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News: Wenn das Zipperlein Regen meldet

Merken Sie es schon im voraus, wenn ein Gewitter aufzieht? Trotz der vielen Berichte von Wetterfühligkeit tut sich die Wissenschaft noch schwer mit der Erforschung dieses Phänomens. Ein Team aus Psychologen und Physikern wagte jetzt vorsichtige Schritte und fand tatsächlich Unterschiede zwischen wetterfühligen Menschen und Personen, denen diese Eigenschaft fehlt.
Wetterfühlige werden häufig für eingebildete Kranke gehalten. Die Psychologen Dr. Anne Schienle und Dr. Rudolf Stark (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Dieter Vaitl, Klinische und Physiologische Psychologie) an der Justus-Liebig-Universität Gießen finden allerdings in ihren Studien klare Hinweise darauf, daß das Gehirn bei einem nahenden Gewitter seine Aktivität verändert. Und nicht nur das: Die Reaktionen von Menschen, die sich selbst als wetterfühlig einschätzen, unterscheiden sich von denen, die nicht wetterfühlig sind. Jedoch werden den Personen ihre Gehirnreaktionen nicht bewußt, so daß in diesen Versuchen die Frage offen bleibt, inwieweit sie ein kommendes Gewitter auch tatsächlich spüren können.

Gewitter erzeugen schwache elektromagnetische Wellen, die den Radioempfang stören können. Allerdings liegt der Frequenzbereich, der Anne Schienle interessiert, unterhalb des üblichen Radiowellenbereichs, nämlich bei 1 bis 100 Kilohertz. Die elektromagnetischen Pulse, die bei jeder Entladung eines Blitzes entstehen, dauern etwa eine halbe Millisekunde. Weil die oberen Schichten der Atmosphäre wie ein "elektrischer Spiegel" wirken, breiten sich diese sogenannten Sferics auch über den Horizont hinaus aus und sind über eine Entfernung von tausend Kilometern hinweg noch nachzuweisen. Ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit, die annähernd Lichtgeschwindigkeit beträgt, ermöglicht es, daß einige Tage oder Stunden, bevor eine Kalt- oder Warmluftfront bei uns eintrifft, bereits erhöhte Sfericswerte registriert werden können. Bei starker Aktivität registriert die Empfangsanlage am Fachbereich Psychologie jede Sekunde den Impuls von einem Sferic.

Während die elektrische Komponente dieser elektromagnetischen Wellen von Gebäuden gut abgeschirmt wird, dringt der magnetische Anteil auch in Häuser ein, wo er kontinuierlich auf den Menschen einwirken kann. In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Physik der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde in Gießen eine Simulationskammer aufgebaut, in der die Versuchspersonen künstlich den Effekten eines Gewitters ausgesetzt werden. Sie sitzen dazu in einer mit Goldfolie abgeschirmten Kammer in Magnetfeldern, die einem tatsächlich gemessenen, natürlichen Sferic nachgebildet worden sind. Sieben bis zwanzig Mal pro Sekunde wiederholt Anne Schienle den magnetischen Puls, was den Verhältnissen in einem kräftigen, tropischen Gewitter entspricht.

Etwa 200 Versuchspersonen, die meisten Studentinnen und Studenten der Psychologie, sind bisher untersucht worden. Bei zahlreichen körperlichen Meßgrößen – wie Blutdruck, Atmung und EKG – zeigen sie keine Reaktion. Nur beim EEG, mit dem die Hirnströme aufgezeichnet werden, verändert sich nach etwa zehn Minuten die Aktivität in den sogenannten Alpha- und Beta-Bändern. Es könnte also sein, daß das Gehirn sozusagen in Resonanz gerät mit dem Takt, in dem die Sfericspulse wiederholt werden. Da liegt der Verdacht nahe, daß es sich um ein Artefakt der Meßapparatur handelt, bei dem die EEG-Elektroden unmittelbar auf die magnetischen Felder reagieren. Allerdings lassen sich von einem Kürbis solche Ströme nicht ableiten, so daß es sich tatsächlich um einen biologischen Effekt handelt. Auch bleiben die Veränderungen im EEG länger als eine Viertelstunde bestehen, nachdem das simulierte Gewitter abgeschaltet wurde. Interessanterweise "schwingen" Menschen, die sich selbst als wetterfühlig einschätzen, noch länger "nach" als andere Personen.

Den Versuchspersonen wird die Reaktion ihres Gehirns nicht bewußt. Selbst bei einer Belohnung von 100 DM können sie nicht unterscheiden, ob sie den Sfericspulsen ausgesetzt wurden oder nicht. Nicht einmal die Gruppe von Migränepatientinnen, die subjektiv stark von ihrer Wetterfühligkeit überzeugt waren, sah sich dazu imstande. Auch litten sie in der Simulationskammer nicht etwa häufiger unter Migräneanfällen als sonst.

Bislang spielen Sferics in der Medizinmeteorologie keine bedeutsame Rolle. Auch ist das "hohe Alpha-Band" bei 11 bis 13 Hertz, in dem sich im EEG die stärksten Veränderungen zeigen, bisher vor allem mit Entspannung in Verbindung gebracht worden – von manchen Wissenschaftlern allerdings auch mit "Irritation". In einer weiteren Studie von Nicole Propson aus derselben Arbeitsgruppe im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft führen Migränepatientinnen Schmerztagebücher, mit denen sie herausfinden will, ob sich etwa eine Korrelation zwischen den Migräneanfällen und der natürlichen Sfericsaktivität ergibt. Sferics bieten jedenfalls einen vielversprechenden Ansatz, um das Phänomen der Wetterfühligkeit eines Tages auch wissenschaftlich erklären zu können.

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