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Wearable Computing: Mein smartes Tattoo

Der Desktop-Computer ist womöglich bald Geschichte: Geräte werden immer kleinteiliger und enger am Körper getragen. Dabei spielt unsere Haut als Steuerungsoberfläche eine wachsende Rolle.
Mann hält sich ein Smartphone an den Oberarm, an welchem ein Sensor befestigt ist
Im medizinischen Bereich können Patienten mit manchen Krankheiten wie Diabetes bereits auf smarte Technik zurückgreifen, die auf der Haut sitzt. Forscher arbeiten daran, solche Wearables noch dünner zu machen – wie temporäre Tattoos, die auf der Haut getragen werden. Sie könnten für zahlreiche Alltagsanwendungen in Frage kommen.

Für die meisten Menschen ist ein Computer ein starrer Kasten auf dem Schreibtisch, oder wenn überhaupt ein Laptop, viereckig und hart. Aber von dieser Vorstellung müssen wir uns womöglich verabschieden: Forschende aus dem Bereich des »ubiquitous computing« (auf Deutsch: allgegenwärtiges Rechnen) arbeiten bereits daran, die Rechenleistung auf immer kleinere Einheiten aufzuteilen, die unseren Alltag gewissermaßen unauffällig durchdringen sollen. Computer sollen sich so unter anderem in Form des »wearable computing« in unser Leben integrieren. »Wearable« bedeutet in diesem Fall am Körper getragen: Versteckt in Brillen, Kopfhörern oder auch einfach nur als Smartphone in der Hosentasche, sollen sie uns jederzeit zu Diensten stehen und mit der digitalen Welt verbinden.

Sperrige Nutzer-Interfaces wie Tastatur, Maus oder Bildschirm wären in dieser Vision nur ein Klotz am Bein. Deshalb arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an alternativen Steuerungsmöglichkeiten, die direkt auf der Haut getragen werden können. Jürgen Steimle von der Universität des Saarlandes etwa entwickelt elektronische Folien, die so dünn und flexibel sind, dass sie sich perfekt an die Körperform anpassen. Als temporäre Tattoos erlauben sie es dem Träger, einen Computer zu steuern oder den Output eines elektronischen Geräts in Form einfacher Displays oder taktiler Reize direkt auf der Haut auszulesen. Auch das Erfassen physiologischer Signale, die drahtlose Übertragung von Daten oder einfache Berechnungen lassen sich mit solchen Folien realisieren.

Seit fünf Jahren läuft am von Steimle geleiteten Labor für Mensch-Computer-Interaktion und Interaktive Technologien ein Projekt, in dem die Forscher versuchen, unterschiedliche In- und Output-Möglichkeiten in hauchdünne Folien zu integrieren. »Eine Folie auf der Haut ist eine noch direktere und natürlichere Form der Interaktion als etwa über die Kleidung«, sagt Steimle. »Besonders interessant ist dabei der Bereich der Finger, weil man hier auch winzige Gesten nutzen kann, etwa indem der Daumen den Zeigefinger berührt.« Damit sich die Folien an die komplexe und veränderliche Geometrie der Finger anpassen, sind sie in der Regel nur etwa einen bis 20 Mikrometer dick und damit fast nicht mehr spürbar.

Finger aneinanderreiben statt über den Screen wischen

Zum Teil kommt für die Eingabegeräte kapazitive Touchsensorik zum Einsatz. Diese Technologie erfasst feine Berührungen nach dem gleichen Prinzip wie der Touchscreen eines Smartphones: indem sich die elektrische Kapazität einer entsprechend präparierten Kupferelektrode ändert, was wiederum von Sensoren registriert wird. Bei Steimles Projekt dient eine Folie an einem Finger als Touchpad, während ein anderer Finger leicht darüberstreicht und damit ein elektronisches Gerät steuert. »Das hat auch den Vorteil, dass dabei eine Hand völlig frei bleibt, während man für das Wischen am Smartphone auch noch die andere Hand braucht, um das Gerät zu halten«, sagt Steimle.

Andere Systeme basieren dagegen auf Dehnungssensoren: Diese klassische Methode zum Erfassen von Dehnungen wird schon lange in unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt und beruht im Wesentlichen darauf, dass sich der elektrische Widerstand eines Materials vergrößert, wenn es sich dehnt. »So können wir die Bewegungen wie das Krümmen und Ausstrecken eines Fingers erfassen«, sagt Steimle.

