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Kooperation: Wer darf an der Kasse vor?

"Bitte, geh'n S' doch vor!" Wen wir an der Kasse vorlassen und wen nicht, zeigt, wie sich unsere Kooperationsfähigkeit entwickelte: Welchen Nutzen ziehen wir aus Hilfsbereitschaft?
Schlange im Supermarkt

Wer an der Kasse vorgelassen werden möchte, sollte sich darum bemühen, bei anderen einen besonders soliden Eindruck zu hinterlassen – eine Flasche Bier in der Hand ist in diesem Sinn eher kontraproduktiv. So weit die ganz praktischen Erkenntnisse aus einer Studie von Psychologen der Technischen Universität Braunschweig. Die Forscher haben untersucht, unter welchen Bedingungen Supermarktkunden einen Hintermann in der Schlange vorlassen.

Daraus erhoffen sie sich Informationen über die Evolution der Kooperation. Denn aus biologischer Sicht ist es im Grunde genommen unverständlich, dass Menschen einem Fremden helfen, dem sie voraussichtlich niemals wieder begegnen werden. Doch die Bedingungen, unter denen Menschen typischerweise Hilfsbereitschaft zeigen, legen nahe, dass in solchen Fällen andere Mechanismen greifen, zum Beispiel die der "indirekten Reziprozität": Wir helfen bevorzugt den Personen, die wir für hilfsbereit halten. So besteht Aussicht, über Umwege selbst noch von der eigenen Tat zu profitieren.

Dass solche unbewussten Annahmen das Verhalten an der Supermarktkasse steuern, ist auch das Ergebnis der Studie von Florian Lange und Frank Eggert. Insgesamt 60-mal schickten sie einen eingeweihten Lockvogel in die Kassenschlange, mal trug er nur eine Flasche Wasser, mal nur eine Flasche Bier. Die Forscher beobachteten zweierlei: Je umfangreicher der Vordermann oder die Vorderfrau eingekauft hatte, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie den Hintermann vorließ. Die Kunden nahmen die zusätzliche Wartezeit also vermehrt dann in Kauf, wenn es sich für den Lockvogel besonders lohnte. Aus Sicht des Helfers werden in solchen Fällen die eigenen Kosten (das zusätzliche Warten) durch den Nutzen aufgewogen, mit einer besonders hilfreichen Tat in das indirekte Reziprozitätssystem einzahlen zu können.

Zweitens stellten sie fest, dass das Ansehen des Lockvogels bei den Kunden die Chance auf Großzügigkeit beeinflusste. Bier kaufende Lockvögel wurden im Schnitt seltener vorgelassen als die Wasserkäufer. Auch dies lässt sich im Sinn der indirekten Reziprozität deuten: Aus anderen Studien wisse man, dass "Biertrinker oftmals als verantwortungslos und charakterlos" eingestuft würden, erklären die Forscher in einer vom Journal herausgegebenen Mitteilung. Wer das so empfindet, nimmt Biertrinker vermutlich auch als weniger hilfsbereit wahr. Und folglich sollte die Neigung, diesen Menschen zu helfen, geringer ausfallen.

Die Untersuchungen seien ein erster Schritt, um das wechselseitige Geben und Nehmen in Supermarkt und Gesellschaft zu erforschen. Wie ihre Studie zeige, lasse sich kooperatives Verhalten auch in Feldversuchen in der "freien Wildbahn" studieren statt wie sonst häufig in nachgebauten Laborsituationen.

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