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Covid-19: Werden Antikörpertests alles verändern?

Antikörpertestes, so hoffen viele, könnten Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen endlich ein Ende setzen. Doch dafür müssen die Tests noch deutlich besser werden.
Arzt mit Blutprobe in der Hand

Der britische Premierminister Boris Johnson hat sie einen »game changer« genannt – und mit dieser Ansicht ist er nicht allein: Viele blicken derzeit hoffnungsvoll auf Antikörpertests, die das Potenzial bergen, uns ein Stück Normalität zurückzugeben, indem sie aufzeigen, wer dem neuen Coronavirus bereits ausgesetzt war und nun womöglich immun ist.

Dutzende von Biotech-Unternehmen und -Forschungslaboren haben die Bluttests in Eile produziert. Und Regierungen auf der ganzen Welt haben Millionen von Kits geordert, in der Hoffnung, sie könnten bei der Entscheidung helfen, wann Kontaktbeschränkungen gelockert werden und die Menschen wieder arbeiten gehen können. Manche schlugen sogar vor, die Tests wie eine Art »Immunitätspass« zu nutzen, der es seinem Besitzer erlaubt, wieder mit anderen zu interagieren.

Viele Wissenschaftler teilen diesen Enthusiasmus. Das Ziel sei zunächst ein Test, der Gesundheitspersonal und Menschen in anderen wichtigen Berufen verrät, ob sie nach wie vor dem Risiko einer Infektion ausgesetzt sind, sagt David Smith, klinischer Virologe an der University of Western Australia in Perth. In Zukunft könnten die Tests dann auch dabei helfen zu beurteilen, ob ein in der Entwicklung befindlicher Impfstoff Menschen tatsächlich Immunität verleihen.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Doch wie bei den meisten neuen Errungenschaften gibt es auch bei den Covid-19-Antikörpertests Anzeichen dafür, dass sie ihr Versprechen möglicherweise nicht halten können – und dass die Herausforderungen bei der Entwicklung größer sind als angenommen. So sind viele der Test-Kits, die den Markt geflutet haben, nicht genau genug, um mit Sicherheit festzustellen, ob eine Person mit dem Virus Kontakt hatte. Und selbst wenn Tests zuverlässig sind, verraten sie laut Wissenschaftlern nicht, ob jemand wirklich vor einer erneuten Ansteckung gefeit ist. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Kits so nützlich sind wie erhofft, sagt Smith. »Die Länder sind immer noch dabei, Daten zu sammeln.«

Die britische Regierung musste das auf die harte Tour lernen, nachdem sie Ende März 3,5 Millionen Tests bei mehreren Unternehmen bestellt hatte, nur um später festzustellen, dass keiner dieser Tests gut genug funktionierte. »Keinen Test zu haben ist besser, als einen schlechten Test zu haben«, sagt Michael Busch, Direktor des Vitalant Research Institute in San Francisco.

Antikörpertests werden zudem weltweit von Forschern eingesetzt, um das Ausmaß von Coronavirusinfektionen auf Bevölkerungsebene einzuschätzen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil vielerorts nicht genug auf das Virus getestet wird und Menschen, die leichte oder gar keine Symptome haben, oft aus den offiziellen Fallstatistiken herausfallen. Mehr als ein Dutzend Arbeitsgruppen führen solche Untersuchungen durch, bei denen meist ein kleiner Teil der Bevölkerung getestet wird, um dann auf das Infektionsgeschehen in der breiten Masse zu schließen.

Covid-19 Was hinter den Coronatests steckt

Veröffentlicht am: 24.04.2020

Laufzeit: 0:03:03

Sprache: englisch mit deutschen UT

Scientific American ist eine der ältesten populärwissenschaftlichen Zeitschriften.

Vom Labortest bis zum Selbsttest für daheim

Wenn Viren in den Körper eindringen, produziert das Immunsystem Antikörper, um die Krankheitserreger zu bekämpfen. Test-Kits weisen das Vorhandensein dieser Antikörper nach. Dazu nutzen sie Bestandteile des Virus, so genannte Antigene. Grundsätzlich lassen sich solche Tests in zwei Kategorien einteilen: Labortests, die von geschultem Personal durchgeführt werden müssen und die rund einen Tag in Anspruch nehmen, und Point-of-care-Tests, die oft auch als »Schnelltests« bezeichnet werden, da sie direkt vor Ort innerhalb von 15 bis 30 Minuten ein Ergebnis liefern. Inzwischen bieten mehrere Unternehmen, darunter Premier Biotech in den Vereinigten Staaten und Autobio Diagnostics mit Sitz in China, Point-of-care-Kits an, die medizinischem Fachpersonal dazu dienen sollen, zu überprüfen, ob jemand in der Vergangenheit bereits einmal Kontakt mit dem Virus hatte. Manche Hersteller vermarkten sie allerdings auch schon als Selbsttest für daheim.

