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Ökosysteme: Wenn das Flusspferd Milzbrand hat

Sambias Regierung will jährlich 250 Flusspferde für Trophäenjäger zum Abschuss frei geben. Neben Schäden für das Ökosystem des Flusses Luangwa durch eine zu große Konzentration der Tiere solle damit auch die Milzbrand-Gefahr für Mensch und Tierreich reduziert werden. Wissenschaftler und Tierschützer sehen Lücken in dieser Argumentation.
Flusspferd

Das Foto auf der Website Africahunting.com zeigt zwei grinsende Jäger. Die Daumen nach oben gerichtet, posieren sie mit zwei frisch erlegten Flusspferden, von denen eine schmale Blutspur in den Luangwa sickert. Eine Pop-up-Nachricht erklärt, worum es geht: »Flusspferd-Management Jagd Sambia 2018 und 2019. Fünf Flusspferde pro Jäger für 11 750 Euro. All-inclusive«. Das Angebot kommt von dem südafrikanischen Jagdtourismus-Anbieter Umlilo Safaris, der im Namen der offiziell lizenzierten Firma Mabwe Adventures internationale Kunden wirbt.

Die Lizenz zum Töten kommt direkt von Sambias Regierung. Jährlich sollen 250 Flusspferde zum Abschuss frei gegeben werden, manche Quellen sprechen von einem Zeitraum von fünf Jahren, andere von der »absehbaren Zukunft«. In einer Presseerklärung nennt der sambische Tourismus-Minister Charles Banda ökologische und medizinische Gründe: Angestrebt wird »die Kontrolle der Flusspferdpopulation am Fluss Luangwa, damit ein angemessener Lebensraum für aquatische Arten und andere Wildtiere gewährleistet wird«. Die wachsende Zahl der Tiere verursache schwere Schäden an den Ufern des Luangwa und gefährde damit die Nachhaltigkeit des Fluss-Ökosystems. Bereits zuvor hatte die Regierung einen weiteren Grund in den Raum gestellt: die Möglichkeit eines Milzbrandausbruchs unter Flusspferden und dadurch eine potenzielle Gefährdung für die Menschen im Luangwa-Tal.

Flusspferde in Sambia | Flusspferde im South Luangwa Nationalpark in Sambia. Der Park besitzt die größte Flusspferdpopulation der Welt.

In Sambia kam es zuletzt im Jahr 2016 zu Milzbrandfällen unter Menschen, die mit Flusspferden in Verbindung gebracht wurden. Seinerzeit wurden mehr als 20 Fälle bekannt, niemand starb. Im selben Jahr wurde eine Flusspferd-Keulung beschlossen, nach Protesten von Tierschutzorganisationen allerdings wieder ausgesetzt. Nun aber kehrt die Regierung zu der Entscheidung von 2016 zurück. Und wie damals sind Tierschützer auch jetzt empört. »Wir fordern die Regierung Sambias auf, von dieser Keulung abzulassen. Es scheint hierbei eher um Geldmacherei zu gehen als um eine effektive, wissenschaftlich begründete Strategie, mit der eine Tierpopulation reguliert werden soll«, sagt Mark Jones, ein Direktor der britischen Tierschutzorganisation Born Free, die federführend in der Kampagne gegen die Keulung agiert. Born Free und andere Gruppen wie die sambische Green Party argumentieren, dass es gar keine Beweise für eine Überbevölkerung von Flusspferden am Luangwa gebe. Und: Keine wissenschaftliche Untersuchung bestätigt, dass eine Keulung die Wahrscheinlichkeit von saisonalen Milzbrandausbrüchen wirklich reduzieren hilft.

Zu viele Tiere – und ein hohes Ansteckungsrisiko?

Auf diesen Punkt hebt Richard Kock ab, ein Experte für Wildkrankheiten am Royal Veterinary College der University of London: »Ohnehin würde ich nie die Keulung einer an sich gesunden Wildtierpopulation befürworten, die nur das Risiko einer Tier-Mensch-Übertragung reduzieren soll. Eine Keulung müsste nachweislich auch für den Restbestand jener Wildtierspezies selbst von Vorteil sein.« Zudem sollten zunächst solide wissenschaftliche Daten belegen, dass ein großer Milzbrandausbruch unter den verbleibenden Flusspferden weniger wahrscheinlich würde.

