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Weltraumschrott: Aufräumen im All

Einem Kraken gleich oder mit Roboterarm: Spezielle Satelliten sollen noch in diesem Jahrzehnt große Schrottteile aktiv aus dem Weltraum entfernen. Und bald darauf andere Raumfahrzeuge volltanken und reparieren.
Ein Satellit mit vier Roboterarmen nähert sich einem kleineren, würfelförmigen Satelliten im Weltraum über der Erde. Der größere Satellit trägt das Logo der ESA (Europäische Weltraumorganisation) und hat mehrere Solarpaneele. Die Erde ist im Hintergrund sichtbar, mit klaren Details von Landmassen und Wolken.
Ein Satellit greift mit seinen vier Roboterarmen einen anderen Satelliten und bringt ihn zum Absturz. Was hier illustriert ist, soll 2029 Wirklichkeit werden.

Mit einer Metallkugel von der Größe eines Hüpfballs fing alles an. Alle anderthalb Stunden sendete sie über ihre vier Antennen einen Piepton zur Erde, und Hobbyfunker lauschten gebannt. Wir schreiben das Jahr 1957: Der sowjetische Sputnik 1 umkreist als erstes menschengemachtes Objekt die Erde – 92 Tage lang. Dann stürzt die Kugel in die Atmosphäre und verglüht. Seither wurden mehr als 21 000 Satelliten in den Weltraum geschossen. Sie navigieren uns durch fremde Städte, sagen uns das Wetter voraus oder verschaffen uns in abgelegenen Regionen Zugang zum Internet. Über die Hälfte dieser Satelliten befindet sich noch im All – und etliche davon funktionieren nicht mehr. Sie sind Schrott.

»Wir schießen Technik ins Weltall, die funktioniert eine Weile – und dann bleibt sie in der Regel da oben«, beschreibt Manuel Metz die Haltung der Raumfahrt in den letzten Jahrzehnten. Metz ist Experte für Weltraumschrott in der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Doch es verändert sich etwas: »Wir sind gerade am Übergang von dieser Sorglosphase hin in eine Ära, in der man sich um ausgediente Raumfahrzeuge im Orbit kümmert.« Für die Deutsche Raumfahrtagentur, die am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt beheimatet ist, plant Metz das Raumfahrtprogramm der Bundesrepublik und setzt es in Abstimmung mit Weltraumagenturen wie der ESA um. Was einmal in die Erdumlaufbahn gebracht wurde, soll von dort wieder verschwinden, sobald es seinen Dienst erfüllt hat.

Im April 2023 veröffentlichte die ESA die Zero Debris Charta, der zufolge ab dem Jahr 2030 im Weltraum die gleichen Regeln gelten sollen wie im Kinderzimmer: Nach dem Spielen wird aufgeräumt. Niemand soll mehr zusätzlichen Schrott im Orbit hinterlassen. Bis Juni 2025 haben sich bereits 180 Unterzeichner aus 33 Ländern zu diesem Ziel bekannt, darunter 20 Staaten und zahlreiche kommerzielle Unternehmen wie Airbus, Thales Alenia oder OHB. Damit reagiert die Community auf die neuen Realitäten im Weltraum: Seit dem massiven Aufstieg der kommerziellen Raumfahrt ab Mitte der 2010er Jahre wurden mehr Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen als in den gesamten sechs Jahrzehnten davor.

Allein SpaceX betreibt mittlerweile fast 8000 Satelliten für sein Internetnetzwerk Starlink. Weitere große Konstellationen stehen zum Teil schon in den Startlöchern. Neben den USA und Europa hat China große Pläne: Aus dem Land erwarten Fachleute in den nächsten Jahren wenigstens zwei Megakonstellationen mit Tausenden von Satelliten. Fast alles konzentriert sich in den erdnahen Umlaufbahnen.

Sputnik 1 | Das erste menschengemachte Objekt im Weltall. Ihm folgten bis heute 21 000 Satelliten.

Allmählich wird es eng im All, und für die Raumfahrt bedeutet das nichts Gutes. Zu den vielen Satelliten im Orbit kommen ausgediente Raketenstufen, die teils schon seit Jahrzehnten um die Erde kreisen, sowie zahllose Trümmer und Kleinstpartikel von explodierten oder kollidierten Raumfahrzeugen. Allein mehr als 22 000 mindestens zehn Zentimeter große Objekte beobachten Raumfahrtorganisationen wie die ESA mit ihren optischen Teleskopen oder Radaranlagen von der Erde aus.

