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Neuer IPCC-Bericht: Drastische Forderungen und ein wenig Optimismus

Selten waren die Forderungen nach Minderung des Treibhausgasausstoßes so drastisch wie im aktuellen Bericht. Bis 2030 muss demnach der Ausstoß um 43 Prozent gesenkt werden, um die Temperatur in erträglichen Grenzen zu halten. Aber es gibt auch positive Entwicklungen.
Waldbrände tauchen San Francisco in einen roten Schimmer.

Der Weltklimarat hält im heute veröffentlichten dritten und letzten Teil seines neuen Sachstandsberichts eine gewohnt schlechte und ein paar gute Nachrichten bereit. Die schlechte Nachricht lautet: Noch nie war die Welt so weit vom Ziel der Klimaneutralität entfernt wie heute. Die durchschnittlichen jährlichen Treibhausgasemissionen erreichten in den letzten zehn Jahren stetig neue Rekordwerte und liegen heute um mehr als 50 Prozent über denen von 1990. Die guten Nachrichten lauten: Das von der internationalen Gemeinschaft ausgegebene Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad ist immer noch zu erreichen – und die dazu notwendigen Technologien sind vorhanden.

Um das aber zu schaffen, bedürfe es einer sofortigen und radikalen Trendwende, stellen die fast 300 Autorinnen und Autoren des dritten Teils des Sachstandsberichts fest. Innerhalb der nächsten drei Jahre muss nach ihren Berechnungen der Höhepunkt der globalen Treibhausgasemissionen erreicht und in den fünf Folgejahren bis 2030 der Ausstoß um 43 Prozent gesenkt werden, um die Temperaturerhöhung in erträglichen Grenzen zu halten. Bis zum Anfang der 2050er Jahre müssten die Kohlendioxidemissionen dann weltweit auf null sinken, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen; für eine Begrenzung auf zwei Grad sei dies Anfang der 2070er Jahre der Fall.

Der Bericht erscheint vor dem Hintergrund einer von Enttäuschungen geprägten Klimapolitik, zuletzt mit den von den meisten Fachleuten als ungenügend bewerteten Ergebnissen des Klimaschutzgipfels COP26 in Glasgow. Die Versäumnisse der Vergangenheit prägen deswegen bei allem bemühten Optimismus auch den Sachstandsbericht der Arbeitsgruppe III über Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen. UN-Generalsekretär António Guterres nannte den Bericht in einer Videobotschaft »ein Dokument der Schande, einen Katalog der leeren Versprechen«.

Trotz allem: Auch Lob für die Regierungen

Dennoch kritisiert der Vorsitzende des IPCC, Hoesung Lee, bei der Vorstellung des Berichts nicht bloß die Politik der Regierungen. Anders als bei der Vorstellung vorangegangener Berichte hatte er auch Lob zu verteilen. »Die Klimaschutzmaßnahmen, die in vielen Ländern ergriffen werden, machen mir Mut«, sagte Lee. »Es gibt politische Maßnahmen, Vorschriften und Marktinstrumente, die sich als wirksam erweisen«, sagte er bei der Vorstellung der rund 60-seitigen Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. Diese war zuvor nach schwierigen und unerwartet lang andauernden Beratungen von den 195 Mitgliedsregierungen des IPCC verabschiedet worden.

Auch im Bericht selbst machen die Forscher und Forscherinnen einige positive Entwicklungen aus. So seien die Kosten für Solar- und Windenergie und für Batterien in den letzten Jahren massiv um bis zu 85 Prozent zurückgegangen. Politische Entscheidungen hätten dazu geführt, dass es vielerorts gelungen sei, die Energieeffizienz zu verbessern, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen und die Abholzung von Wäldern zu verringern.

