Visuelle Wahrnehmung: Welche Farben wir sehen, lässt sich neurobiologisch vorhersagen

Türkis, Blaugrün oder doch Grün? Farbtöne nimmt jeder von uns wohl ein bisschen anders wahr, aber sicher ist nun: Sehen wir eine bestimmte Farbe, dann ruft das in unseren Gehirnen ganz ähnliche Aktivitätsmuster hervor. Bislang war unklar, ob Rot, Gelb oder Grün jeweils mit einem spezifischen neuronalen Code verarbeitet würden, der bei allen Menschen allgemeingültig ist. Michael Bannert und Andreas Bartels von der Universität Tübingen und dem MPI für biologische Kybernetik haben das nun herausgefunden: Sie konnten durch den Vergleich der Hirnaktivität verschiedener Versuchspersonen ablesen, welche Farbe einzelne Probanden jeweils betrachteten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie am 8. September im »Journal of Neuroscience«.
Für ihre Studie haben die Forscher die Hirnaktivität von 15 Versuchsteilnehmenden gemessen. Die aktiven Bereiche im Hirn lokalisierten sie mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), eines speziellen bildgebenden Verfahrens. Dazu zeigten sie den im MRT liegenden Personen farbige Ringe auf grauem Grund, die entweder rot, grün oder gelb waren. Welche Farbe jeder Einzelne erblickte, ließ sich an seinen spezifischen Gehirnmustern ablesen.
Die Frage war aber, ob man die Resultate auch auf die Hirnaktivitäten anderer Menschen übertragen könnte. »Lässt sich also die gesehene Farbe auch dann auslesen, wenn nur neuronale Farbsignale aus Gehirnen anderer Personen bekannt sind?«, fragt Bannert in einer Pressemitteilung der Universität Tübingen. Bei den Versuchen bestätigte sich die Annahme. Dazu kartierten die Forscher zunächst, wie einzelne Orte im Sichtfeld in den Gehirnen der Probanden dargestellt werden. Dafür setzten sie die Versuchsteilnehmenden einer gleichartigen Sehumgebung mit schwarz-weißen Mustern aus. Anschließend wurde die Hirnantwort auf Farbreize gemessen. Mit den Kartierungsdaten einerseits und den gemessenen Farbcodes andererseits trainierten sie ein Computermodell – allerdings haben sie dafür die Farbcodes jener Personen ausgeschlossen, deren Farbensehen sie vorhersagen wollten. Was schließlich anhand der Hirnaktivität gelang.
Laut Bannert und Bartels hängt der Prozess des Farbensehens damit zusammen, wie das Gehirn das Sichtfeld abbildet. In unserer Sehrinde existieren dafür spezifische räumliche Karten unseres Blickfelds, die auf Farben reagieren. »Wenn Licht auf die Netzhaut fällt, werden die Informationen nicht zufällig weitergeleitet. Jeder Punkt hat hier einen genauen Positionswert, und diese räumliche Ordnung wird über die Sehnerven der Netzhaut in die höheren Verarbeitungsebenen des Gehirns übertragen«, so Bannert in einem Pressebericht des MPI. Auf diesem Weg entstehe in der Sehrinde »ein geordnetes Abbild und ein entsprechendes Aktivitätsmuster, das wir mithilfe von fMRT bewerten konnten«.
Wie die beiden Neurowissenschaftler vermuten, könnte die Ähnlichkeit, mit der das Gehirn Farben verarbeitet, darauf hinweisen, dass sich dieses Prinzip in der Stammesgeschichte des Menschen herausgebildet hat – aus Gründen, die erst noch erforscht werden müssten.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.