Und sinkt das Ansteckungsrisiko für den Menschen überhaupt nach einer Keulung? Es stimmt, dass alle bekannten Anthraxausbrüche unter Menschen in Zusammenhang mit einem engen, ungeschützten Kontakt zwischen Mensch und infizierten Tieren oder Kadavern standen, zum Beispiel unter Hirten, Gerbern oder Metzgern. Die theoretisch – unter sehr besonderen Umständen – denkbare Übertragung von Mensch zu Mensch wurde in der Praxis noch nie nachgewiesen. »Eigentlich ginge es nur über Verzehr. Selbst wenn meine gesamte Familie Anthrax hätte, würde ich mich wohl kaum anstecken. Es sei denn, ich esse sie auf«, erklärt Fabian Leendertz, Veterinärmediziner am Robert Koch-Institut in Berlin.

Infizierte Tiere sind allerdings ansteckend – wegen der von ihnen in großer Zahl verbreiteten Bakteriensporen. Kommen Menschen damit in direkten Hautkontakt, so können sie am Hautmilzbrand erkranken, der mit einer Sterberate von 5 bis 20 Prozent noch ungefährlichsten Variante. Das Einatmen der Sporen birgt das Risiko, Lungenmilzbrand zu verursachen, der in mehr als 80 Prozent der Fälle bei Menschen tödlich ist. Darmmilzbrand ist zu 50 Prozent tödlich und wird durch den Verzehr von infiziertem Fleisch und anderen Tierprodukten verursacht. Für die Bevölkerung in Industrieländern hält die moderne Medizin seit gut einem halben Jahrhundert wirksame Gegenmittel parat: Impfstoffe und Antibiotika haben dort die Krankheit praktisch besiegt, und eine bessere Hygiene bremst ihre Ausbreitung.

Etwas anders sieht es in entlegenen, wärmeren Weltregionen und Entwicklungsländern aus: Hier fördert mangelnde Aufklärung und ein intensiverer Kontakt zwischen Mensch und Tier die Ausbreitung auch unter Menschen. Verschärft werden kann dies im zentralen und südlichen Afrika durch Besonderheiten des Ökosystems – wobei nun tatsächlich die Flusspferde ins Spiel kommen. Denn der Erreger bevorzugt als Reservoir feuchte, sumpfige Böden oder Überschwemmungsgebiete von Flüssen, wo die Sporen durch das Wasser weiter verschleppt werden können. Saisonal wiederkehrende Dürren sorgen dann dafür, dass die Sporen am Boden nicht mehr von der vertrockneten Vegetation zurückgehalten werden. »Gerade Flusspferde grasen während der Trockenzeit auf Grund der fehlenden Weidemöglichkeiten sehr niedrig am Boden und atmen so die Anthraxsporen ein«, erläutert Bernhard Mudenda, ein veterinärmedizinischer Mikrobiologe an der University of Zambia in Lusaka.

Tiere gekeult – Bakterien besiegt?

Aber durchaus nicht immer bleiben die Sporen im Boden die einzige Gefahr, wie Fabian Leendertz 2004 in Uganda herausfand. Damals waren bei einem Anthraxausbruch im Queen Elizabeth National Park mehr als 200 Flusspferde gestorben. Der Vorfall unterschied sich jedoch von anderen. Normalerweise auch für Milzbrand anfällige Arten wie Büffel starben zunächst nicht. »Diesmal verbreitete sich die Krankheit wie eine klassische Epidemie, fing also bei einer Flusspferdgruppe an und übertrug sich dann auf die nächste. Die Frage war, wie die Tiere sich untereinander anstecken konnten«, berichtet der deutsche Forscher, der von der ugandischen Regierung als Gutachter bestellt wurde.

Im Verdacht hatte Leendertz das Aasfressverhalten der Flusspferde. Schon 1996 hatte sein Kollege Joseph Dudley, ein Experte für biologische Sicherheit von der University of Alaska in Fairbanks, die normalerweise vegetarisch lebenden Tiere dabei beobachtet, wie sie die Kadaver von Impalas, einer Antilopengattung, fraßen. Und in Uganda gab es schließlich Indizien für Kannibalismus. »Wenn die von Anthrax getöteten Flusspferde kopfüber auf dem Wasser trieben, bildete sich in ihren Körpern wegen der Verwesungsgase ein so großer Druck, dass die Gedärme schließlich aus dem Anus herausgeschleudert wurden. Das fraßen dann ihre Artgenossen und steckten sich so an«, sagt Leendertz. Er ist ohnehin der Meinung, dass Aasfressverhalten von Tieren, die eigentlich kein Fleisch fressen, bei der Untersuchung von tödlichen Epidemien nicht genügend berücksichtigt wird – »das sollte man sich zum Beispiel auch einmal bei Ebola anschauen«. Hinzu kommt, dass Futterknappheit während der Trockenzeit Flusspferde aggressiver macht und Kämpfe untereinander ebenfalls Bisswunden hervorrufen, durch die Anthrax übertragen werden kann.

