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News: Welle rückwärts

Rauscht ein Fahrzeug mit tönendem Martinshorn an uns vorbei, dann klingt die Sirene im Moment des Vorbeifahrens auf einmal viel tiefer. Wir wären wohl erstaunt, wenn es auf einmal andersherum wäre.
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Eines vorweg: Wir müssen uns auch in Zukunft nicht an ein Tatütata gewöhnen, das auf einmal ungewöhnlich hoch erklingt, wenn es uns passiert. Akustisch bleibt zunächst einmal alles beim Alten.

Doch der Dopplereffekt, der bei bewegten Schallquellen oder -empfängern eine Tonhöhenänderung bewirkt, ist ja nicht nur auf akustische Systeme beschränkt. Vielmehr tritt das Phänomen bei allen wellenartigen Systemen, also beispielsweise auch bei Licht oder anderen elektromagnetischen Wellen auf. Stets registriert ein Beobachter, der sich relativ zu dem Wellensender bewegt, eine andere Frequenz als die tatsächlich von der Quelle erzeugte.

Bewegen sich Sender und Empfänger etwa aufeinander zu, so treffen die Wellenzüge in schnellerer Folge beim Beobachter ein, und die Frequenz erscheint entsprechend erhöht. Bei einer Bewegung voneinander weg wirkt die Frequenz hingegen verringert. Doch diese eherne Regel scheint nun gebrochen, wenn auch in einem äußerst trickreich arrangierten System.

Schon vor sechzig Jahren vermuteten Theoretiker, dass es prinzipiell möglich ist, auch einen entgegengesetzten Dopplereffekt zu erzeugen, allein den Beweis blieben Physiker bislang schuldig. Nigel Seddon und Trevor Bearpark vom Rüstungsunternehmen BAE Systems haben offenbar nun einen Weg gefunden, ein elektromagnetisches Signal frequenzerhöht reflektieren zu lassen, obgleich sich die Barriere von dem Sender wegbewegt.

Das geht freilich nicht in einem normalen Medium. Im Gegenteil: Es braucht ein Material, das anomale Dispersion zeigt. Doch was ist überhaupt Dispersion, und wann ist sie anomal?

Das Physik-Lexikon schreibt zum Stichwort Dispersion: "Im allgemeinen Sinne die Abhängigkeit einer bei der Wellenausbreitung relevanten Größe von der Wellenlänge." Im Speziellen ist es die Brechzahl in einem Medium und damit die Geschwindigkeit, mit der sich Wellen einer bestimmten Wellenlänge in diesem ausbreiten.

Aus der Optik ist das Phänomen gut bekannt: Denken Sie nur an einen Regenbogen. Die Wassertröpfchen in der Luft wirken hier wie kleine Prismen. Denn da die verschiedenen Spektralfarben des Sonnenlichts in unterschiedlicher Weise – je nach Wellenlänge – gebrochen werden, zerfällt das weiße Licht in seine Bestandteile.

Normal ist die Dispersion, wenn die kurzen Wellenlängen – blaues Licht also – stärker gebrochen werden als langwelliges, also rotes Licht. In Wellenlängenbereichen, wo ein Medium Strahlung jedoch verstärkt absorbiert, wo es sich also in optischer Resonanz mit den eintreffen Wellen befindet, da wird langwelliges Licht stärker gebrochen als kurzwelliges – der Bereich anomaler Dispersion. Normalerweise ist davon jedoch aufgrund der Absorption nicht viel zu sehen. Erst in besonders arrangierten Systemen wird der Effekt deutlich und sorgt mitunter für ganz ungewohnte Physik.

So ließen sich etwa mit Hilfe der anomalen Dispersion schon Wellenpakete mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Kein Wunder also, dass sich Seddon und Bearpark ebenfalls des ungewöhnlichen Verhaltens der Brechzahl bedienten, um nun den Doppler-Effekt auf den Kopf zu stellen. Ihren Wegbereitern, den Theoretikern Avenir Belyantsev und Alexander Kozyrev, folgend, bedurfte es jedoch noch einer weiteren Zutat, um das Kunststück zu vollbringen: einer bewegten Barriere innerhalb des Materials, an der das eintreffende Signal reflektiert wird.

Klar, das sich dergleichen nicht mit einem normalen Material, ja noch nicht einmal mit einem "anomalen" bewerkstelligen lässt. Und so konstruierten die Forscher eine gut einen halben Meter lange Übertragungsstrecke, die im Wesentlichen aus miteinander verbundenen Kondensatoren und Spulen bestand. Die Spulenkerne waren dabei mit einem Material gefüllt, das leicht magnetisch zu sättigen war.

Das Experiment gestaltete sich dann wie folgt: Die Forscher schickten einen kurzen Strompuls durch ihre Übertragungsstrecke, der sich durch die leiterartig miteinander verketteten elektronischen Bauelemente wie eine Schockwelle fortpflanzte. Dabei änderte der Puls über die Spulen auch die magnetische Struktur der Übertragungsstrecke, sodass im "Fahrwasser" des Pulses eine nicht magnetische Region entstand – die bewegte Barriere.

Gleichzeitig löste der Puls mit Eintreten in die Übertragungsstrecke eine Hochfrequenzwelle aus, die sich zunächst entgegen der Laufrichtung der Barriere zum Eintrittspunkt des Pulses bewegte, dort reflektiert wurde, der Barriere hinterlief, diese einholte und schließlich an ihr reflektiert wurde. Dabei, so zeigte das angeschlossene Oszilloskop, erhöhte sich tatsächlich die Frequenz der reflektierten Welle – also tatsächlich ein inverser Dopplereffekt.

Vielleicht haben die Wissenschaftler selbst nicht an ihren Erfolg geglaubt, jedenfalls gesteht Seddon: "Wir waren absolut verblüfft." Fragt sich nun, was sich mit einem solchen Effekt anfangen lässt. Auch da haben Seddon und Bearpark eine Idee in petto: Elektromagnetische Wellen im Gigahertzbereich ließen sich so spielend erzeugen. Und solche brauche man wiederum für bestimmte Materialuntersuchungsmethoden.

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