Direkt zum Inhalt

Weltraumwetter: Der neue Satellit SWFO-L1 soll vor Sonnenstürmen warnen

Je vernetzter die globale Infrastruktur, desto verwundbarer wird sie – sowohl auf der Erde als auch im Weltraum. Sonneneruptionen werden so zu einem wachsenden Risiko.
Eine Illustration der Erde im Weltraum, mit einem Satelliten, der in der Nähe vorbeifliegt. Der Satellit ist von einem leuchtenden orangefarbenen Licht umgeben, das seine Bewegung und Geschwindigkeit andeutet. Die Erde zeigt deutlich die Kontinente Nord- und Südamerika, während der Weltraum im Hintergrund mit kleinen Sternen gesprenkelt ist. Das Bild vermittelt ein Gefühl von Dynamik und technologischem Fortschritt in der Raumfahrt.
Sonnenstürme sind die Extremereignisse des Weltraumwetters. Weil sie die Magnetosphäre der Erde stören, stellen sie ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die elektronische Infrastruktur auf der Erdoberfläche sowie im erdnahen Weltraum dar. Der Satellit SWFO (Space Weather Follow On) soll den Sonnenwind vermessen.

Im Herbst 1859 tobte ein Sonnensturm im erdnahen Weltraum, der so stark war, dass in Norwegen und Nordamerika das Papier in den Telegrafenstationen in Flammen aufging. Die geomagnetischen Effekte der von der Sonne ausgesendeten Teilchenwolken induzierten derart starke Ströme in den Leitungen, dass die Morseschreiber Funken schlugen. Normalerweise nur im hohen Norden sichtbar, leuchteten die von ihm ausgelösten Polarlichter noch bis Honolulu und Athen. Die bislang stärkste wissenschaftlich beobachtete Sonneneruption ging als Carrington-Ereignis in die Geschichtsbücher ein – benannt nach dem britischen Sonnenforscher Richard Carrington. Damals hinterließ das Phänomen nur mäßig starke Schäden an der noch überschaubaren Elektrik. Heute jedoch käme ein Szenario, das mit dem damaligen vergleichbar wäre, einer Katastrophe gleich.

Sonnenstürme sind die Extremereignisse des Weltraumwetters. Weil sie die Magnetosphäre der Erde stören, stellen sie ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die elektronische Infrastruktur auf der Erdoberfläche sowie im erdnahen Weltraum dar. Sie gefährden Satelliten- und Funkkommunikation, Navigationssysteme, Stromnetze und Luftfahrt. Zwar gibt es bereits Überwachungssysteme, um beispielsweise Fluglinien und Satellitenbetreiber zu warnen. Doch es ist fraglich, ob diese ausreichen, um gravierende Schäden zu verhindern.

Deshalb starten im Jahr 2025 gleich mehrere Observatorien in Richtung Erdumlaufbahn. Ein TRACERS genanntes Paar von NASA-Satelliten soll von einem sonnensynchronen Orbit aus den magnetischen Schutzschild der Erde erforschen und überwachen. Im Herbst 2025 soll dann der Satellit Space Weather Follow On zum Lagrange-Punkt 1 (L1) abheben, einem etwa 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernten Ort auf der Erde-Sonne-Achse. Dort balancieren sich die Anziehungskräfte von Sonne und Erde so aus, dass ein Satellit stabil mit der Erde um die Sonne kreist. Diese spezielle Position ist entscheidend für die Aufgabe von SWFO-L1. 

Die drei Instrumente an Bord des von der US-amerikanischen Wetter- und Ozeanografie-Behörde NOAA betriebenen fliegenden Observatoriums sollen ungestört und kontinuierlich den Sonnenwind vermessen. Dabei handelt es sich um einen beständigen Strom aus Elektronen, Protonen und Strahlungsteilchen, der von der Sonne ausgeht. Vor allem aber soll SWFO-L1 Alarm schlagen, wenn der Sonnenwind zu einem Sturm wird. Der knapp 400 Kilogramm schwere Satellit ersetzt das im Jahr 1995 gestartete Sonnenobservatorium SOHO, das Ende 2025 zunächst auf Standby und 2027 ganz offline gehen soll.

