Nierenerkrankungen: Weibliche Sexualhormone schützen vor Nierenversagen

Die klassischen Volksleiden Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen gehen mit zahlreichen Begleiterkrankungen einher. Unter anderem erhöhen sie das Risiko für Nierenfunktionsstörungen bis hin zum Nierenversagen. Da weltweit immer mehr Personen von Übergewicht und Stoffwechselstörungen betroffen sind, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO im Februar 2025, Nierenerkrankungen müssten stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik rücken. Nötig seien eine bessere Vorsorge, Früherkennung und therapeutische Behandlung, um Nierenkomplikationen entgegenzuwirken. Hierfür sei es wichtig, die Krankheitsmechanismen weiter zu erforschen und die Nierentransplantationsmedizin auszubauen.
Nierenerkrankungen sind in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent; für viele Menschen werden sie erst im Endstadium sichtbar, wenn das Weiterleben nur noch mit Dialysebehandlungen oder Transplantationen möglich ist. Viele unserer Patienten wissen bis kurz vor dem Verlust ihrer Nierenfunktion nicht, dass sie bereits mehr als 80 Prozent ihrer funktionstüchtigen Nierenkanälchen eingebüßt haben, die ein zentraler Bestandteil der Nierenkämmerchen (»Nephrone«) sind, der kleinsten Funktionseinheiten der Niere. Auch wenn in den zurückliegenden 15 Jahren neue Medikamente verfügbar geworden sind, um ein voranschreitendes Nierenversagen zu verlangsamen, lassen sich solche Erkrankungen häufig nicht stoppen.
Aktuell gehen wir von gut 100 000 Patientinnen und Patienten in Deutschland aus, die wegen eines Nierenleidens auf Dialysen (technische Verfahren zur Blutwäsche) angewiesen sind. Typischerweise geht das mit drei Behandlungen pro Woche einher, die jeweils vier bis fünf Stunden dauern und in einem spezialisierten Dialysezentrum stattfinden. Dabei wird das Blut der Erkrankten durch ein feines System aus Kunststoffkapillaren geleitet und gereinigt, wofür Kanülen in die Blutgefäße gelegt werden müssen. Von Dialysen abhängig zu sein, schränkt die Lebensqualität stark ein und erhöht das Risiko für weitere Komplikationen, etwa Blutdruckschwankungen, Gefäßverengungen (Atherosklerose) und Infektionen.
Im Jahr 2025 stehen etwa 6000 Dialysepatienten in Deutschland auf der Warteliste für eine Spenderniere. Doch nur wenige erhalten sie relativ zeitnah binnen fünf Jahren nach Dialysebeginn. Eine Nierentransplantation kann das Leid der Betroffenen deutlich mindern. Sie erfordert aber eine tägliche Medikamenteneinnahme, um die Immunabwehr zu unterdrücken und somit etwaigen Abstoßungsreaktionen entgegenzuwirken. Dies wiederum steigert das Risiko für Infektionen und Krebserkrankungen. Das vorrangige Ziel der Nierenheilkunde muss daher lauten, einen drohenden Verlust der Nierenfunktion möglichst früh zu erkennen und den dauerhaften Verlust funktionstüchtiger Nierenkanälchen zu verhindern.
Eisenabhängiger Zelltod führt zum Verlust der Nierenfunktion
Seit einigen Jahren kennen wir einen zentralen Krankheitsmechanismus, der zum Verlust der Nierenkanälchen führt. Es ist die Ferroptose, auch eisenabhängiger Zelltod genannt. Hierbei zerstören Oxidationsprozesse die Lipidmoleküle in den Zellmembranen. Sie finden auch in gesunden Zellen bis zu einem gewissen Maß ständig statt, werden aber normalerweise durch verschiedene Mechanismen in Schach gehalten, sodass die Zellmembran keinen Schaden nimmt. Zelluläre Enzyme wie die Glutathionperoxidase 4 (GPX4) oder das Ferroptose-Suppressorprotein 1 (FSP1) wirken oxidativem Stress entgegen und unterdrücken die Ferroptose; sie spielen eine wichtige Rolle im Zellstoffwechsel praktisch aller Organismen. Auch in den Nierenkanälchen sorgen sie dafür, dass die Ferroptose in Zaum gehalten wird und die Funktion der feinen Strukturen erhalten bleibt.
