Psychologie: Wer glaubt, sich zu wenig zu bewegen, stirbt früher
Wer den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt und sich auch danach kaum bewegt, tut seiner Gesundheit vermutlich nichts Gutes. Doch auch der pure Glaube, man bekäme zu wenig Bewegung, kann möglicherweise schon negative Konsequenzen haben, schreiben Octavia H. Zahrt und Alia J. Crum von der Stanford University im Fachmagazin »Health Psychology«. Die Wissenschaftlerinnen werteten die Daten von drei repräsentativen Gesundheitsstudien aus den USA mit insgesamt mehr als 60 000 Teilnehmern aus. In zwei der Erhebungen mussten die Teilnehmer ihre körperliche Ertüchtigung selbst einschätzen, anhand von Fragen wie: »Würden Sie sagen, dass Sie sich weniger, mehr oder genauso viel wie Gleichaltrige bewegen?« Außerdem wurden sie detailliert zu sämtlichen sportlichen und Bewegungsaktivitäten befragt. Im Rahmen der dritten Untersuchung statteten Forscher die Probanden zusätzlich eine Woche lang mit Beschleunigungssensoren aus, die Rückschlüsse auf die tatsächliche körperliche Aktivität geben sollten. Die Datenerhebung erfolgte zwischen 1990 und 2006. Im Jahr 2011 kontrollierten die Wissenschaftlerinnen, welche Versuchspersonen zwischenzeitlich gestorben waren.
Dabei stießen Zahrt und Crum auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen wahrgenommener körperlicher Aktivität und Sterberisiko: Jene Teilnehmer, die der Meinung waren, sie würden sich im Vergleich zu anderen Menschen in ihrem Alter zu wenig bewegen, hatten ein 71 Prozent höheres Risiko, das Ende des Beobachtungszeitraums nicht mehr zu erleben. Dieses Ergebnis blieb auch dann bestehen, als die Forscherinnen den Einfluss weiterer Faktoren miteinbezogen wie das Alter der Teilnehmer, das Geschlecht, den Bildungsabschluss, das Einkommen, den Zugang zu medizinischen Einrichtungen, körperliche und psychische Vorerkrankungen und sogar das tatsächliche Bewegungsverhalten der Teilnehmer. Aber selbst wenn diese sich in Wahrheit gar nicht weniger bewegten als andere Probanden ihres Alters, blieb die negative Selbsteinschätzung mit einer kürzeren Lebenserwartung verknüpft.
Ob beides auch über eine Ursache-Wirkungs-Beziehung miteinander verbunden ist, bleibt allerdings unklar. Streng genommen könnten eine ganze Reihe von Faktoren für den beobachteten Zusammenhang verantwortlich sein, und es ist nahezu unmöglich, sie alle ausreichend zu berücksichtigen. Es gibt aber auch andere Untersuchungen, die auf ähnliche Verbindungen zwischen Gesundheit und Selbstwahrnehmung gestoßen sind. So scheinen etwa Menschen, die sich selbst zu dick finden, eher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden, selbst wenn sie eigentlich Normalgewicht haben.
Sollte es sich bei solchen Beobachtungen tatsächlich um kausale Beziehungen handeln, könnte im Fall der selbst ernannten Bewegungsmuffel vielleicht ein Versagen des Placeboeffekts eine Rolle spielen, spekulieren Zahrt und Crum. Jemand, der nicht glaube, dass er sich genug bewege, profitiere möglicherweise auch nicht im selben Ausmaß von den positiven psychologischen Nebeneffekten körperlicher Ertüchtigung. Zudem könnten die Betroffenen schneller in Selbstzweifel und Depression verfallen, was wiederum körperliche Leiden begünstigt. In jedem Fall sei es wichtig, sich klarzumachen, dass nicht nur Jogging und Fitnessstudiobesuche als "Bewegung" zählten, meinen die Forscherinnen. Auch regelmäßige Spaziergänge oder eine physisch fordernde Arbeit seien als körperliche Betätigung zu werten.
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