Dass wir im Normalfall von den Auswirkungen des Weltraumwetters verschont bleiben, liegt am Magnetfeld der Erde. Wie ein Schutzschild hält es die geladenen Teilchen des Sonnenwinds auf und lenkt sie in etwa 70 000 Kilometern Höhe entlang der Magnetfeldlinien um die Erde herum in Richtung Pole. Aus diesem Grund sehen wir die farbenfrohen Polarlichter in der Regel nur in Polnähe, wenn der Sonnenwind Stickstoff- und Sauerstoffatome zum Leuchten bringt. Was wir dagegen nicht sehen: Die Plasmawolken dellen das irdische Magnetfeld auf der sonnenzugewandten Seite gewissermaßen ein und induzieren dabei elektrische Spannungen – mit heftigen Folgen.

»In Deutschland gibt es die Fehleinschätzung, dass uns Weltraumwetter egal sein kann, weil wir nicht so weit nördlich liegen wie die skandinavischen Länder«Yuri Shprits, Atmosphärenphysiker

»In Deutschland gibt es die Fehleinschätzung, dass uns Weltraumwetter egal sein kann, weil wir nicht so weit nördlich liegen wie die skandinavischen Länder«, sagt Yuri Shprits, Atmosphärenphysiker am Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam. »Das stimmt aber nicht. Bei starken Ereignissen wie dem von 1859 würde sich das Zentrum des Polarlichtovals bis nach Berlin oder sogar noch südlicher bewegen.« In einer Studie aus dem Jahr 2013 berechneten Fachleute von der Versicherung Lloyd's of London, dass ein derartiges Ereignis Schäden von inflationsbereinigt und umgerechnet mehr als zwei Billionen Euro anrichten könnte – allein in den USA.

Hinzu kommen die Beeinträchtigungen, die sich ergeben, wenn Satelliten beziehungsweise ihre Signale gestört sind, da die ionisierten Teilchenwolken unter anderem die Laufzeiten von GPS-Signalen verzögern. Ein Sonnensturm im Mai 2024 etwa führte dazu, dass GPS-gesteuerte Traktoren in den USA die Orientierung verloren. Da sich rund 70 Prozent der Farmer im Mittleren Westen der USA auf GPS-unterstützte Landwirtschaftsmaschinen verlassen, verursachte der Sturm einen Schaden von umgerechnet mehr als 400 Millionen Euro.

Ein Supersonnensturm ist nur eine Frage der Zeit

In Zukunft dürften ausfallende Satelliten die Verwundbarkeit der globalen Informationsarchitektur durch Sonnenstürme noch einmal beträchtlich erhöhen. So hat sich seit 2013 die Zahl der Satelliten von etwa 1000 auf heute rund 13 000 vervielfacht. Die meisten dieser Satelliten gehören zum wachsenden Internet-Satellitennetzwerk Starlink; mindestens 3000 weitere sind für das Amazon-Netzwerk Kuiper geplant. Wie verletzlich solche Konstellationen sind, zeigte sich im Jahr 2022. Ein Sonnensturm ließ die Erdatmosphäre so sehr anschwellen, dass Satelliten auf niedrigen Umlaufbahnen plötzlich in ihre Ausläufer gerieten. Insgesamt 38 gerade erst in der Erdumlaufbahn ausgesetzte Starlink-Satelliten, die ihre Zielhöhe noch nicht erreicht hatten, stürzten zurück in Richtung Erde und verglühten.

SWFO-L1 | Mitarbeiter überprüfen den Satelliten SWFO-L1 ein letztes Mal, bevor das Observatorium für weitere Tests in die thermische Vakuumkammer gebracht wird.