In Reih und Glied | Starlink-Satelliten kreuzen nach dem Start den Nachthimmel über Dänemark.

Allerdings richten sogar schon viel kleinere Partikel ernsthafte Schäden an Raumfahrzeugen an. Ein Spaceshuttle der USA kam einst mit einem vier Millimeter tiefen Einschlag an seinem Außenfenster zur Erde zurück – verursacht durch ein 200 Mikrometer kleines Stück der Farblackierung, das von irgendeinem anderen Raumfahrzeug abgeblättert war und mit enormer Geschwindigkeit auf das Fenster prallte. Insgesamt 45-mal mussten am Spaceshuttle wegen solcher Vorfälle Fenster ausgetauscht werden. Und das in einer Zeit, als es in den Umlaufbahnen noch weitaus weniger betriebsam zuging als heute.

»Bestimmte Regionen im Orbit drohen instabil zu werden«, warnt Manuel Metz. »Teile von Weltraumschrott kollidieren miteinander. Und die Trümmerteile lösen dann wiederum neue Kollisionen aus.« Zwar verschwinden auch immer wieder Trümmer aus dem Orbit. Je näher ein Teil an der Erde umläuft, desto eher wird es von der sehr dünnen Luft gebremst, bis es schließlich in die Atmosphäre fällt und verglüht. Doch das genügt nicht mehr. Die Zahl der Trümmer im Orbit wächst schneller, als die Atmosphäre sie bereinigen kann. Die Gefahr: Eine unkontrollierbare Kaskade kommt in Gang, bekannt unter dem Namen Kessler-Syndrom. Selbst wenn wir sämtliche Raketenstarts von heute auf morgen stoppten, würde sich das All bis auf Weiteres mit immer mehr menschengemachten Schrottteilen füllen. Die Menschheit ist drauf und dran, sich den niedrigen Orbit – den so genannten Low Earth Orbit (LEO) – so vollzumüllen, dass Raumfahrt dort mittel- bis langfristig nicht mehr möglich sein wird. Doch Manuel Metz hat eine gute Nachricht: »Wir haben noch die Möglichkeit zu reagieren.«

Unkontrollierter Acht-Tonnen-Koloss mahnt zum Umdenken

Schon in 1990er Jahren hatte man in der Raumfahrtcommunity erkannt, dass man der orbitalen Vermüllung entgegentreten muss. »Und 2014 oder 2015 hat das Ganze dann so richtig Fahrt aufgenommen«, sagt Metz – also noch bevor Elon Musk begann, die Raumfahrt umzukrempeln. Zu diesem Zeitpunkt plante das US-Unternehmen OneWeb bereits eine Konstellation von Kleinsatelliten für mobiles Internet. Auch der Ausfall von Envisat spielte bei der Neubewertung der Lage eine Rolle: 2012 verlor der Erdbeobachtungssatellit den Kontakt zur Bodenstation, noch bevor er zum Absturz gebracht werden konnte. Seither kreuzt der 26 Meter breite und acht Tonnen schwere Koloss in 800 Kilometern Höhe unkontrolliert durch den hochfrequentierten Orbit.

Ein erster Versuch, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, wurde mittlerweile wieder zu den Akten gelegt. Unter dem Projekttitel e.deorbit wollte die ESA ihr schwerstes eigenes Objekt im Orbit unschädlich machen. Der Plan war folgender: Ein speziell dafür entwickelter Satellit sollte sich Envisat nähern und ihn dann entweder mit einem Roboterarm greifen oder mit einem Netz einfangen. Anschließend würde er den Riesensatelliten in Richtung Erde ziehen, um dann gemeinsam mit ihm in der Atmosphäre zu verglühen. Doch der Plan war fürs Erste zu anspruchsvoll. Nicht nur die schiere Masse des Wettersatelliten machte das Unterfangen schwierig, sondern auch seine komplexe Geometrie mit den ausladenden Solarpanels. Obendrein taumelt er. Er dreht sich also um seine eigene Achse und ist so schwer greifbar.

Envisat | Das unhandliche Schwergewicht rast heute unkontrolliert und mit ausgebreiteten Sonnensegeln durch den Orbit.

