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News: Wenn die Erde leise bebt

Ein Erdbeben, das man nicht spürte, ein Hangrutsch, den man nicht sah, und eine Katastrophe, die nie passierte - Geologen konnten zum ersten Mal ein "leises" Erdbeben aufzeichnen und könnten daraus vielleicht einmal ein Frühwarnsystem für Tsunamis entwickeln.
Am 2. November 2000 fiel auf Hawaii der Schulunterricht aus. Doch zum Surfen wird die freie Zeit wohl niemand genutzt haben, denn an diesem Vormittag schickte sich ein Unwetter an, alle Rekorde zu brechen.

Eine Woche später, am 8. November, hatte sich alles wieder beruhigt. Der ein oder andere wird an diesem Tag wieder auf die "perfekte Welle" gewartet haben und dabei nicht im Traum daran gedacht haben, dass als Folge des Unwetters gerade um ein Haar ein Tsunami ausgelöst worden wäre, der womöglich an der gesamten Pazifikküste von Chile bis Japan mit gigantischen Wellen unvorstellbare Verwüstungen angerichtet hätte.

Hätte, wäre, wenn – um dieses Szenario gleich wieder zu relativieren: Es ist überaus spekulativ. Denn eigentlich machten Peter Cervelli und seine Kollegen von der Stanford University in Kalifornien am Hawaiian Volcano Observatory des US Geological Survey nur kleine, fast unmerkliche Bewegungen aus.

Anhand von Satellitendaten stellten sie fest, dass sich an jenen Novembertagen innerhalb von 36 Stunden an der Südflanke des Vulkans Kilauea eine Fläche von 20 mal 10 Kilometern um fast neun Zentimeter nach Südosten Richtung Meer verschob.

Ein so genanntes aseismisches Erdbeben in 4,5 Kilometern Tiefe unterhalb des Vulkans hatte den Hang ins Rutschen gebracht. Die Bewegungen dieser "leisen" Erdbeben sind so langsam, dass sie die Erde nicht erzittern lassen und so auch keine seismischen Wellen aussenden. Dadurch waren sie bisher auch kaum nachweisbar. Erst die Genauigkeit der heutigen GPS-Geräte machte die Entdeckung möglich.

Auch die Auslöser dieser leisen Erdbeben sind weitgehend unbekannt. In diesem Fall mutmaßen die Geologen jedoch, dass es mit den starken Regenfällen in der Woche zuvor zusammenhängen könnte.

Demnach sickerte das Regenwasser langsam durch die Gesteinsschichten. Der Grundwasserspiegel stieg. Die zusätzlichen Wassermassen erhöhten den Druck in den unteren Stockwerken des Vulkans und aktivierten schließlich eine Störungsbahn.

Das Phänomen am Kilauea interessierte auch Steven Ward von der University of California in Santa Cruz - allerdings nicht so sehr das "Warum?", sondern vielmehr das "Was wäre, wenn?".

Was wäre, wenn ein Stück Hawaii schlagartig im Meer verschwände?

Die Gesteinsüberlieferungen verraten, dass die Flanken des Vulkans immer wieder einmal instabil werden und wegrutschen - wahrscheinlich alle 10 000 Jahre. Die Südflanke des Kilauea könnte also irgendwann - vielleicht bei dem nächsten leisen Erdbeben - nicht nach ein paar Zentimetern wieder zur Ruhe kommen, sondern gleich ganz ins Meer gleiten.

Wards hatte bereits eine Computersimulation solcher Katastrophen entwickelt. Basierend auf den Beobachtungen von Cervelli und seinen Kollegen ließ er nun 2000 Kubikkilometer hawaiisches Vulkangestein in einem Rutsch im Pazifischen Ozean versinken. Das simulierte Ergebnis war eine Flutwelle, die alle historischen Tsunamis in den Schatten stellte.

Solche Tsunamis können mit bis zu 20 Meter hohen und 600 Kilometern pro Stunde schnell werdenden Wellen ganze Küstenstriche verwüsten. Meist kommen sie so überraschend, dass Evakuierungs- und Sicherungsmaßnahmen unmöglich sind.

Die Geologen hoffen nun, dass sie mit der Satellitenüberwachung von Vulkaninseln ein Frühwarnsystem für solche Flutkatastrophen entwickeln und so im Falle eines Falles zumindest ein bisschen mehr Zeit gewinnen können.

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