Unter bestimmten Voraussetzungen reichen diese »Sicherheitssysteme« aber nicht mehr aus, um den Untergang der Nierenkanälchen zu verhindern. Welche das genau sind, lässt sich an Labormäusen untersuchen, indem man ihnen für einen bestimmten Zeitraum die Nierenarterien abklemmt. Dadurch kommt es zu einer Sauerstoffunterversorgung, wie sie beim Menschen etwa während einer Wiederbelebung oder einer Nierentransplantation auftritt. Infolgedessen entsteht ein sogenannter »Ischämie- und Reperfusionsschaden« (IRI): das Absterben von Körpergewebe wegen gestörter Durchblutung. Dabei gehen Nierenkanälchen durch Ferroptose dauerhaft verloren.
Labormäuse mit abgeklemmten Nierenarterien lassen sich als Tiermodelle heranziehen, um die Mechanismen des akuten Nierenversagens (ANV) beim Menschen zu erforschen. Aus der Untersuchung von Gewebeproben menschlicher Nieren und dem klinischen Alltag wissen wir, dass ein wiederholtes Nierenversagen dazu führt, dass Nierenkanälchen absterben. Deren Strukturen werden dabei durch Narbengewebe ersetzt. Der Anteil vernarbten Gewebes in einer Nieren-Gewebeprobe liefert wichtige Hinweise darauf, wie intakt beziehungsweise leistungsfähig das Organ ist und künftig sein wird.
Akutes Nierenversagen betrifft Frauen seltener als Männer
Von Geburt an besitzen Frauen zirka 900 000 Nephrone, bei Männern sind es rund 1 100 000. Seit spätestens 1946 ist bekannt, dass Frauen vor den Wechseljahren weniger anfällig für akutes Nierenversagen sind und damit im statistischen Geschlechtervergleich seltener eine Dialyse benötigen. Lassen sich daraus Schlüsse ziehen, um Nierenerkrankungen auf molekularer Ebene besser zu verstehen? Als Forschungsgruppe an der Schnittstelle zwischen Klinik und Grundlagenwissenschaften haben wir uns vor zirka acht Jahren daran gemacht, die Hypothese zu prüfen, dass Männer und Frauen unterschiedlich empfindlich gegenüber der Ferroptose sind.
Zunächst testeten wir in Zellkulturen sowie im Tiermodell, ob künstlich zugeführte Geschlechtshormone die Ferroptose-Anfälligkeit beeinflussen. Testosteron hatte dabei keinen Effekt, wohingegen Östrogene dem eisenabhängigen Zelltod entgegenzuwirken schienen. Diese weiblichen Geschlechtshormone unterliegen im menschlichen Organismus komplexen Stoffwechselprozessen, bei denen das Ausgangshormon 17ß-Estradiol unter anderem in 2-Hydroxy-Estradiol umgewandelt wird. Letzterer Stoff kann bereits in sehr geringer Konzentration die Ferroptose blockieren, zeigten die Experimente. Aber wie funktioniert das? Die Antwort ist, wie so oft, komplizierter als gedacht.
Weibliche Geschlechtshormone wirken wie körpereigene Arzneistoffe gegen Ferroptose
Zusammen mit kanadischen Wissenschaftlern haben wir die hierfür relevanten biochemischen Reaktionen in einem zellfreien System analysiert. Dabei stellte sich heraus: Die beiden freien OH(Hydroxy)-Gruppen im 2-Hydroxy-Estradiol-Molekül können reaktionsfreudige chemische Radikale abfangen, die an der Ferroptose beteiligt sind. Weibliche Geschlechtshormone wirken demnach wie körpereigene Arzneistoffe gegen Ferroptose. Schon bald erkannten wir, dass dies zusätzlich noch auf einem zweiten Weg über Östrogen-Rezeptormoleküle geschieht. Woraufhin wir begannen, jenen rezeptorabhängigen Wirkmechanismus ebenfalls zu untersuchen.
Östrogene verhindern den Abbau von Ferroptose-Hemmern
Zunächst konzentrierten wir uns auf bekannte zelluläre Enzyme, die oxidativem Stress entgegenwirken, etwa die obengenannten GPX4 sowie FSP1. In Experimenten an Mäusen stellte sich allerdings heraus, dass diese Proteine weitgehend unabhängig von Östrogenrezeptoren arbeiten und die geschlechterspezifischen Unterschiede bei Nierenkomplikationen sich damit nicht erklären lassen. Wir kannten jedoch aus der Forschungsliteratur noch andere zelluläre Systeme mit antioxidativer Wirkung und wandten uns jenen zu.
