Widerstandskraft: Wer den Viren trotzt
Sich Viren in die Nase träufeln zu lassen, ob für Geld oder im Dienst der Wissenschaft: Das klingt ein wenig verrückt. Und doch finden der Psychologe Sheldon Cohen und seine Kollegen vom Common Cold Project immer wieder Freiwillige, die sich Krankheitserreger verabreichen lassen. Seit mehr als 30 Jahren untersucht das Team von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, woran es liegt, dass manche Menschen einem Virus trotzen und andere nicht. Ihre Erkenntnisse könnten Anhaltspunkte zum Schutz vor Covid-19 liefern, schreibt Cohen nun in einem Forschungsüberblick.
Er und seine Kollegen hatten wiederholt gesunden Freiwilligen Krankheitserreger verabreicht, darunter neben Schnupfen- und Grippeviren auch harmlose Coronaviren, die anders als Sars-CoV-2 schon lange verbreitet sind. Danach blieben die Versuchspersonen fünf bis sechs Tage in Quarantäne. Täglich entnahm man ihnen Nasensekret, prüfte die Viruslast und fragte nach typischen Beschwerden. Außerdem wurde das Blut sowohl vor der Quarantäne als auch vier Wochen später unter anderem auf Antikörper geprüft. Ergebnis: Bei 70 bis 85 Prozent (je nach Virus) ließ sich eine Infektion nachweisen. Aber nur 25 bis 40 Prozent entwickelten Beschwerden in den oberen Atemwegen, zum Beispiel Halsschmerzen oder eine laufende Nase.
In einer Studie bekamen die Versuchspersonen Rhinoviren in die Nase getropft. Hatten sie in den zwei Wochen zuvor weniger als sieben Stunden pro Nacht geschlafen, lag ihr Risiko, eine Erkältung zu bekommen, knapp dreimal so hoch wie nach durchschnittlich acht Stunden Schlaf. Außerdem entwickelten die Versuchspersonen rund doppelt so oft eine Erkältung, wenn sie weniger als zweimal pro Woche Sport trieben. Gesunder Schlaf und Sport könnten Entzündungsreaktionen mildern, erläutert Cohen.
Der Einfluss der Psyche auf die Atemwege werde vermutlich ebenfalls über Entzündungsreaktionen vermittelt, wie er weiter darlegt. Zum einen bei chronischem Stress: Wer davon berichtete, erkrankte eher an den verabreichten Viren und hatte vermehrt proinflammatorische Zytokine im Blut, einen Entzündungsmarker, der auch an (schweren) Covid-19-Erkrankungen beteiligt ist.
Zum anderen hilft offenbar das Gefühl, sozial eingebunden zu sein. In einem Experiment an 276 gesunden Freiwilligen zeigte sich: Je mehr soziale Rollen sie in ihrem Leben ausfüllten – zum Beispiel als Eltern, Partner oder Kollegen –, desto weniger anfällig waren sie für Rhinoviren, auch bei gleicher Zahl an Kontakten. Wer nur eine bis drei Rollen innehatte, erkrankte rund viermal häufiger an Erkältungsbeschwerden als eine Person mit sechs oder mehr sozialen Rollen. Das Erleben von sozialer Unterstützung senke das Level an Entzündungsmarkern und sei ein universaler Stresspuffer, erklärt Cohen.
Der Psychologe hält es deshalb für denkbar, dass die soziale Isolation im Zuge der Corona-Maßnahmen anfälliger für Infektionen macht. Eine gestörte Regulation der proinflammatorischen Zytokine spielt bei Covid-19 eine wichtige Rolle: Gelingt es nicht, die Zytokinantwort zu stoppen, entwickeln sich Entzündungen, die zum Tod führen können. Cohen betont allerdings, die Ergebnisse aus dem Common Cold Project seien nicht direkt auf Covid-19 übertragbar, sondern lieferten lediglich Anhaltspunkte.
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