Dennoch markiert das Projekt den Beginn für eine neue Weltraumtechnologie: Active Debris Removal, kurz ADR – also das aktive Entfernen von Schrott aus dem Orbit. Seither nimmt das Thema an Fahrt auf. Einen Achtungserfolg erzielte 2018 das Konsortium um das Surrey Space Centre mit dem Projekt RemoveDEBRIS. Die Briten schossen eine 100 Kilogramm schwere Satellitenplattform in die Erdumlaufbahn. In ihrem Bauch enthielt sie einen weiteren Kleinsatelliten. Den stieß sie im Weltraum mit geringer Geschwindigkeit von sich ab. Als er sieben Meter entfernt war, schoss die Plattform ein Netz hinterher, das sich um den Kleinsatelliten legte und dann gemeinsam mit ihm Richtung Atmosphäre absank. In einem zweiten Versuch fuhr die Plattform einen 1,5 Meter langen Arm aus, an dessen Ende eine zehn mal zehn Zentimeter große Zielscheibe befestigt war. Sie bestand aus einem Material, das typisch für ältere Satelliten ist. Die Plattform feuerte dann eine Harpune auf das Ziel, die Harpune verhakte sich darin, und die Plattform zog das Ziel zu sich heran. Erstmals demonstrierten die Wissenschaftler damit zwei mögliche Ansätze, Schrottteilen im All habhaft zu werden.

Der Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt, und vieles erinnert an Stoff für Sciencefiction

Von Laserstrahlen und Elektronenkanonen

An weiteren Ideen herrscht kein Mangel. Der Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt, und vieles erinnert an Stoff für Sciencefiction. Diskutiert werden zum Beispiel Laserkanonen, die auf Service-Satelliten installiert werden – oder gleich von der Erde aus abgefeuert werden. Kleine Trümmerteile könnte der Laserstrahl vollständig verbrennen. Bei größeren Trümmern würde er einen Teil der Oberfläche so stark erhitzen, dass sie verdampft. Im Augenblick des Verdampfens entsteht ein Plasma, das sich ausbreitet und eine Reaktionskraft erzeugt. Diese soll das Trümmerteil durch wiederholten Beschuss in die Atmosphäre lenken. Die NASA hält es für möglich, dass sich mit der Technik sämtliche bis zu zehn Zentimeter großen Trümmerteile in Höhen von bis 1100 Kilometern entfernen ließen – innerhalb von zwei Jahren und zu erschwinglichen Kosten.

An Stelle eines Laser- ist auch ein Elektronenstrahl denkbar. Von einem Raumfahrzeug aus wird er auf das Trümmerteil gerichtet. Das Teil nimmt über den Strahl Elektronen auf – es lädt sich also negativ auf –, während sich das Raumfahrzeug positiv auflädt. Die dabei entstehende Anziehungskraft zwischen beiden Objekten nutzt das Raumfahrzeug, um das Teil aus dem Orbit zu befördern, ohne es jemals zu berühren.

Bis diese kontaktlosen Verfahren zum Einsatz kommen, sind allerdings noch etliche technische Hürden zu nehmen. Ihren hohen Energiebedarf gilt es ebenso in den Griff zu bekommen wie den Umstand, dass die Strahlen mit zunehmender Distanz zum Zielobjekt ihre Wirkung verlieren.

Zupackende Satelliten vor dem Ernstfall

Und so sind es denn die übergriffigen Technologien, die sich zuerst in der Praxis beweisen dürfen: Satelliten, die mit einem oder mehreren Roboterarmen ausgestattet sind und damit zupacken können. Zwei Teams liefern sich auf dem Feld der Robotersatelliten ein Kopf-an-Kopf-Rennen: das japanische Unternehmen Astroscale mit seinen weltweiten Ablegern und das von der ESA beauftragte ClearSpace-1-Konsortium mit dem gleichnamigen Schweizer Unternehmen ClearSpace und dem Bremer Raumfahrtkonzern OHB. Beiden Teams bescheinigt die NASA, die Technologie in den letzten Jahren signifikant vorangebracht zu haben. Noch in diesem Jahrzehnt wollen ClearSpace-1 und Astroscale erste Trümmer aus dem All entfernen. Ihre Ansätze sind ähnlich: Ein Servicer genannter Satellit nähert sich einem Schrottteil – im Raumfahrtjargon Rendezvous genannt –, umklammert es oder dockt daran fest und zieht es schließlich auf eine niedrigere Umlaufbahn, so dass es schneller wieder in die Atmosphäre eintritt und verglüht. 