Eine entscheidende Frage lautet daher, wann, wie häufig und in welcher Stärke sich Sonnenstürme ereignen. »Die Wahrscheinlichkeit eines Sonnensturms von der Stärke des Carrington-Ereignisses liegt bei etwa einmal in 100 Jahren«, sagt Shprits. Dabei dürfte dieses Superereignis auf der großen Zeitskala nicht besonders ungewöhnlich gewesen sein und auch nicht allein unserer Sonne vorbehalten. Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung kam nach der Analyse von mehr als 50 000 sonnenähnlichen Sternen Ende 2024 zum Ergebnis, dass es auf jedem dieser Sterne durchschnittlich alle 100 Jahre sogar zu bis zu 100-mal stärkeren Strahlungsausbrüchen kommt.

Viel häufiger sind allerdings schwächere Sonnenstürme. Die NOAA teilt diese analog zu irdischen Hurrikans in die fünf Warnstufen G1 bis G5 ein. Während ein G1-Ereignis mehr als 1000-mal in zehn Jahren auftritt und lediglich Polarlichter auslöst, ereignen sich G5-Stürme immerhin viermal im gleichen Zeitraum und können beispielsweise Ströme von bis zu 100 Ampere in Pipelines erzeugen und schwere Netzausfälle bewirken.

Sonnenstürme in der Nähe der Erde sind vor allem das Resultat von Eruptionen auf der Sonnenoberfläche, wenn sich dort starke Magnetfelder umgruppieren. Eine Quelle dieser Ausbrüche sind koronale Löcher. Das sind dunkle Regionen in der Sonnenatmosphäre, aus denen Plasmaströme als besonders schneller Sonnenwind ins All entweichen. Zudem entstehen in ausgesprochen aktiven Phasen der Sonne vermehrt sogenannte Sonnenflecken auf ihrer Oberfläche. Aus diesen dunklen und kühleren Regionen mit starken lokalen Magnetfeldern lösen sich häufig große Bögen heißen Plasmas. Bei solchen koronalen Massenauswürfen, kurz CME für »coronal mass ejection«, schleudert die Sonne Milliarden Tonnen geladener Teilchen ins All. Mit CMEs oft verbunden sind Flares, minutenlange Röntgenstrahlungsausbrüche.

»Da wir das Sonnenmaximum wahrscheinlich gerade überschritten haben, ist jetzt die Zeit, in der jederzeit ein starkes Ereignis eintreten kann«Yuri Shprits, Atmosphärenphysiker

Für den Lichtblitz der Flares beträgt die Vorwarnzeit null Minuten, da er mit Lichtgeschwindigkeit zur Erde gelangt. Dort kann er die Thermosphäre anschwellen lassen und Satelliten in erdnahen Orbits abbremsen. Für die Stürme, die im Weltraum Satelliten beschädigen, Funkverbindungen stören und Stromnetze auf der Erdoberfläche gefährden, sind hingegen die langsameren Wolken aus ionisierten Teilchen verantwortlich. So reisen die ausgesendeten Protonen mit nur etwa 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Die Vorwarnzeit beträgt entsprechend etwa 50 Minuten. Mehr Vorbereitungszeit gibt es im Fall eines CMEs. Dessen Teilchen brauchen ein bis vier Tage zur Erde.

Immerhin ist schon lange bekannt, dass sich ruhige und aktive Phasen der Sonne mit einer Periode von etwa elf Jahren abwechseln. So wissen wir, in welchem Zeitraum Sonnenstürme am wahrscheinlichsten sind. »In der Phase abnehmender Aktivität ereignen sich die meisten koronalen Massenauswürfe«, sagt Shprits. »Da wir das Sonnenmaximum wahrscheinlich gerade überschritten haben, ist jetzt die Zeit, in der jederzeit ein starkes Ereignis eintreten kann.«

Ursache bekannt, Zeitpunkt unbekannt

Trotzdem bleiben exakte Vorhersagen schwierig. Zwar gilt die allgemeine Entstehung von Flares als gut erforscht, doch der Auslösemechanismus bleibt ein Rätsel. Ebenso ist bekannt, dass koronale Massenauswürfe aus aktiven Regionen auf der Sonne hervorbrechen, aber nicht wann. Ein vielversprechender Weg scheint zu sein, selbstlernende Systeme einzusetzen, um Lücken in den bestehenden Vorhersagemodellen zu füllen. »Die Hälfte unserer Modelle basiert auf künstlicher Intelligenz, um beispielsweise die geomagnetische Aktivität am Boden und die Dichte der Ionosphäre vorherzusagen – besonders wichtig für Satelliten«, erklärt Shprits.

