. Naturschützer sehen auch in dieser Hinsicht noch viel Verbesserungsbedarf.

Wie sieht es in anderen Regionen aus?

In Europa ist die Luftbelastung in den letzten Jahrzehnten generell zurückgegangen, je nach Schadstoff und Region jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Am stärksten hat sich die Lage bei den Schwefelemissionen verbessert. Diese sind in Skandinavien, Österreich und der Schweiz ähnlich wie in Deutschland zwischen 1980 und 2000 um rund 90 Prozent zurückgegangen, in Südosteuropa dagegen nur um 40 Prozent. Weniger eindrucksvoll sind die Erfolge bei den Stickoxidemissionen. Doch auch diese haben im gleichen Zeitraum im europaweiten Durchschnitt immerhin um 25 bis 30 Prozent abgenommen (PDF). Entsprechend haben Wissenschaftler auch schon in einigen Regionen Indizien dafür gefunden, dass sich bestimmte Bäume zu erholen beginnen. Fichten zum Beispiel scheinen relativ rasch auf höhere oder niedrigere Belastungen zu reagieren, wie eine Studie in den Sudeten im Süden Polens zeigt. Dort haben Forscher die Baumringe vermessen und dabei festgestellt, dass die Fichten zwischen Anfang der 1980er und Anfang der 1990er Jahre am schlechtesten gewachsen sind – also genau zu der Zeit, als die Belastung mit Luftschadstoffen am höchsten war. In den letzten zehn Jahren dagegen hat sich der Zustand des Waldes wegen der geringeren Emissionen wieder verbessert.

Auch in vielen anderen Industrieländern liegt der Ausstoß von Schwefelverbindungen heute deutlich niedriger als vor 30 oder 40 Jahren. In Russland sind diese Emissionen zum Beispiel allein zwischen 1980 und 1990 um 38 Prozent zurückgegangen. Dennoch kommen von dort auch im 21. Jahrhundert noch Berichte über Waldschäden, die auf lokale Belastungsquellen zurückgehen. Auf Grund der Nickelproduktion gilt etwa die Umgebung der sibirischen Großstadt Norilsk als eine der am stärksten verschmutzten Regionen der Erde. Rund zwei Millionen Hektar Wald sind durch die von den dortigen Verhüttungsbetrieben ausgehenden Schadstoffe abgestorben oder schwer geschädigt. Auch in anderen Regionen Russlands wie auf der Kola-Halbinsel und um die Stadt Irkutsk in der Nähe des Baikalsees gibt es Waldschäden durch Luftschadstoffe (hier ein PDF der Studie).

Einige Regionen im Osten Asiens haben durch das Bevölkerungswachstum und die rasante wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten sogar eine deutliche Zunahme der Luftverschmutzung zu verzeichnen. Vor allem in etlichen großen Städten und ihrer Umgebung prasseln mit dem Niederschlag deutlich größere Mengen versauernder Stickstoff- und Schwefelverbindungen herunter als in Europa. In Japan zum Beispiel bekamen die Böden im Jahr 2009 dreimal so viele Schwefelverbindungen ab wie in Europa oder den USA. Und in der Millionenstadt Chongqing in China haben Wissenschaftler einen Eintrag von mehr als 52 Kilogramm Schwefel pro Hektar und Jahr gemessen – mehr als das Zehnfache der heute in Deutschland üblichen Werte.

Auch bei den Stickoxiden hat China ein massives Problem, zeigen Satellitenmessungen. So ist die Konzentration von Stickstoffdioxid in der Troposphäre über etlichen Regionen Europas und der USA zwischen 1996 und 2004 deutlich gesunken. Über den Industrieregionen Chinas dagegen ist sie im gleichen Zeitraum um die Hälfte gestiegen, über Peking und dem Nordosten des Landes wurden die höchsten Konzentrationen weltweit gemessen.