»Die Vorentwicklung von ClearSpace-1 haben wir im März 2025 abgeschlossen«, sagt Svenja Woicke, leitende Ingenieurin des Projekts bei OHB. Mission und Design des Raumfahrzeugs stehen nun also fest. Gemessen am ursprünglichen Plan ist das spät. Eigentlich hätte der Satellit schon 2025 ins All fliegen und mit seinen vier Greifarmen einer Krake gleich VESPA umklammern sollen. Dabei handelt es sich um einen 112 Kilogramm schweren Adapter, den eine Trägerrakete im Jahr 2013 in 800 Kilometern Höhe zurückgelassen hat. Doch dann kollidierte VESPA im Jahr 2023 mit einem anderen Trümmerteil und rotiert seither mit einer Geschwindigkeit, die jede Annäherung zu riskant werden lässt.

ClearSpace-1 musste neu aufgesetzt werden. Ein anderes Raumfahrzeug wurde zur Bergung auserkoren: Proba-1 – ein 95 Kilogramm schwerer Satellit von der Größe eines Kühlschranks, der in 600 Kilometern Höhe seine Bahnen zieht. »Wir haben unser Raumfahrzeug und seine Mission nun umfassend überarbeitet und an Proba-1 angepasst«, sagt Woicke. 2029 soll der Servicer dann ins All starten und Proba-1 ergreifen.

»Die Orbitaldynamik und die relativen Bewegungen in der niedrigen Erdumlaufbahn sind sehr komplex«Svenja Woicke, Systemingenieurin

Im Gegensatz zum ClearSpace-Konsortium hatte Astroscale seine Technik bereits im All – allerdings nur zu Test- und Erkundungszwecken. Mitte 2024 näherte sich der ADRAS-J genannte Satellit des Unternehmens einer Raketenoberstufe, welche die japanische Weltraumorganisation JAXA 2009 im All hinterlassen hat. Es war das erste Rendezvous mit einem Trümmerteil im All. Der Satellit näherte sich der Oberstufe, die so groß wie ein Stadtbus ist, zunächst auf 50 Meter und umkreiste sie. Dann bewegte er sich auf 15 Meter an sie heran – und hielt seine Position.

Eine der anspruchsvollsten Aufgaben der Raumfahrt

Eine ingenieurtechnische Meisterleistung, wie eine Astroscale-Sprecherin befindet. »Zwei Raumfahrzeuge müssen äußerst präzise angenähert werden, und das in einer Umgebung ohne atmosphärischen Luftwiderstand, ohne GPS und mit erheblichen Verzögerungen in der Kommunikation.« Anders als auf der Erde gibt es im All keine Reibung, die Objekte auf natürliche Weise abbremst. Alle Bewegungen müssen über die empfindlichen Triebwerke sorgfältig gesteuert werden, ohne dass dadurch der Treibstoff ausgeht. Selbst kleine Navigationsfehler können da zu Kollisionen führen. Der Mensch ist hier weit weg, und so müssen die Systeme in Echtzeit in hohem Maß autonom agieren. »Das ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben der Raumfahrt.«

Svenja Woicke kann das bestätigen. »Die Orbitaldynamik und die relativen Bewegungen in der niedrigen Erdumlaufbahn sind sehr komplex.« Raumfahrzeuge sind mit bis zu 28 000 Kilometern pro Stunde unterwegs, und viele, wie der Proba-1, sind manövrierunfähig. Der Servicer muss sich also mit dem unkooperativen Schrottteil synchronisieren und es einfangen, ohne mit ihm zu kollidieren. »Dafür setzen wir auf optische und hochfrequente Sensoren, über die wir die relative Position und die Dynamik des Schrottteils bestimmen.«

Astroscale bereitet sich derweil auf Phase zwei seiner Mission vor. Ein Servicer-Satellit des Unternehmens soll sich der Oberstufe erneut nähern. Dieses Mal ist er allerdings zusätzlich mit einem Roboterarm ausgestattet, der sich an das Raketenteil andockt und es in Richtung Erde zieht. Berichten zufolge soll es 2028 losgehen.

Raketenoberstufe | Der Satellit ADRAS-J umrundete und fotografierte die Raketenoberstufe in 50 Meter Entfernung, bevor er sich ihr bis auf 15 Meter näherte. In einer anstehenden Mission soll das Raketenteil aktiv zum Absturz gebracht werden.