»Die Klimaschutzmaßnahmen, die in vielen Ländern ergriffen werden, machen mir Mut«Hoesung Lee, IPCC-Vorsitzender

Die Marke von 1,5 Grad Erwärmung werde aber selbst in den positivsten Szenarien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit überschritten, stellen die Fachleute fest. Doch nicht alles ist verloren: Bis zum Ende des Jahrhunderts könne der Wert möglicherweise wieder unterschritten werden. Voraussetzung ist, dass der Treibhausgasausstoß schnell sinkt. »Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen, heißt es: jetzt oder nie«, sagt der Kovorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe III, Jim Skea. »Ohne sofortige und tief greifende Emissionssenkungen in allen Sektoren wird das unmöglich sein.«

Um das Pariser Klimaziel in Reichweite zu halten, fordern die Expertinnen und Experten massive Treibhausgasreduktionen in allen Bereichen – vom Verkehr über die Industrie bis hin zur Landwirtschaft. So müsse der auch durch die Tierhaltung entstehende Ausstoß des Klimagases Methan um rund ein Drittel verringert werden. Dabei hätten, so der Weltklimarat, Lebensstil und das persönliche Verhalten einen entscheidenden Einfluss. Fachleute mahnen schon seit Langem an, weniger Fleisch zu verzehren. Allein in Deutschland entstehen durch die Tierhaltung laut Umweltbundesamt jedes Jahr über 1,1 Millionen Tonnen Methan.

Einsparpotenziale allüberall

Von der Ernährung über die Konsumgewohnheiten bis zum Wohnen in verkehrsarmen Städten müsse es einen grundlegenden Wandel geben. »Wir befinden uns an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern«, sagt Lee. Allerdings sei es falsch, die Verantwortung auf Verbraucherinnen und Verbraucher abzuwälzen – vielmehr seien nun die richtigen Politikinstrumente gefragt.

Ein wichtiger Fokus bei den Einsparungen sind Städte. Urbane Gebiete sollen aus Sicht der Experten ihren Verkehr auf Strom umstellen und dafür emissionsarme Energiequellen nutzen. Bei Gebäuden müsse sowohl bei Neubauten als auch bei Nachrüstungen auf eine bessere Treibhausgasbilanz geachtet werden. Die Arbeitsgruppe sieht hier ein erhebliches Potenzial. Laut Berechnungen könnten mit geeigneten Maßnahmen bis 2050 rund 42 Prozent der Gebäudeemissionen eingespart werden.

Energieeffizienz sei auch im Verkehr der entscheidende Aspekt. Städte könnten zum Beispiel einen erheblichen Teil ihrer Mobilität auf Elektrizität aus treibhausgasarmen Quellen umstellen. Elektrofahrzeuge bieten laut IPCC-Bericht das größte Potenzial für CO2-Reduktionen im Straßenverkehr, während die Arbeitsgruppe bei Schiffen und Flugzeugen auf nachhaltige Biokraftstoffe, synthetische Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Energien sowie emissionsarmen Wasserstoff setzt.

Der wichtigste Sektor für die Begrenzung der globalen Erwärmung sei jedoch die Energieversorgung. Hier müsse es dringend einen grundlegenden Wandel geben, bekräftigt der Bericht. Ein Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe, eine umfassende Elektrifizierung, eine bessere Energieeffizienz und die Entwicklung alternativer Brennstoffe wie Wasserstoff werden als Schlüsselelemente genannt.

Ohne negative Emissionen geht es nicht

Auch neue Technologien wie die Entnahme von Kohlenstoff (Carbon Dioxide Removal, CDR) aus der Atmosphäre müssen weiterentwickelt werden, erklärt die Arbeitsgruppe. Ohne solche »negativen Emissionen« sind die Pariser Klimaziele komplett außer Reichweite. Rund ein halbes Dutzend verschiedener Ansätze sind in diversen Stufen der Entwicklung. Allerdings sind fast alle von ihnen bislang Zukunftsmusik – nicht zuletzt ist in vielen Fällen noch unklar, wie genau man solche Techniken in den Markt für Kohlendioxidzertifikate einfügt.

