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Stromausfall in Spanien und Portugal: In fünf Sekunden ins Chaos

Dieser Stromausfall ist ohne Beispiel: 60 Prozent der spanischen Stromerzeugung gingen in Sekunden vom Netz. Dass es zum Blackout kam, hängt wohl mit der Solarenergie und der Einbindung ins europäische Netz zusammen.
Während des Stromausfalls am 28. April 2025 sind im südspanischen Granada die Silhouetten von Menschen zu erkennen, die nur im Licht von Scheinwerfern durch eine ansonsten dunkle Straße laufen.
Nur im Licht von Scheinwerfern: Während des Stromausfalls am 28. April streifen Menschen als gespenstische Silhouetten durch eine dunkle Straße im südspanischen Granada.

Um 12.33 Uhr fuhren in Spanien und Portugal noch U-Bahnen und Aufzüge, es brummten Kühlschränke, und es liefen Fernseher. Eine Minute später war es damit vorbei. Innerhalb von nur fünf Sekunden gingen große Teile der spanischen Stromerzeugung vom Netz – insgesamt 15 Gigawatt und damit etwa 60 Prozent des Stroms, der zu dieser Zeit in Spanien verbraucht wurde, wie die spanische Zeitung »El País« berichtet. Das war zu viel für das Netz auf der Iberischen Halbinsel. Es brach zusammen. Blackout.

»Ein so großer Leistungsabfall – 60 Prozent – ist mir spontan nicht bekannt«, beschreibt Energiesystemforscher Veit Hagenmeyer vom Karlsruher Institut für Technologie die historische Dimension des Kollapses. Zwar könne das europäische Stromnetz den Ausfall eines großen oder mehrerer kleinerer Kraftwerke mit insgesamt drei Gigawatt verkraften. Aber das spontane Verschwinden von 15 Gigawatt gilt als sehr unwahrscheinlich und ist nicht so schnell auszugleichen.

»Sogar Experten des spanischen Netzbetreibers Red Eléctrica hatten in der Vergangenheit ausgeschlossen, dass es auf der Halbinsel einen solchen Ausfall geben könnte«, sagt Álvaro De La Puente Gil von der Universität Léon. »Das spanische Stromnetz verfügt über Sicherheitsmechanismen, die automatisch wirken, um genau diese Art von Zusammenbruch zu verhindern«, erklärt der Energietechniker. Dazu gehört das Hoch- oder Runterfahren von einzelnen Kraftwerken. »Die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Stromausfalls überstiegen jedoch den üblichen Handlungsspielraum.«

Klaffen die erzeugte Strommenge und die Nachfrage zu weit auseinander, werden Kraftwerke, Wind- oder PV-Anlagen, Verbraucher, aber auch Stromleitungen oder Umspannanlagen automatisch abgeschaltet – um diese vor Schäden zu schützen. »Daraus entsteht eine regelrechte Kaskade von Abschaltungen«, sagt Veit Hagenmeyer. »Die breitet sich dann durch das Netz aus und führt zu einem großflächigen Stromausfall.«

»Eine regelrechte Kaskade von Abschaltungen breitet sich durch das Netz aus und führt zu einem großflächigen Stromausfall«Veit Hagenmeyer, Energiesystemforscher

Was genau dem Netz in Spanien, Portugal und Teilen Frankreichs den Stecker zog, ist bislang noch nicht bekannt. Zumindest ein Cyberangriff gilt mittlerweile als ausgeschlossen. Doch die Dynamik, die zum Ausfall führte, lässt sich nachzeichnen. Sie entstand aus dem Zusammenspiel von sehr viel Solarenergie, fehlenden Speichern und unzureichenden Leitungen ins übrige europäische Stromnetz.

Unmittelbar vor dem Kollaps stammten weit mehr als die Hälfte des Stroms in Spanien aus Fotovoltaik und nur knapp zehn Prozent aus Wasserkraft, Kernenergie oder Gaskraftwerken. Letztere wirken träge und stützen damit die Netzfrequenz, während Fotovoltaik die Energie volatil ins Netz einspeist. Dennoch: Lastspitzen oder -abfälle, die dadurch entstehen, können in der Regel aufgefangen werden. Auch das spanische Netz schien gut gerüstet. Beispielsweise ist das Hoch- und Höchstspannungsnetz dicht verknüpft. Im Fall von lokalen Netzengpässen findet der Strom relativ leicht Alternativrouten, was das Netz stabilisiert. Zudem verfügt Spanien über genügend grundlastfähige Stromerzeugungsanlagen wie Wasserkraftwerke oder fossile Kraftwerke. Diese lieferten ausgerechnet am Tag des Blackouts aber nur wenig Strom.

Gefährdete Energieinsel Spanien

Einer der wichtigsten Mechanismen zur Stabilisierung ist zugleich eine Schwäche des iberischen Netzes: die Anbindung an die Nachbarländer. Denn ein großes Netz wirkt wie ein Puffer. Je umfangreicher das Netz, desto flexibler kann es lokale Lasten verteilen und somit entschärfen. »Das spanische Netz ist wie eine Energieinsel«, sagt Álvaro De La Puente Gil. Nur drei Prozent der installierten Kraftwerksleistung kann Spanien mit seinen Nachbarländern austauschen; die EU setzt bis 2030 das Ziel von 15 Prozent. Dass sich zwischen Spanien und Frankreich die Pyrenäen erheben, macht die Sache nicht leichter. »Dadurch ist unser Netz anfälliger für interne Störungen: Wenn ein größerer Ausfall innerhalb des Systems der Halbinsel auftritt, kann es nicht genügend externe Unterstützung erhalten, um sich zu stabilisieren.«

Denn auch im Netz selbst gibt es kaum Puffer, um Frequenzschwankungen auszugleichen. Laut Miguel de Simón Martín von der Universität Léon machen reversible Pumpspeicherkraftwerke und Batteriesysteme auf dem spanischen Festland heute nicht einmal drei Prozent der installierten Leistung aus.

Immerhin, bis zum Jahr 2027 soll die bestehende Vier-Gigawatt-Leitung zwischen den beiden Ländern durch eine weitere Fünf-Gigawatt-Leitung ergänzt werden. Das senkt die Gefahr von Blackouts im spanischen Netz. Zudem bedarf es neben weiteren Großbatterien und Pumpspeichern besserer Kontroll- und Prognosesysteme, um das spanische Netz flexibler und damit fit für hohe Anteile erneuerbarer Energien zu machen.

»Kurzfristig wird der Netzbetreiber sehr strenge Präventivmaßnahmen ergreifen«Álvaro De La Puente Gil, Energietechniker

Dass sich ein solcher Blackout kurzfristig aber noch einmal wiederholt, halten Experten für sehr unwahrscheinlich. »Alle sind jetzt in höchster Alarmbereitschaft. Kurzfristig wird der Netzbetreiber sehr strenge Präventivmaßnahmen ergreifen«, sagt Álvaro De La Puente Gil. Mittelfristig werde aber ein Risiko bleiben. »Es muss unbedingt gründlich untersucht werden, was zu einem so schnellen Ausfall geführt hat, um eine Wiederholung zu verhindern.«

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