Das Wettrennen um die beste Technik für das Entfernen von Weltraumschrott läuft also. »Sicherlich wird nicht jede Technik für jede Art von Raumfahrzeug geeignet sein«, sagt Manuel Metz vom DLR. »Ich glaube, auch die Sache mit den Netzen ist noch nicht ganz vom Tisch – zum Beispiel, um Oberstufen einzufangen.«

Viel wäre schon gewonnen, wenn jedes Jahr fünf der größten Schrottteile aus dem All entfernt würden

Oberstufen der Zenit-Raketen bereiten Sorge

Doch selbst wenn die Entwicklung dieser Technologie schnell voranschreitet: Kann sie angesichts der enormen Schrottmengen im Weltraum überhaupt etwas bewirken? Fachleute sind sich einig: Viel wäre schon gewonnen, wenn jedes Jahr fünf der größten Schrottteile aus dem All entfernt würden, allen voran aus den stark genutzten Orbits in 800 bis 1000 Kilometern Höhe, wo die Atmosphäre kaum mehr ihre reinigende Kraft entfaltet. Das wäre vielleicht kein ganz unerreichbares Ziel für das Active Debris Removal. In den ersten Jahren würde es sogar genügen, sich auf eine Sorte von Objekten zu konzentrieren: auf Oberstufen der sowjetischen Zenit-Raketen, die ab den 1980er Jahren in den Weltraum flogen. Sie belegen die Plätze 1 bis 20 der gefährlichsten Schrottteile im niedrigen Orbit. Aber auch Platz 21 ist interessant. Es ist Envisat, der acht Tonnen schwere europäische Erdbeobachtungssatellit.

Klar ist allerdings, dass das Entfernen von Weltraumschrott immer nur die zweitbeste Lösung sein kann. Besser ist es, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen. Satelliten müssen laut internationalen Vereinbarungen spätestens 25 Jahre nach Ende ihres Einsatzes den Orbit verlassen haben. Doch jedes Jahr früher wäre besser. Die USA gewähren dort zugelassenen Satelliten mittlerweile sogar nur noch fünf Jahre Restverweildauer, weitere Länder könnten diesem Beispiel folgen.

Besonders leicht haben es mit dem Verschwinden die erdnahen Raumfahrzeuge. Die Satelliten der SpaceX-Konstellation werden beispielsweise in 400 Kilometern Höhe ausgesetzt, bevor sie dann auf ihre finale Orbithöhe von zirka 600 Kilometern manövriert werden. »Fallen hier beim ersten Check welche aus, dann treten die relativ schnell wieder in die Erdatmosphäre ein«, sagt Manuel Metz. In größeren Höhen braucht es dagegen mithin Einfallsreichtum. »Andere Satelliten sind beispielsweise auf 1200 Kilometern Höhe. Wenn hier einer ausfällt, bleibt der Hunderttausende von Jahren im Orbit.« Eine Notfallmaßnahme ist es, bei solchen Objekten am Lebensende Treibstoff abzulassen und Batterien zu entladen, damit sie nicht irgendwann explodieren. Besser ist es, wenn die Raumfahrzeuge mit dem Rest ihres Treibstoffs zur Erde zurücksteuern – oder auf eine Friedhofsumlaufbahn. Eine weitere Option bieten neuerdings riesige Segel, die Raumfahrzeuge gegen Ende ihrer Lebensdauer aufspannen. So ein Segel erhöht den Luftwiderstand, und es nutzt zudem den Druck der Sonneneinstrahlung, um die Umlaufbahn des Satelliten allmählich abzusenken. Doch wo all das nicht hilft, öffnet sich das Feld für Active Debris Removal – das aktive Entfernen von Weltraumschrott.

Nicht zu handeln, wird teuer

Für die Raumfahrtindustrie könnte hier ein attraktiver Markt entstehen. Neue Raumfahrzeuge wie die Sentinel-Satelliten versieht die ESA bereits mit speziellen Aluminiumplatten, an die Roboterarme im All leicht andocken können. Auch Astroscale entwickelt entsprechende Systeme. »OHB ist an diesen neuen Technologien und dem verbundenen Markt sehr interessiert«, sagt etwa Svenja Woicke.

Schnittstelle | Satelliten sollen künftig mit speziellen Platten versehen werden, an die Servicer-Satelliten mit ihrem Roboterarm andocken können. Die gezeigte Docking Plate von Astroscale ist magnetisch und umfasst Marker, die den Vorgang erleichtern.

