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Verhaltensforschung: Wenn zwei sich streiten ...

Schwarzes Gefieder, krächzende Stimme, Singvogelküken und Aas im Beutespektrum: Kein Wunder, dass Raben und Krähen eher schlecht beleumundet sind. Dabei pflegen sie ein äußerst komplexes Sozialwesen - inklusive Mediatoren.
Tête-à-Tête bei Saatkrähen
Jetzt im Winter suchen sie wieder Deutschlands lebenswerte Städte auf: Tausende von Saatkrähen (Corvus frugilegus) ziehen aus Osteuropa zu uns, um hier die vermeintlich harte Jahreszeit in den mit Nahrung reichlich gesegneten Metropolen der Republik zu überdauern. Wenn die Rabenvögel dann abends zahlreich von Müllkippen, Kläranlagen oder abgeernteten Feldern zu ihren Schlafplätzen in hohen Bäumen oder auf Hochhausdächern ziehen, dabei rau krächzend den Himmel leicht verdunkeln, wirft so mancher Zeitgenosse einen ängstlichen oder geringschätzigen Blick nach oben – Hitchcocks Gruselklassiker "Die Vögel" lässt dezent grüßen.

Saatkrähen beim Schnäbeln | Nach Konflikten suchen Saatkrähen die Nähe ihrer Partner, um sich wieder zu beruhigen.
Rabenkrähen schlägt allerdings völlig zu Unrecht Verachtung entgegen, denn wider aller Vorurteile sind sie unschuldig am Singvogelschwund – zu denen sie übrigens selbst zählen –, auch wenn sie gelegentlich ein Nest plündern. Sie töten keine Lämmer oder Kälber, sondern vertilgen als Aasfresser allenfalls deren Nachgeburt oder bereits verendete Jungtiere. Und sie vermehren sich nicht ungezügelt, wie die winterlich umherstreifenden Schwärme vielleicht glauben machen. Gerade diese zeitlichen Versammlungen belegen ganz im Gegenteil, wie sozial und lernfähig die Tiere sind, denn die Gemeinschaft bietet ihnen mehr Sicherheit vor Feinden, informiert über lukrative Nahrungsgründe und dient als Kontaktbörse für ergiebige Partnerschaften.

Wie bei gruppendynamischen Prozessen aber oft üblich kann zu enger Kontakt zu Nachbarn, Nebenbuhlern oder allzu forschen Neuankömmlingen Stress und stressbedingte Konflikte provozieren, die mittels Schnabelhieben, Federzupfen oder Luftattacken ausgefochten werden. Muss der Unterlegene dann jedoch des Feld räumen, wie bei Machtkämpfen anderer Arten oft üblich? Oder darf er begnadigt weiterhin an der vorhandenen Sozialpartnerschaft partizipieren? Und wie wird zukünftigen Kalamitäten in der Sippschaft vorgebeugt?

Bisherige Arbeiten hatten sich ausschließlich dem Konfliktmanagement bei Primaten gewidmet, aber noch keiner hat bei den ähnlich gemeinschaftlich veranlagten Rabenvögeln nachgesehen. Amanda Seed, Nicola Clayton sowie Nathan Emery von der Universität Cambridge beobachteten deshalb eine Volieren-Kolonie bestehend aus vier Krähenpärchen sowie zwei dazu gehörigen Weibchen, in der es wie in der Wildnis zu Streitigkeiten bezüglich Hierarchie, Futter oder Fortpflanzung kam. Bei vielen sozial lebenden Affen nähern sich nach derartig disharmonischen Ausbrüchen die beteiligten Parteien einander wieder an, indem der Unterlegene etwa devot ein versöhnliches Lausen anbietet oder sich anderweitig anbiedert. Bei den Saatkrähen jedoch mieden sich die Kontrahenten: Aussöhnung Fehlanzeige.

Trotzdem sank die Stimmung in der Vogelgruppe nicht in den Keller, da nun Mediatoren ans Werk gingen – unbeteiligte dritte Tiere, die meist mit einem der beiden Unruhestifter liiert waren. Innerhalb von ein bis zwei Minuten, nachdem der Disput ausgefochten war, näherten sie sich ihrem eben noch so cholerisch veranlagten Partner und umgarnten ihn mit zärtlichem Schnäbeln oder dem Austausch von Futter und gemeinsamem Fressen. Manchmal spielten sie zusammen mit einem Stöckchen oder Stein, und bisweilen balzten sie sogar, ohne nachfolgend zu kopulieren. Die Initiative zu diesen beziehungsinternen Beruhigungsmaßnahmen ging dabei sowohl bei den Aggressoren als auch bei den Attackierten in den meisten Fällen von jeweils beiden Tieren gleichermaßen aus – ein Verhalten, das die Forscher wesentlich häufiger nach Kämpfen als in anderen Situationen beobachteten.

Damit fällt die Versöhnung zwischen den eigentlichen Opponenten flach. Zumindest bei Primaten spielt sie dagegen eine wichtige Rolle, da sie Stresssymptome wie Herzrasen oder erhöhte Hormonspiegel lindert und die sozialen Bindungen wieder festigt, die zur Verteidigung etwa des Nachwuchses gegen äußere Feinde nötig sind. Die Saatkrähen benötigen aber diese harmonischen Bedingungen in ihrer Kolonie weniger, da sie ihr Brutgeschäft einzig mit ihrem lebenslangen Partner abwickeln und somit kaum auf Hilfe von außen angewiesen sind. Allerdings, so Seed und ihre Kollegen, müssen anscheinend auch die Vögel nach dem Kampf Stress abbauen, was beruhigendes Schnabelkreuzen leistet. Zudem zeige dieser Austausch von Zärtlichkeiten der Konkurrenz, dass nichts das Pärchen auseinanderbringen könne und Partnertausch folglich ausscheidet.

Dennoch profitieren alle von den jeweiligen Streicheleinheiten, denn mit dem geminderten Stresspegel sinkt insgesamt das Aggressionspotenzial und steigt die Harmonie in der Kolonie, was letztlich den Bruterfolg mehrt und die Sicherheit erhöht. Denn anstelle des internen Kleinkriegs kann sich die Aufmerksamkeit auf Feinde von außen richten – was letztlich den evolutionären Erfolg von bestimmten Affen wie Rabenvögeln mit erklären könnte.

In einem unterscheiden sich die Saatkrähen jedoch deutlich von ähnlich sozial lebenden Primaten – inklusive unsereiner: Sie gehen mit ihrem jeweiligen Lebensgefährten äußerst pfleglich um, denn die Wissenschaftler beobachteten keinen einzigen Streit zwischen einander innig verbundenen Männchen und Weibchen. Vielleicht ein Grund mehr, etwaige Vorurteile gegenüber den schwarzen Gesellen abzulegen.

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