Totes Flusspferd | Im Jahr 2011 in der Nähe von Chama: Ein aufgeblähtes totes Flusspferd treibt kopfüber auf dem Luangwa. Manchmal verzehren Artgenossen die Gedärme, die durch den Druck der Verwesungsgase aus den toten Tieren herausgeschleudert werden. So können sie sich mit Milzbrand anstecken.

Im Jahr 2015 veröffentlichten Leendertz, Mudenda, Dudley und weitere Forscher in dem Fachblatt »Mammal Review« einen wissenschaftlichen Artikel, der sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Fleischfressverhalten der Flusspferde und Milzbrandverbreitung beschäftigte. Darin kamen sie zu dem Schluss, dass solche Verhaltensmuster nicht regional isolierte Vorkommen sind, sondern sich über den gesamten Osten und Süden Afrikas erstrecken. Und dies könnte erklären, warum Anthrax-Todesfälle unter Flusspferden oft »gewaltig höher ausfallen als unter ebenfalls für Milzbrand anfälligen Arten in der gleichen Region«. Machen Fressverhalten und Aggressivität Flusspferde also zu einer für die Verbreitung von Milzbrand in Afrika besonders bedeutenden Art? Und gefährdet dies den Menschen?

Als Mark Lehman 2011 von der amerikanischen Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nach Sambia geschickt wurde, sah auch er tote Flusspferde kopfüber in den Flüssen treiben. Der Mediziner gehörte seinerzeit einer Einheit der CDC an, deren Aufgabe es ist, weltweit Seuchenausbrüche zu untersuchen und den jeweiligen Regierungen Hilfe bei der Eindämmung anzubieten. Zuvor waren in Chama, im Osten Sambias, fünf Menschen und 85 entdeckte Flusspferde an den Folgen von Milzbrandinfektionen gestorben. Über 500 Menschen waren erkrankt. Und hier gab es ebenfalls Indizien dafür, dass neben den üblichen Verbreitungswegen eine direkte Ansteckung von Flusspferd zu Flusspferd stattfand.

Lehmans Interesse galt allerdings der Frage, wie die Krankheit von den Flusspferden auf die Menschen übertragen wird. »Schon vor unserer Ankunft hatten die Behörden es für sehr wahrscheinlich gehalten, dass das Fleisch von toten Flusspferden der Übertragungsweg war«, berichtet Lehman. Besonders während der Trockenzeiten ist die Lebensmittelversorgung in den ländlichen Gegenden Sambias unvollständig, es mangelt besonders an Protein. Der tonnenschwere Kadaver eines toten Flusspferds stellt für die Menschen eine oft schwer zu widerstehende Chance auf eine großes Stück Fleisch dar. »Wir erstellten also einen Fragebogen und gingen von Tür zu Tür, um die Details der Ansteckungswege zu ermitteln«, so Lehman. Dabei fanden die Sambier und Amerikaner heraus, dass es für eine Ansteckung oft nicht einmal notwendig ist, das infizierte Fleisch zu essen. »Es kam schon zu Hautmilzbrand, wenn die Kadaver geschlachtet wurden oder wenn die Menschen das Fleisch vom Metzger nach Hause trugen«, sagt der Forscher.

Doch Lehman entdeckte in den Flüssen auch viele unberührte tote Tiere, ein Indiz dafür, dass viele Dorfbewohner die Ansteckungsgefahr durchaus verstanden. In einem Artikel im von den CDC publizierten Fachjournal »Emerging Infectious Diseases« analysierte Lehman schließlich im September 2017 mit seinen Kollegen die Zusammenhänge des Ausbruchs in Chama, besonders auch vor dem Hintergrund neuer Fälle im südlichen und östlichen Afrika, die ähnlichen Schemata folgten. »84 Prozent der Befragten hatten vor dem Ausbruch Flusspferdfleisch verzehrt«, heißt es in dem Text. »Nahrungsunsicherheit führt die Menschen dazu, riskantes Verhalten zu akzeptieren«, erläutert Lehman den vermeintlichen Widerspruch. Denn laut der Umfrage von 2011 wollten 23 Prozent der Menschen trotz Kenntnis der Gefahren wieder das Fleisch von toten Flusspferden essen, wobei 73 Prozent als Grund Lebensmittelknappheit angaben.