Fest steht, dass der umherfliegende Schrott Raumfahrtakteure schon heute teuer zu stehen kommt. »Ein Raumfahrzeug muss ein- bis zweimal im Jahr einem Trümmerteil ausweichen«, erklärt Holger Krag. Bei der ESA leitet er das Programm für Weltraumsicherheit. »Das ist mit erheblichem Aufwand und Kosten und manchmal sogar mit Datenverlust verbunden.« Heute müssen Raumfahrzeuge routinemäßig ihre Flugbahn ändern, um auf dem richtigen Kurs zu bleiben. Öfter als das werden sie in einigen Jahrzehnten aber aktiv Trümmern ausweichen müssen – mit den damit verbundenen Kosten. »Das kann so weit gehen, dass einige Missionen gar nicht mehr praktikabel sind. Auch die Zahl der Totalausfälle durch Kollision, die heute noch gering ist, wird spürbar wachsen.«

»Active Removal wird wahrscheinlich langsam in In-Orbit-Servicing übergehen«Holger Krag, Experte für Weltraumsicherheit

Doch allein das Wissen um die hohen Kosten, die der Schrott in Zukunft verursacht, lässt noch keinen lukrativen Markt entstehen. Denn wer heute Technik im Weltall hinterlässt, wird mit den Folgen laut Krag gar nicht mehr konfrontiert sein. »Wir brauchen daher eine Regulierung, die das Thema anschiebt. Zum Beispiel könnte man in nationale Weltraumgesetze eine Klausel einbauen, die Active Removal vorschreibt, wenn es nicht gelingt, einen Satelliten nach Ende seiner Lebensdauer aus dem Orbit zu entfernen.« So sieht es auch die Astroscale-Sprecherin und ergänzt: »Staatliche Raumfahrtbehörden und große Satellitenbetreiber müssen sich zu frühen ADR-Missionen verpflichten, um das Risiko der Technologie zu verringern und ihren Wert zu demonstrieren.«

Satelliten warten und reparieren im All

Sollten die nun geplanten Demonstrationen im Weltall gelingen, könnte zudem ein Markt anspringen, in dem es nicht nur um die Entsorgung von Satelliten geht, sondern auch um lebensverlängernde Maßnahmen. Servicer, die an andere Satelliten andocken, könnten diese nämlich gleich wiederbetanken oder reparieren – was erheblich günstiger wäre, als einen neuen Satelliten ins All zu schicken. »Active Removal wird wahrscheinlich langsam in In-Orbit-Servicing übergehen«, erwartet Holger Krag. »Die Technologien haben die gleichen Wurzeln. Wenn das Rendezvous und das Einfangen verlässlich funktionieren, wird man sich zunehmend auf solche Dienstleistungen verlassen.« Auch Manuel Metz hält das für möglich. »Mein Eindruck ist, dass ein wirtschaftlich interessanter Sektor entsteht, der aber nicht primär von dem Thema Active Debris Removal getrieben ist. Eher werden Servicer-Satelliten andere Satelliten im Orbit warten und reparieren.«

»Wenn wir Schrott nicht konsequent vermeiden, brauchen wir über Active Debris Removal gar nicht erst nachzudenken«Manuel Metz, Experte für Raumfahrtmanagement

Doch trotz aller Bemühungen um einen aufgeräumten Orbit bleibt das Ergebnis offen. Warum, das zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Im Jahr 2007 schoss China zu Testzwecken den Satelliten Fengyun-1C ab. Das Resultat war die größte Wolke von Weltraumschrott, die jemals erzeugt wurde. Auch Russland steuerte im Jahr 2021 eine Rakete auf einen ausgefallenen Satelliten und hinterließ ein gigantisches Trümmerfeld. Die damaligen vier Besatzungsmitglieder der Internationalen Raumstation ISS mussten sich für eine Stunde vor möglichen Einschlägen in Sicherheit bringen. Wenn also jemand das Geschehen im Weltraum sabotieren will, dann schießt er ein paar Raketen hoch und beendet es. Oder? »Dem mag ich nicht widersprechen«, sagt Manuel Metz. »Wenn wir die Maßnahmen zur Schrottvermeidung nicht konsequent umsetzen, brauchen wir über Active Debris Removal gar nicht erst nachzudenken.« Da sei es im Weltraum wie auf der Erde. »Es ist viel einfacher, Müll ordnungsgemäß zu entsorgen, als hinterher aufzuräumen.«

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  • Quellen
Bigdeli, M. et al., Aerospace 10.3390/aerospace12040277, 2025

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