Gemeinsam mit Fachleuten vom Deutschen Krebsforschungszentrum gelang es uns zu zeigen: Bestimmte Enzyme, die sogenannte Hydropersulfide abbauen (kleine, schwefelhaltige Moleküle, die der Ferroptose entgegenwirken), hängen in ihrer Funktion tatsächlich von Östrogenrezeptoren ab. Der Mechanismus lässt sich wie folgt zusammenfassen: Östrogene aktivieren Östrogenrezeptoren, was den Abbau von Hydropersulfiden verhindert, die ihrerseits die Ferroptose unterbinden.
Und es wird noch komplizierter. Löst man in menschlichen Zellkulturen die Ferroptose aus, steigt dort die Konzentration sogenannter Etherlipide rasch an – das hatten Forschungsteams einige Jahre zuvor gezeigt. Spielen diese Substanzen vielleicht auch in der Niere eine Rolle? Um das zu untersuchen, analysierten wir sämtliche Lipidmoleküle, die in frisch isolierten Nierenkanälchen von männlichen und weiblichen Mäusen vorkamen. Bei der Untergruppe der Etherlipide zeigte sich ein großer Geschlechterunterschied: Weibliche Nierenkanälchen enthielten viel weniger davon als männliche.
Geschlechtshormone mit mehrfacher Schutzwirkung
Stellten wir wie oben beschrieben ein akutes Nierenversagen an Labormäusen nach, blieb der Etherlipid-Gehalt bei Weibchen konstant niedrig, während er bei Männchen binnen weniger Stunden auf ein Vielfaches kletterte. Daraufhin begannen wir, in den Nierenkanälchen die Proteine ACSL4, FAR1 und AGPS zu untersuchen, die für die Etherlipid-Herstellung verantwortlich sind. Sie waren bei Weibchen deutlich weniger präsent als bei Männchen, wofür laut experimentellen Daten die Wirkung von Östrogenen und deren Rezeptoren verantwortlich zeichnete. Östrogene verhindern demnach die Produktion von Etherlipiden, was die Tiere weniger anfällig gegenüber der Ferroptose macht.
Östrogene haben also viel mehr Funktionen als bisher bekannt. Sie blockieren einerseits direkt die Ferroptose, indem sie chemische Radikale wegfangen. Andererseits sorgen sie über ihre Rezeptormoleküle dafür, dass Hydropersulfide aktiv bleiben und der Organismus weniger Etherlipide bildet – beides gewährt einen zusätzlichen Schutz gegenüber dem eisenabhängigen Zelltod.
Gibt es einen Zusammenhang zur Immunfunktion?
Warum verfügen weibliche Tiere dank ihrer Geschlechtshormone über einen besonderen Abwehrschirm gegenüber der Ferroptose? Weshalb blockieren nicht auch männliche Organismen die potenziell zerstörerische Ferroptose? Das ist unklar, aber vielleicht hat es damit zu tun, dass Frauen vor den Wechseljahren häufiger von Autoimmunerkrankungen betroffen sind als Männer. Die Ferroptose könnte die erworbene Immunantwort bremsen. Wird sie durch Östrogene unterdrückt, verstärkt sich dadurch vielleicht die Neigung zu Autoimmunerkrankungen. Dazu würde passen, dass der Geschlechterunterschied hinsichtlich von Autoimmunkomplikationen mit den Wechseljahren endet.
Eine wichtige Frage lautet, ob sich Geschlechtshormone nutzen lassen, um Nierenversagen zu behandeln. Zumindest im Tiermodell lassen sich die Symptome des akuten Nierenversagens tatsächlich mit zugeführtem 2-Hydroxy-Estradiol lindern. Da Hormongaben allerdings oft mit Nebenwirkungen einhergehen, sollte dieser Ansatz unserer Meinung nach erst einmal in klinischen Studien auf Anwendungssicherheit geprüft werden. Vielversprechender erscheint zunächst die Gabe von spezifischen Ferroptose-Blockern namens Ferrostatine. Entsprechende Arzneistoffe ohne östrogenähnliche Nebenwirkungen sind bereits in Entwicklung. Von ihnen profitieren könnten Patienten mit akutem Nierenversagen sowie Personen, die eine Spenderniere transplantiert bekommen.
Ferroptose spielt auch bei anderen Durchblutungsstörungen eine zentrale Rolle im Krankheitsmechanismus. Dies betrifft beispielsweise Herzinfarkte, Schlaganfälle, akutes Leber- und Lungenversagen, Reanimationssituationen und weitere. Ferrostatine könnten daher, so unsere Hoffnung, hier ebenfalls neue medizinische Behandlungsmöglichkeiten bieten.
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