Damit lässt sich auch der den Ereignissen von 2011 sehr ähnliche Milzbrandausbruch in Sambia von 2016 erklären, den die Regierung ursprünglich zum Anlass für die jetzt wieder geplante Flusspferd-Keulung nahm. »Solche Ausbrüche unter Tieren in Sambia sind vorhersagbar und folgen den Jahreszeiten«, bekräftigt Melissa Marx, eine weitere Autorin des Artikels von 2017. Auch die Epidemiologin von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore sieht eine gleichzeitige Lebensmittelunsicherheit, vor allem in den Naturschutzgebieten, als wichtigsten Grund für die Übertragung auf den Menschen. Folglich seien Aufklärung und Absperrung von Ausbruchsgebieten wichtigere Gegenmaßnahmen als die Keulung der Tiere. »Solche Vorbeugung bedarf aber einer intensiven Zusammenarbeit und Koordination zwischen Wildhütern und Gesundheitsbehörden. Es könnten wahrscheinliche Ausbruchsgebiete vorhergesagt werden, und besonders dort könnten Aufklärungskampagnen gestartet und später Gebiete mit toten Tieren abgesperrt werden«, erklärt Marx.

Wie viele Flusspferde sind zu viele?

Laut der Regierung in Sambia sollen Flusspferde auch gekeult werden, weil ihre große Zahl am Luangwa das Ökosystem über Gebühr belastet. Offiziell klassifiziert die Weltnaturschutzorganisation International Union for Conservation of Nature (IUCN) Flusspferde als gefährdet: Weltweit gibt es noch 115 000 bis 130 000 Tiere. Davon finden sich am Luangwa rund 25 000, es ist die größte Population der Erde. »Hier können bis zu 42 Tiere an einem Kilometer Flusslauf leben«, erläutert Rebecca Lewison, die Leiterin der IUCN-Flusspferdgruppe von der San Diego State University.

»Nahrungsunsicherheit führt die Menschen dazu, riskantes Verhalten zu akzeptieren«
Mark Lehman

Und tatsächlich kann eine zu große Population von Flusspferden das Ökosystem eines Flusses durchaus zum Negativen verändern. Die Tiere können zu viel fressen, mit ihrem Gewicht von durchschnittlich 1500 Kilogramm Schäden an den Ufern verursachen und auch durch ihre Fäkalien das chemische Gleichgewicht eines Gewässers beeinflussen. Zwar gilt der Dung der Flusspferde unter normalen Umständen sogar als wertvoller Dünger für ein Ökosystem. Doch kann fehlender Wasserfluss in den wegen des Klimawandels immer längerer Trockenzeiten des Kontinents durch solche Ausscheidungen für Fische oft tödlich werden.

Mit Blick auf den Luangwa spricht die Regierung Flusspferde allerdings zu Unrecht schuldig, mutmaßen Naturschützer. Denn der geplante Bau eines Wasserkraftwerks an der Ndevu-Schlucht würde die Ökologie des Flusses – eines der weltweit letzten größeren Ströme mit unveränderten Lauf – wesentlich stärker beschädigen, gerade auch in puncto Wasserfluss und -qualität, wie Daten einer Studie belegen.

Ohnehin wäre ein durch Flusspferde bedingter ökologischer Schaden für den Fluss nur vorstellbar, wenn die Tiere sich wirklich unkontrolliert immer weiter vermehren. »Im Luangwa-Tal gibt es aber gar keine Überpopulation dieser Tiere. Nach unseren Informationen hat ihre Zahl in den vergangenen 30 Jahren sogar um 14 bis 20 Prozent abgenommen«, sagt der Vorsitzende der sambischen Green Party, Peter Sinkamba.

Und selbst wenn die in Sambia geplante Keulung wie geplant stattfindet: Forscher bezweifeln, dass sich dadurch die Zahl der Flusspferde effektiv senken ließe. Im Jahr 2013 veröffentlichte Chansa Chomba, ein Biologe an der sambischen Mulungushi University, damals noch für die Wildtier-Behörde Zambian Wildlife Authority (ZAWA) tätig, eine Untersuchung der verschiedenen Flusspferd-Keulungen in Sambia über die vergangenen drei Jahrzehnte. Im »International Journal of Biodiversity and Conservation« kommt Chomba zu dem Schluss, dass die Keulungen sich als ineffektiv zur Kontrolle der Flusspferdzahlen erwiesen hätten. Zudem seien Daten dieser Keulungen unzureichend bewertet und analysiert worden.

Chomba verweist außerdem auf Studien, die schon zuvor beobachtet hatten, dass Keulung die Fortpflanzung unter Flusspferden stimuliert. Werden männliche Tiere getötet – sie sind ein besonders beliebtes Ziel von Trophäenjägern –, stehen den Weibchen mehr Ressourcen zur Verfügung. Das erhöht die Geburtenrate. Angesichts der mageren Zahlen, welche die sambischen Keulungen über 32 Jahre produziert hatten, hält Chomba ein solches Phänomen auch am Luangwa für möglich.