© ACM SIGCHI / Youtube
Das »Tacttoo« von der Universität des Saarlandes

Bereits in einer frühen, konzeptuellen Studie haben die Forscher und Forscherinnen untersucht, welche Gesten einfach funktionieren könnten und wie man gut auf der Haut interagieren kann. »Zunächst geht man ja von der Annahme aus, die Haut funktioniert wie ein Smartphone mit dem üblichen Tippen, Wischen und Zoomen«, sagt Steimle. »Allerdings bietet die Haut mit ihren reichhaltigen Geometrien, der Verformbarkeit und der Tatsache, dass man selbst spürt, wo man sich berührt, noch eine ganze Reihe weitere Möglichkeiten.« Deshalb ließen die Forschenden Testpersonen spontan intuitive Gesten für verschiedene Aufgaben auf der Haut demonstrieren, ohne sie technisch umzusetzen. Dabei haben sich zusätzlich zu den üblichen Smartphone-Gesten noch viele weitere Möglichkeiten ergeben, die auf einem starren, flachen Touchscreen nicht möglich wären. Manche der Gesten, die aufkamen, waren sogar etwas unangenehm: So drückten beispielsweise manche Versuchspersonen die Haut zusammen und verdrehten sie anschließend zu einer Falte. »Das könnte etwa dazu genutzt werden, sicherheitskritische Funktionalitäten aufzurufen, die nicht aus Versehen im Alltag getätigt werden sollen, etwa das Löschen wichtiger Informationen«, sagt Steimle.

Bei ihren Prototypen konzentriert sich Steimles Forschungsgruppe rein auf die Funktionalität der Folien selbst – die Übertragung der Daten an den Computer hat die Gruppe vorerst nur in Form einfacher Drähte gelöst, weil das nicht der Kern ihrer Forschung sei, sagt Steimle. Eine denkbare Lösung dafür wäre die Nahfeldkommunikation, die auch das berührungslose Bezahlen mit der Bankkarte ermöglicht. Dabei empfängt eine Antenne in der Karte die elektromagnetischen Wellen eines Lesegeräts in der Nähe und nutzt die daraus gewonnene Energie, um Daten an das Gerät zurückzusenden. Dem MIT Media Lab und Microsoft Research ist es bereits vor einigen Jahren gemeinsam gelungen, dieses System in Form einer Antenne aus dünner Goldfolie auf die Haut zu übertragen. »Das ist vor allem für Sensorik auf der Haut interessant, die nur ab und zu funktionieren soll, etwa im medizinischen Bereich«, sagt Steimle. Um permanent in Kontakt mit einem externen Gerät zu bleiben, müsste ein smartes Tattoo allerdings über eine eigene Energieversorgung in Form einer weichen Batterie oder eines Superkondensators verfügen. Auch hier gibt es bereits erste Prototypen anderer Forschungsgruppen.

Haptik im Digitalen

Auch Ausgabegeräte lassen sich als dünne Folien realisieren – Ausgabe bedeutet, dass der Computer Informationen an den Menschen gibt. Dabei setzen Steimle und sein Team auf eine Eigenschaft der Haut, die konventioneller Technologie nicht zugänglich ist: den Tastsinn. »Haptische Ausgaben haben den Vorteil, dass man nicht hinschauen muss«, sagt der Informatiker. »Und wenn die Folien dünn genug sind, bleibt durch sie hindurch weiterhin auch normales Spüren und Tasten möglich.« Seine »Tacttoos« können etwa auf der Fingerkuppe getragen werden und dem Nutzer über mehrere nebeneinander angeordnete Punkte das Gefühl mechanischer Vibrationen vermitteln. In Wirklichkeit sind es allerdings schwache Wechselströme, die die Nervenenden der Mechanorezeptoren anregen, also der Sinneszellen, die normalerweise Bewegungen erfassen.

»So überlagern wir die physische Welt, die uns umgibt und die wir spüren und anfassen können, mit digitalen Informationen«, sagt Steimle. »Das ist Augmented Reality, nur eben taktil statt visuell.« Mit seiner elektrotaktilen Sinnestäuschung kann ein Tacttoo zum Beispiel dafür sorgen, dass sich eine glatte Oberfläche rau anfühlt. »Das könnte unter anderem für Designer interessant sein, die oft kleine physische Modelle herstellen, um sie anfassen und besser diskutieren zu können«, sagt Steimle. Eine weitere mögliche Anwendung könnte ihm zufolge das virtuelle Markieren wichtiger Tasten auf einem Keyboard sein. Dabei würde eine Kamera erfassen, wo sich der Finger gerade befindet, und ihm bei der passenden Taste ein taktiles Feedback geben.