Daher liegt die besondere Bedeutung des umgerechnet knapp 40 Millionen Euro teuren NOAA-Satelliten SWFO-L1 nicht nur in einer früheren Erkennung eines Sonnenereignisses, sondern in der möglichst frühen Warnung vor den Folgen – konkret werden der ankommende Sonnenwind und die Teilchen eines CMEs analysiert und mit geeigneten Modellen ausgewertet.

Denn mithilfe einer verlässlichen Weltraumwettervorhersage und ausreichender Vorwarnzeit lassen sich viele Auswirkungen vermeiden oder zumindest mindern. Droht beispielsweise ein Sonnensturm Funkverbindungen zu kappen (»radio blackout«), leiten Fluglinien wie die finnische Gesellschaft Finnair ihre Flieger von Polarrouten nach Süden um oder lassen sie auf niedrigere Flughöhen sinken.

Diesen Ausweg gibt es für geostationäre Satelliten nicht. Die teuren Geräte sind deshalb so solide gebaut, dass ihre Elektronik Weltraumunwetter übersteht. Trotzdem benötigen auch ihre Betreiber Warnungen, um sie im Zweifelsfall in einen gesicherten Modus zu versetzen.

Europa ist abhängig von den USA

Aus europäischer Sicht besteht allerdings Anlass zur Sorge: Bei der Weltraumwetter-Vorhersage führt kein Weg an den US-Amerikanern vorbei. »Wenn wir mit Satelliten-Betreibern wie Airbus, OHB oder SAS sprechen – alle nutzen ihre Produkte«, sagt Shprits. Doch diese wichtige Informationsquelle könnte durch Budgetkürzungen der Trump-Administration oder aus politischen Gründen jederzeit versiegen.

Zwar sind die Europäer nicht untätig. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA betreibt ausgedehnte Forschung und plant mit dem 340 Millionen Euro teuren Satelliten Vigil ab 2031 sogar eine eigene anspruchsvolle Weltraumwetter-Mission. Sie stellt zudem eine Reihe von Datenprodukten bereit. Aber anders als die NOAA hat sie nicht den Auftrag, diese Daten zum Weltraumwetter systematisch aufzubereiten und Satellitenbetreibern zur Verfügung zu stellen.

Eine Lösung aus deutscher Sicht wäre ein Service, der nach Vorbild der USA beim Deutschen Wetterdienst läge. Doch derzeit ist nichts dergleichen geplant. Die Bundesregierung verlässt sich nach Aussagen des zuständigen Bundesforschungsministeriums auf das vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum und der Bundeswehr gemeinsam betriebenen Weltraumlagezentrum in Uedem, das sich allerdings auf NOAA-Daten stützt. Im Fall eines fatalen Sonnensturms sei zudem der Katastrophenschutz verantwortlich, der wiederum in der Zuständigkeit der Länder liege, heißt es. Das Ministerium verweist darauf, dass es ohnehin in der Verantwortung betroffener Unternehmen läge, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Immerhin: Die unübersichtliche Gemengelange hat für die Individuen auf der Erdoberfläche, tief in der schützenden Erdatmosphäre, keine unmittelbaren Konsequenzen. Ist ein starker Sonnensturm im Anmarsch, ist die vielleicht beste Maßnahme, sich ins Freie zu setzen und das bunte Schauspiel, das sich dann am Himmel bietet, ganz analog zu genießen – das Smartphone hat dann womöglich ohnehin kein Netz.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.