Bei solchen Ansätzen ist jedoch zu befürchten, dass erfolgreich umgesetzte negative Emissionen die entscheidende Komponente des Klimaschutzes weniger wichtig erscheinen lassen. Davor warnt Oliver Geden, Leitautor des Kapitels zu sektorübergreifenden Perspektiven des Klimaschutzes. Solche Techniken dürften nicht als Vorwand genommen werden, eine drastische Verringerung des Treibhausgasausstoßes zu unterlassen. »Wir brauchen CDR, um auf Nettonull zu kommen, aber CDR ist nicht der wesentliche Faktor auf diesem Weg – das Wesentliche ist die Reduktion des Treibhausgasausstoßes.«

Wie in den beiden vorangegangenen Teilen des Berichts rücken die Expertinnen und Experten neben technologischen Aspekten aber auch gesellschaftliche Prozesse und die Verantwortung des Finanzsystems deutlich stärker in den Mittelpunkt als früher. So wird bemängelt, dass weltweit viel zu wenig Kapital bereitgestellt werde, um Investitionen hin zu klimaneutralen Gesellschaften zu finanzieren. Derzeit lägen die Finanzströme um das Drei- bis Sechsfache unter dem Niveau, das bis 2030 nötig sei, um die Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Für das 1,5-Grad-Ziel muss noch einmal deutlich mehr investiert werden.

Wie entscheidend es ist, den Anstieg der Temperatur so weit wie irgend möglich zu begrenzen, hatten die IPCC-Experten bereits in den ersten beiden Teilen des jetzt sechsten Sachstandsberichts zum Klimawandel deutlich gemacht. Klimamodelle sowie Analysen der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der fortschreitenden Erwärmung zeigen, dass selbst beim Erreichen des außerordentlich optimistischen 1,5-Grad-Ziels die Auswirkungen auf Mensch und Natur drastisch sein werden.

Ernste Folgen sind unvermeidbar

Laut dem im August 2021 veröffentlichten Bericht der Arbeitsgruppe I über naturwissenschaftliche Hintergründe des Klimawandels sind folgenschwere Veränderungen des Wetters bereits heute unvermeidbar. Extremere Wetterlagen sorgen dafür, dass Hitzeperioden, Hochwasserkatastrophen und Dürren häufiger und stärker auftreten. Schon jetzt lasse sich nicht mehr verhindern, dass der Meeresspiegel durch das Abschmelzen der arktischen Eisschilde über Jahrhunderte bis Jahrtausende weiter steigt.

»Wir haben die Instrumente und das Knowhow, um die Erwärmung zu begrenzen«Hoesung Lee, IPCC-Vorsitzender

Ende Februar 2022 hatte der Rat im zweiten Teil des Berichts, der sich mit der Verwundbarkeit von sozialen und ökologischen Systemen gegenüber dem Klimawandel befasste, die Warnungen bekräftigt. Besonders neuere Studien hätten gezeigt, dass der Klimawandel Mensch und Natur stärker treffen und seine Folgen früher eintreten würden als prognostiziert. Das Zeitfenster, in dem Maßnahmen diese Folgen deutlich mindern könnten, schließe sich deswegen auch schneller als erhofft, so die Kernaussage des Berichts.

Der dritte Teil des Sachstandsberichts schließt nun an diese Botschaft an, indem er aufzeigt, wie drastisch die nötigen Veränderungen sind. Dazu sei eine gewaltige und entschlossene Kraftanstrengung in allen Ländern und über alle gesellschaftlichen Bereiche hinweg nötig, betonen die Experten des IPCC in ihrer Zusammenfassung des Berichts für politische Entscheidungsträger, die am Montag von den Regierungen der 195 IPCC-Mitgliedstaaten verabschiedet wurde.

Eben jene Regierungen waren es aber auch, die den Klimaschutz in den letzten 30 Jahren gründlich verschleppt haben. Und zwar so gründlich, dass in den Messungen der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre keine Spur der internationalen Bemühungen um ihre Reduktion zu erkennen ist. Deswegen rief UN-Generalsekretär António Guterres die Weltbevölkerung auf, selbst aktiv zu werden. »Fordert, dass erneuerbare Energie jetzt eingeführt wird – und zwar schnell und in großem Rahmen«, sagte er in seiner Videobotschaft.

Auch der IPCC-Vorsitzende Lee gibt sich trotz der schlechten Zahlen verhalten zuversichtlich. Das Tempo des Emissionsanstiegs habe sich in den vergangenen Jahren verlangsamt und technisch gebe es in allen Sektoren Möglichkeiten, die Emissionen bis 2030 mindestens zu halbieren. »Wir haben die Instrumente und das Knowhow, um die Erwärmung zu begrenzen.«

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