»Im Luangwa-Tal gibt es gar keine Überpopulation«
Peter Sinkamba

Weitere internationale Beispiele bekräftigen solche Vorbehalte. Eine Studie von 2015 beobachtete, dass die Population von verwilderten Katzen auf der australischen Insel Tasmanien nach einer Keulung um 75 bis 211 Prozent anstieg. Auf der nordirischen Insel Rathlin Island verdoppelte sich die Zahl der Frettchen nach einer Keulung, weil auch hier die verbliebenen Tiere mehr Ressourcen hatten und sich deswegen stärker vermehrten. Und 2013 begann Großbritannien, Dachse zu keulen, um Rindertuberkulose einzudämmen. Ein Erfolgsnachweis über den Rückgang der Krankheit ist bislang nicht erbracht.

Doch vom Faktor Mensch abgesehen bleibt die Frage, ob eine Keulung nicht zu einer gesünderen Flusspferdpopulation am Luangwa führen könnte. »Grundsätzlich kann Keulung zu Gunsten einer gesünderen Restpopulation sinnvoll sein, besonders wenn die Tiere in einer Situation leben, die nicht mehr natürlich ist. Aber solche Maßnahmen müssen auf einem soliden ökologischen Wissensstand basieren. Die genetische Vielfalt darf nicht verloren gehen, und die Restpopulation muss dann wirklich gesünder sein und konstant wachsen«, sagt Richard Kock.

Eine gewisse Ironie sehen Wissenschaftler in dem Umstand, dass Milzbrandausbrüche eben durchaus dazu beitragen können, Flusspferdbestände unter Kontrolle zu halten und gesunde, weil widerstandsfähige Restpopulationen zu schaffen. »In einem relativ gesunden Ökosystem, zum Beispiel in afrikanischen Nationalparks wie dem Krüger in Südafrika oder Etosha in Namibia, werden wir immer wieder Ausbrüche von Krankheiten unter Tieren, inklusive Anthrax, erleben. Das ist einfach ein natürlicher Teil der Regulation der Tierpopulation. Die Naturschutzbehörden greifen deswegen auch gar nicht ein«, erklärt Fabian Leendertz.

Egal ob es um den Schutz der Tiere oder des Menschen geht – »die Zweckhaftigkeit, Tierbestände zu keulen, um die Verbreitung von Krankheiten einzudämmen, hängt von zahlreichen Faktoren ab – der Beschaffenheit des Pathogens, der Übertragungsweise, der gefährdeten Population und außerdem der kulturellen und sozialen Eigenheiten der betroffenen Menschen und Länder«, weiß auch Marx. Während die meisten Wissenschaftler Keulung als ein Mittel der Seucheneindämmung nicht grundsätzlich verteufeln wollen, so herrscht im Fall der Situation in Sambia dennoch Einigkeit darin, dass die Regierung weder wissenschaftlich solide Beweise zur Unterstützung der Keulung erbracht hat noch dass solche wie von Marx genannten Faktoren bislang ausreichend erforscht wurden. »Kann die Regierung denn ein ökologisch fundiertes, wissenschaftliches Dokument präsentieren, das zeigt, dass es hier in der Tat um eine Flusspferd-Überpopulation geht, um Schaden an der Umwelt, und auch, dass es keine Alternativen zur Keulung gibt?«, fragt Richard Kock.

Unterdessen kommen Indizien zu Tage, durch die die Begründung der Regierung fadenscheinig wirken. Ein Bericht der südafrikanischen Zeitung »Independent on Saturday«, der sich auf eine anonyme Quelle in der Verwaltung der sambischen Nationalparks beruft, verbindet die plötzliche Rückkehr zu der 2016 ausgesetzten Keulung mit einer »verdächtigen Ausschreibung«. Demnach sei der Vertrag mit den Trophäenjagd-Unternehmen Mabwe Adventures 2015 unter dubiosen Umständen zu Stande gekommen. Mabwe habe erfolgreich gegen die Absetzung der Keulung geklagt, und die Regierung fürchte die juristischen, finanziellen und politischen Konsequenzen dieser Klage. »So etwas wird natürlich auch ganz schnell zu einem politischen Thema«, sagt Fabian Leendertz. Die beschlossenen Maßnahmen müssten dann auch wissenschaftlich nicht immer sinnvoll sein. Das, klagt Leendertz, »haben wir leider schon sehr oft erlebt«.

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