Wie lange macht sich die Versauerung in den Böden noch bemerkbar?

Ähnlich wie der Zustand der Bäume steht in Deutschland auch der Zustand des Waldbodens unter Beobachtung. Eine erste Erhebung dazu haben die Bundesländer in den Jahren 1989 bis 1992 durchgeführt. Damals ließen sich eine flächendeckende Versauerung und eine Überversorgung der Waldböden mit Stickstoff feststellen. Die Daten einer Folgeuntersuchung in den Jahren 2006 und 2007 sollen 2016 veröffentlicht werden. Dann wird sich zeigen, ob sich dieses Problem inzwischen entschärft hat.

Etliche Studien legen nahe, dass sich Wälder durchaus wieder erholen können, wenn die Schadstoffbelastung sinkt. So haben französische Forscher floristische Daten von mehr als 120 000 über ganz Frankreich verteilten Probeflächen ausgewertet. Aus den Ansprüchen der Pflanzengemeinschaften, die dort zwischen den Jahren 1910 und 2010 wuchsen, haben sie auf den Säuregrad des Waldbodens geschlossen. Vor allem bei von Natur aus sauren Böden, die einen weiteren Säureeintrag schlecht abpuffern können, zeigte sich vor 1984 ein deutlicher Rückgang des pH-Werts. Danach schien sich die Lage zunehmend wieder zu stabilisieren. Deutlich langsamer reagierten die Böden auf kalkhaltigem Untergrund, die bessere Pufferkapazitäten haben. Dort wurde der Höhepunkt der Versauerung erst zwischen 1984 und 2007 erreicht. Danach ist der pH-Wert wieder leicht gestiegen. Der Trend zu immer größerer Bodenversauerung sei in Frankreich offenbar gestoppt, folgern die Forscher. In einigen Gebieten gebe es auch schon Anzeichen für eine Erholung.

Das scheint aber längst nicht überall der Fall zu sein. Im dicht besiedelten Flandern zum Beispiel bekommen die Wälder im europäischen Vergleich zwar immer noch relativ große Mengen von versauernden Stickstoff- und Schwefelverbindungen ab. Doch auch hier ist die Belastung im Vergleich zu früheren Jahrzehnten massiv zurückgegangen. Trotzdem sind die Böden der Nadel- und Laubwälder nach wie vor in keinem guten Zustand, zeigt eine Studie belgischer Wissenschaftler. Die Versauerung geht demnach trotz des verringerten Schadstoffausstoßes weiter – wenn auch in gebremstem Tempo. Offenbar werde eine raschere Erholung durch einen Mangel an basischen Kalium-, Kalzium- und Magnesiumionen und durch verschiedene chemisch-physikalische Prozesse im Boden gebremst, folgern die Forscher. Ähnliche Ergebnisse kommen auch aus dem Süden Polens, wo der Boden unter alten Fichtenbeständen auch nach dem Rückgang der Schadstoffeinträge weiter versauert.

Hinweise darauf, wie langsam sich versauerte Böden tatsächlich erholen können, hat ein Team aus tschechischen und britischen Wissenschaftlern gefunden. Mit Hilfe eines Computermodells haben sie die Chemie des Bodenwassers unter einem Fichtenbestand im Westen der Ukraine simuliert. Dieses Gebiet gehört seit jeher zu den weniger belasteten Regionen Europas, und im Vergleich zu Anfang der 1980er Jahre ist der Eintrag von Stickstoff und Schwefel weiter gesunken. Den Berechnungen zufolge sollen sich der pH-Wert und die Aluminiumkonzentration innerhalb von 40 Jahren wieder einpendeln. Das Niveau der basischen Kalium-, Kalzium- und Magnesiumionen aber dürfte sich nur sehr langsam erholen. Böden haben offenbar eine Art chemisches Gedächtnis, aus dem sich die jahrzehntelangen Belastungen nicht so schnell tilgen lassen.

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