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News: Weib auf 'Knopfdruck'

Ist Weiblichkeit bei Säugetieren tatsächlich der Standard, der nur durch aktive Einwirkungen in die männliche Richtung geändert werden kann? Die traditionelle Ansicht über die geschlechtliche Entwicklung weiblicher Säugetiere als ein im Wesentlichen passiver 'voreingestellter' Vorgang wird jetzt in Zweifel gezogen. Wissenschaftler haben ein 'Schalter'-Gen identifiziert, dessen Aktivität im weiblichen Fötus für eine weibliche Entwicklung erforderlich ist. Fehlt das Gen, so hat dies schwerwiegende Folgen: Es bilden sich im ansonsten weiblichen Fötus Hoden und andere Teile des männlichen Fortpflanzungssystems.
Im frühen Säugetier-Fötus sind die zwei Geschlechter anatomisch noch nicht unterscheidbar. Beide besitzen ein identisches Paar undifferenzierter Keimdrüsen und ein Paar damit verbundener Leitungskanäle, den Müllerschen und den Wolfschen Gang. Nur wenn das entscheidende SRY-Gen (sex determining region Y) auf dem männlichen Y-Chromosomen aktiviert wird, dann entwickelt sich ein Männchen. Fehlt die Genaktivität, so entwickelt sich der Embryo als Weibchen, auch wenn er chromosomal männlich ist. Aufgrund dieses Phänomens entstand auch die Vorstellung, daß die männliche Entwicklung auf ein grundlegendes, vorgegebenes weibliches Entwicklungsmuster sozusagen aufgepfropft sei.

Das SRY-Gen in Männern verursacht zuallererst die Entwicklung von bestimmten Keimdrüsenzellen. Diese sondern ein Hormon ab, welches unter dem Begriff Müllerian Inhibiting Substance (MIS) bekannt ist. MIS unterdrückt die Entwicklung der Müllerschen Gänge, bis sie schließlich verschwunden sind. Eine weitere Differenzierung der Hoden führt dazu, daß die Zellen Testosteron sekretieren, welches den Rest der männlichen Entwicklung in Gang setzt.

Bei Weibchen, die kein SRY-Gen besitzen, wird weder eine Substanz zur Unterdrückung der Müllerschen Gänge noch Testosteron erzeugt. Die Müllerschen Gänge wachsen dementsprechend weiter und bilden schließlich die Eileiter und die Gebärmutter. Die Keimdrüse wird zum Eierstock. Die Wolffschen Gänge entwickeln sich nicht weiter und verschwinden schließlich.

Andrew P. McMahon und seine Kollegen vom Department of Molecular and Cellular Biology an der Harvard University in Cambridge haben nun herausgefunden, daß die weibliche Entwicklung nicht die unvermeidliche Konsequenz eines Mangels am SRY-Gen ist (Nature, Ausgabe vom 4. Februar 1999). Im Gegenteil: Damit sich ein Weibchen entwickeln kann, muß ein bestimmtes Gen, das Wnt-4, die männliche Entwicklung aktiv unterdrückt und positive Signale für die Entwicklung der weiblichen Fortpflanzungsorgane geben. Fehlt dieses Gen, so bilden chromosomal gesehen weibliche Mäuse keine inneren weiblichen Fortpflanzungsorgane. Statt dessen bilden sie Hoden und Wolffsche Gänge, die nicht von denen ihrer männlichen Ebenbilder zu unterscheiden sind. Männliche Mäuse, denen Wnt-4 fehlt, scheinen sich normal zu entwickeln. Nach Meinung der Wissenschaftler beweist dies, daß Wnt-4 ein echter weiblicher Entwicklungsschalter ist. Obwohl das Gen sowohl in männlichen als auch weiblichen Tieren vorhanden und bei beiden früh in der fötalen Entwicklung aktiv ist, wird es in Männchen anscheinend später abgeschaltet.

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