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Afantasie: Wer keine Vorstellungskraft besitzt, erschrickt nicht so leicht

Menschen mit Afantasie fehlt die Fähigkeit, sich Dinge bildlich vorzustellen. Im Labor setzten Forscher Betroffenen nun Horrorgeschichten vor – und erlebten eine Überraschung.
Unheimlicher Wald

Menschen mit Afantasie sind auf dem inneren Auge blind: Sie können sich Dinge nicht bildlich vorstellen – selbst wenn es dabei um so etwas Vertrautes wie das Gesicht des Partners oder die eigene Wohnzimmereinrichtung geht. Das Phänomen ist wohl recht selten: Schätzungsweise zwei Prozent der Bevölkerung sind betroffen.

Ein Team um Marcus Wicken von der University of New South Wales in Sydney hat nun entdeckt, dass sich Menschen mit Afantasie nicht nur hinsichtlich ihrer geistigen Visualiserungsfähigkeiten von anderen unterscheiden: Offenbar lassen sie sich auch nicht so leicht durch Horrorgeschichten erschrecken.

Die Wissenschaftler rekrutierten für ihren Versuch 46 Versuchspersonen, von denen knapp die Hälfte über keinerlei bildliche Vorstellungskraft verfügte. Die Probanden mussten allein in einem dunklen Raum Platz nehmen. Nach kurzer Zeit bekamen sie auf einem Bildschirm eine Geschichte in Textform präsentiert. Die fing zunächst harmlos an, wurde dann aber immer spannender und unheimlicher. In manchen Geschichten ging es um eine Flugreise – die sich plötzlich in einen Albtraum verwandelte, als das Licht in der Kabine zu flackern und alles zu wackeln begann. Andere lasen hingegen von einem Strandausflug, bei dem die Urlauber im Wasser von Haien überrascht wurden.

Mittels Elektroden, die zuvor an der Haut angebracht worden waren, beobachteten die Forscher währenddessen die physiologischen Reaktionen ihrer Teilnehmer: Fürchtet sich jemand oder ist gestresst, nimmt die Hautleitfähigkeit in aller Regel zu. Genau diese Reaktion konnten Wicken und seine Kollegen bei Personen mit normaler Vorstellungskraft deutlich beobachten. Anders sah es bei Teilnehmern mit Afantasie aus. Diese ließen die Geschichten offenbar völlig kalt.

Um sicherzustellen, dass die Unterschiede nicht daher rührten, dass die Teilnehmer mit Afantasie allgemein weniger schreckhaft waren, bekamen die Versuchspersonen die Geschichten in einem zweiten Versuchsdurchlauf in Form von Bildern zu sehen. Nun gerieten auch die Probanden ohne Vorstellungsvermögen ins Schwitzen.

Die Ergebnisse zeigten, dass unsere bildliche Vorstellungskraft einen größeren Einfluss auf unsere Emotionen habe als angenommen, sagt Studienautor Joel Pearson in einer Pressemitteilung der Universität. »Das ist bei Weitem der größte Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Afantasie, den wir bislang in unseren Untersuchungen gefunden haben.«

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