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News: Weiche Keramik

Wer einen Teller fallen lässt, muss fegen, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern - trotz des Zufallsfunds von Stuttgarter Forschern. Die wollten sich eigentlich die Sprödigkeit des Strontium-Titanats zunutze machen, entdeckten dabei aber dessen Verformbarkeit.
Der Testkörper aus Strontium-Titanat (SrTiO3) sollte eigentlich die elastischen Größen einer neuen Versuchseinrichtung des Max-Planck-Instituts für Metallforschung in Stuttgart eichen helfen, doch als die harte, einkristalline SrTiO3-Probe unter Druck geriet, verhielt sie sich zur Überraschung von Manfred Rühle und seinen Kollegen ziemlich sonderbar: Sie war mit einem Male verformbar. Um sieben Prozent ließ sie sich plastisch dehnen und biegen. Und das bei Raumtemperatur und einer Fließspannung - dem Druck also, bei dem das plastische Fließen einsetzt - von nur 120 Megapascal.

Die plastische Verformbarkeit von Materialien ist Ausdruck ihrer kristallchemischen Eigenschaften. Je nach Art der chemischen Bindung widersetzen sich die Atome und Ionen mehr oder minder äußerem Druck. Metalle verdanken ihr plastisches Verhalten der metallischen Bindung, bei denen sich die Elektronen zwischen den Atomen bewegen können - man spricht deshalb auch von einem "Elektronengas". Bei den Atom- und Ionen-Bindungen der Nichtmetalle - ein Beispiel wäre der Kochsalz-Kristall aus Natrium- und Chlorid-Ionen - sind derlei Verschiebungen innerhalb des Kristallgitters indes erschwert. Zumindest bei niedrigen Temperaturen sind sie nicht plastisch verformbar, sondern zerbrechen unter Druck.

Genauso sollte sich auch jenes Strontium-Titanat verhalten, dessen Ionen in der so genannten Perowskit-Struktur angeordnet sind. Perowskite bilden sich unter sehr hohen Drucken, beispielsweise im unteren Erdmantel. Unter diesen Umständen rücken die Ionen so dicht zusammen, dass sie die dichteste Kugelpackung bilden. Solche Minerale verhalten sich ähnlich wie Glas oder Keramik, nämlich spröde und zerbrechlich.

Nachdem die Stuttgarter Forscher das merkwürdige Verhalten ihres Probekörpers beobachtet hatten, begannen sie umgehend mit der systematischen Erforschung des Phänomens. Dabei zeigte sich, dass die Strontium-Titanat-Einkristalle bei Temperaturen unterhalb von 1000 Grad Celsius von einem formbaren Zustand in einen spröden übergingen. Das ist an sich nichts Besonderes, doch merkwürdigerweise änderte sich das Verhalten erneut bei Temperaturen unterhalb von 600 Grad Celsius: Das Material wurde wieder verformbar.

Bei Untersuchungen unter dem Mikroskop zeigte sich, dass die Verformungen innerhalb des Strontium-Titanats sowohl bei den hohen als auch den niedrigen Temperaturen Folge ähnlicher Verschiebungen im Kristallgitter sind. Noch sind die genauen Mechanismen nicht bekannt, doch vermuten die Forscher, dass dieses Verhalten womöglich auch bei anderen Mineralen perowskitischer Struktur zu beobachten sei. Perowskite sind wichtige Werkstoffe in der Elektronikindustrie und Substrat für Hochtemperatur-Supraleiter. Das sonderbare Verhalten könnte in diesen Bereichen zu neuen Anwendungen führen.

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