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Tierornat: Wenn Schwalben rot sehen

Es ist eine alte Klage: Kaum verheiratet, sinkt oft auch schon das Interesse am eigenen Äußeren, und es beginnt - nennen wir es ruhig so - eine leichte Verwahrlosung. Doch dieser Schuss könnte nach hinten losgehen - zumindest bei Rauchschwalben.
Rauchschwalbe
Pflegen wir mal Klischees: Sie kommt geschafft von der Arbeit nach Hause und will reden, er aber sitzt bereits schmerbäuchig in Unterhose und fleckigem Unterhemd mit der Bierflasche auf dem Sofa und sieht ein unbedeutendes Zweitligafußballspiel im Fernsehen, während sich in der Küche der Abwasch stapelt, die Kinder nörgeln und die geschnittenen Fußnägel im Waschbecken liegen. Wo ist jener Adonis hin verschwunden, in den sie sich einst verliebt hatte?

Rauchschwalben im Vergleich | Männliche Rauchschwalben dürfen sich auch nach der Verpaarung nicht gehen lassen – die Weibchen sind sonst schnell zum Seitensprung bereit. Entscheidend für Erfolg und Treue ist die Rotfärbung des Gefieders: Je intensiver und ausgeprägter sie ist, desto eher bindet das Männchen seine Partnerin fest an sich und desto mehr Nachwuchs zeugt er.
Oder er ist erledigt vom harten Büroalltag und will sich in ihre Arme stürzen, um wenigstens hier etwas Zuneigung zu erfahren, die ihm sein Chef verwehrt – doch die ehemalige Schulschönheit sitzt nun mit herunterhängenden Mundwinkeln im Wohnzimmer, die Lockenwickler im Haar, den Morgenmantel um die Schultern, vor sich einen überquellenden Aschenbecher, das Abendessen angebrannt.

Ein Fall für den Eheberater? Oder gleich den Scheidungsrichter? Vielleicht tut es ja auch zum vergnüglichen Ausgleich ein feuriger Latin Lover oder eine rassige Blondine – eventuell noch vorhandene innere Werte der Angetrauten hin oder her. Wohl in der Art denken zumindest weibliche Rauchschwalben (Hirundo rustica erythrogaster), wie jetzt eine Verhaltensstudie von Rebecca Safran von der Cornell-Universität mit ihren Kollegen nachgewiesen hat.

"Die schlechte Nachricht für die Schwalbenmänner ist: Das Paarungsspiel ist nie vorüber"
(Rebecca Safran)
Natürlich achten die Vögel bereits bei Balz und Paarung auf die äußerliche Ausstattung ihrer potenziellen Partner: Ist er attraktiv? Vermittelt er über sein Gefieder körperliche Fitness? Deutet seine kräftige Färbung hohe Gen-Qualität an? Ist dies der Fall, so darf sich das Männchen fortpflanzen und auf Weitergabe seines Erbguts hoffen.

Aber wehe, er pflegt nicht auch weiterhin sein Federkleid, denn mit der Kopulation ist der Konkurrenzwettbewerb lange nicht ausgestanden: Die zukünftige Mutter hält auch nach erfolgreicher Befruchtung die Augen offen – immer willens, den ursprünglich Vermählten gegen einen noch besser Aussehenden einzutauschen.

Schwalbe wird markiert | Um Treue und Erfolg der Schwalben auf die Probe zu stellen, markierten die Forscher die Männchen mit Farbstiften und entnahmen ihnen DNA-Proben: Und tatsächlich waren die rot markierten Tiere erfolgreicher.
Der Schlüssel zum Erfolg – oder Misserfolg – der Väter ist dabei nach den Erkenntnissen der Ornithologen die rötlich-braune Färbung der Kehle, die je nach Tier von einer sehr blassen Tönung bis hin zu einem äußerst kräftigen und dunklen Rostrot reichen kann. Um dies zu testen, entfernten die Forscher nach erfolgter Paarfindung und dem Nistbeginn die Eier aus den Nestern der beobachteten Schwalbenkolonie, um die Vögel zu einer neuerlichen Brut zu veranlassen.

Noch vor dem Geschlechtsverkehr fingen sie jedoch alle vorhandenen Männchen, zapften ihnen Blutproben für DNA-Analysen ab und unterzogen sie einer von drei Behandlungen: Nach dem Zufallsprinzip wurden bei einem Teil von ihnen mit einem dunkelroten Farbstoff die Kehl-, Brust- und Bauchfedern besonders betont, sodass sie an Attraktivität zunahmen. Die anderen wurden entweder gar nicht markiert oder mit einem für das menschliche Auge durchsichtigen Marker behandelt, um Verfälschungen durch den Kolorierungsprozess an sich auszuschließen.

"Die Studie zeigt, dass Weibchen stets akkurat auf diese Signale achten. Und sie reagieren schnell auf Änderungen des Äußeren ihres Partners"
(Rebecca Safran)
Vordergründig blieben danach alle Weibchen mit ihrem ursprünglichen Erst-Partner liiert – Schwalben sind eigentlich sozial monogam –, doch kam es hinter deren Rücken nun häufiger zu befruchtenden Liaisons mit intensiver gefärbten Artgenossen. Denn wie DNA-Vergleiche der Eier respektive Nestlinge beider Bruten zeigten, zeugten die Prachtmännchen nun überdurchschnittlich mehr Küken als zuvor und als es ihnen ursprünglich zugestanden hätte – die energieaufwändige Wahrung eines schicken Federkleids zahlte sich also aus. Dagegen betreuten die Durchschnittstypen jetzt maximal genauso viele, meist jedoch weniger eigene Nachkommen wie noch bei der ersten Eiablage.

Das bedeutete allerdings nicht zwangsläufig, dass diese gehörnten Partner dann auch von den Pflichten der Nachwuchsversorgung befreit worden wären: Der bevorzugte Schönling übernimmt dies mitnichten. Vielmehr muss der Betrogene häufig ein bis mehrere Kuckuckskinder großziehen – ohne dies zu wissen natürlich –, da sich der ehrgeizige Gigolo trotz seiner vielfältigen sexuellen Kontakte dennoch nur um eine einzige Brut kümmern kann.

Für alle, die Äußeres als oberflächlich betrachten und die den Glauben an den Erfolg innerer Werte noch nicht aufgegeben haben, gibt es allerdings noch immer Tröstliches: Bei amerikanischen Grasammern (Passerculus sandwichensis) haben nämlich in der nächsten Brutsaison die Männchen größeren Erfolg und dürfen mehr Nachwuchs zeugen, die sich in der vorhergehenden Periode als fleißige, sich aufopfernd kümmernde Väter erwiesen haben. Doch: Auch hier ist Fremdgehen nicht gänzlich ausgeschlossen.

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