»Man könnte ein Herzchen am Unterarm leuchten lassen, das unmittelbar anzeigt, dass der oder die Liebste gerade an einen denkt«Jürgen Steimle, Informatiker

Doch auch konventionelle Ausgaben wie etwa Informationen auf einem Leuchtdisplay lassen sich auf der Haut realisieren. So hat Steimle ebenfalls Folien im Repertoire, die mit 40 bis 50 Mikrometern zwar etwas dicker sind, dafür aber bei elektrischer Anregung aufleuchten. Das könnte dann beispielsweise bedeuten, dass man eine Nachricht bekommen hat. »Oder man macht daraus ein leuchtendes Herzchen am Unterarm, das unmittelbar anzeigt, dass der oder die Liebste gerade an einen denkt«, schlägt Steimle vor.

Wichtig ist Steimle, dass ein Tattoo – wenn auch nur ein temporäres – immer eine sehr persönliche Angelegenheit ist. Gerade bei Wearables, die am Körper getragen werden, ist Ästhetik ein wichtiges Thema. »Da wäre es ein Fehler, nur an die Funktion zu denken«, findet Steimle. »Und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass man wie bei Apple-Geräten eine Ästhetik haben wird, die dann jeder trägt.« Aus diesem Grund setzen er und sein Team stark auf digitale Fertigung. »So haben wir die Möglichkeit, Geometrie und Ästhetik für jeden einzelnen Prototyp individuell zu gestalten.«

Datenschutz als Problem beim »wearable computing«

Neben der Möglichkeit, Computer über elektronische Folien auf der Haut zu steuern, lässt sich über diese auch einiges über den Körper des Nutzers oder der Nutzerin in Erfahrung bringen. So können Sensoren beim »wearable computing« etwa physiologische Signale wie das Elektrokardiogramm ermitteln oder die durch Schweiß veränderte elektrische Leitfähigkeit messen, was auch Rückschlüsse auf den Gemütszustand erlaubt. »Solche Messungen könnten etwa beim Gaming eingesetzt werden«, sagt Steimle. Schließlich gehe es bei Computerspielen oft darum, den Nutzer in einen Spielfluss zu versetzen. »Wenn man da eine Rückkopplungsschleife baut, indem das Spiel den Zustand des Nutzers erfasst, kann man ihn im idealen Bereich halten.« Bei Lernsoftware wiederum könnten solche Informationen helfen, eine drohende Überforderung zu erkennen, um den Schwierigkeitsgrad entsprechend anzupassen.

Was den Datenschutz angeht, ist das Erfassen physiologischer Signale sicher mit Skepsis zu betrachten. Allerdings können Interfaces zur Steuerung in Form von Folien auf der Haut diesbezüglich sogar Vorteile gegenüber anderen Technologien haben. Elektromyografie etwa erlaubt es, über eine Messung der Ströme im Nervensystem die Muskelbewegungen und damit Gesten und Körperbewegungen zu erfassen. Damit ließe sich etwa die Steuerung eines Avatars in der virtuellen Welt ohne Kameras realisieren, die zusätzlich auch noch etwas über die Umgebung des Nutzers preisgeben.

Um solch feine Messungen auf der Haut durchzuführen, braucht es jedoch entsprechende Vorverstärker, die die schwachen analogen Signale der Sensoren noch an Ort und Stelle verstärken, in digitale Signale umwandeln und erst dann weiter zum zentralen Rechner schicken. Zu diesem Zweck haben Forscher der Stanford University Schaltkreise entwickelt, die aus weichen Transistoren bestehen und ebenfalls in Form von Folien auf der Haut getragen werden können.

Einen Schwachpunkt haben aber alle funktionalen Tattoos bislang noch: Es mangelt ihnen an der für den Alltagseinsatz nötigen Robustheit. Anstatt hauchdünner Folien mit hohem Tragekomfort sind kommerzielle Produkte deshalb in der Regel noch dicke Pflaster, die neben weichen Komponenten auch starre Bauteile enthalten. Die meisten dieser so genannten Biostamps wurden für medizinische Anwendungen entwickelt und messen physiologische Parameter wie Körpertemperatur, Puls oder Glukosewerte im Blut. Sie können an verschiedenen Stellen des Körpers auf der Haut getragen werden und zudem mit anderen Geräten kommunizieren, um die Daten auszulesen.

»Medizinische Anwendungen sind ein sehr großer und wichtiger Markt, und es ist nicht überraschend, dass die ersten kommerziellen Anwendungen von dort kommen«, erklärt Steimle. Der Weg zur Marktreife führt ihm zufolge deshalb über einen Zwischenschritt in Form von Silikon als Grundmaterial. Solche Geräte sind zwar ebenfalls dicker und etwas unbequemer als die hauchdünnen Polymerfolien, halten jedoch deutlich länger. Letztlich steht im Zentrum zukünftiger Entwicklungen also immer auch die Suche nach dem richtigen Material.

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