Da Antiköpertests nicht das Virus selbst nachweisen, taugen sie nach Aussage von Gesundheitsbehörden nur begrenzt zur Diagnose von aktiven Infektionen. In manchen Ländern wie zum Beispiel in den USA und Australien werden sie dennoch in einigen Fällen bei Patienten eingesetzt, bei denen der Verdacht auf Covid-19 besteht, der Standard-PCR-Test (der das Erbgut des Virus nachweist) jedoch negativ ausgefallen ist, sagt Smith. (So hat etwa eine Studie von Forschern des Shenzhen Third People's Hospital in China gezeigt, dass PCR-Tests nicht immer alle Patienten aufspüren, die mit dem Virus infiziert sind.)

»Keinen Test zu haben ist besser, als einen schlechten Test zu haben«
Michael Busch, Direktor des Vitalant Research Institute in San Francisco

In Studien mit Menschen, die Covid-19 bereits hinter sich haben, stießen Forscher auf drei Arten von Sars-CoV-2-spezifischen Antikörpern. Hersteller und Forschungsinstitute haben inzwischen Tests entwickelt, die diese Antikörper finden. Das deutsche Unternehmen Euroimmun hat beispielsweise einen Labortest entwickelt, der Sars-CoV-2-spezifische Immunglobulin-G- und Immunglobulin-A-Antikörper nachweist.

Auf Grund der aktuellen Notlage hat die US Food and Drug Administration (FDA) die Regeln für den Einsatz solcher Tests gelockert. Ihre Verwendung in Laboren und durch medizinisches Personal zur Diagnose einer aktiven Infektion ist nun erlaubt – mit dem Hinweis, dass sie nicht durch die FDA geprüft wurden und die Ergebnisse nicht die einzige Grundlage für die Diagnosestellung bilden sollten. In Australien gelten ähnliche Regeln.

Smith findet diese Maßnahmen angesichts der Pandemie angemessen. Schließlich könnten Antikörpertests an Menschen, die möglicherweise gerade mit Sars-CoV-2 infiziert sind, ein wichtiger Teil des Patientenmanagements in Krankenhäusern sein und bei der Ermittlung von Kontaktpersonen helfen, auch wenn die Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden müssten.

Die Zuverlässigkeit vieler Tests ist zu gering

Ein Problem der Tests sei, dass die meisten Kits nicht intensiv genug getestet wurden, um ihre Zuverlässigkeit zu gewährleisten, erklärt Busch. Die Kits müssen dafür an großen Gruppen von Menschen getestet werden: Hunderte von Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren, und Hunderte von Menschen, die bislang verschont geblieben sind, sagt Peter Collignon, Arzt und Labormikrobiologe an der Australian National University in Canberra. Bisher wurden die meisten Tests aber nur an wenigen Dutzend Probanden getestet, weil sie schnell auf den Markt kommen sollten.

Viele der aktuell verfügbaren Tests sind vermutlich nicht genau genug, um Personen, die die Krankheit bereits hatten, sicher zu identifizieren; eine Eigenschaft, die auch als Testsensitivität bezeichnet wird. Ebenso unzuverlässig spüren sie Menschen auf, die noch nicht infiziert wurden, was als Spezifität eines medizinischen Tests gilt. Ein qualitativ hochwertiger Test sollte eine Sensitivität und eine Spezifität von mindestens 99 Prozent erreichen, sagt Collignon. Das bedeutet, dass ein Test nur etwa ein falsch positives und ein falsch negatives Ergebnis pro 100 wahr positiver und wahr negativer Ergebnisse liefern sollte.

Einige kommerzielle Antikörpertests weisen jedoch zu Beginn der Infektion lediglich eine Spezifität von 40 Prozent auf. In einer Analyse von neun kommerziellen Tests, die derzeit in Dänemark verfügbar sind, hatten drei Labortests eine Sensitivität von 67 bis 93 Prozent und eine Spezifität von 93 bis 100 Prozent. Fünf von sechs Point-of-care-Tests wiesen eine Sensitivität von 80 bis 93 Prozent auf und eine Spezifität von 80 bis 100 Prozent, doch manche Kits wurden dabei an weniger als 30 Personen getestet. Insgesamt verbesserte sich die Sensitivität aller Tests im Lauf der Zeit, wobei sie die höchste Genauigkeit zwei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome erzielten. Manche der Tests kommen auch in anderen Ländern zum Einsatz, unter anderem in Deutschland und Australien.

Point-of-care-Tests seien grundsätzlich unzuverlässiger als Labortests, erklärt Smith. Das hängt damit zusammen, dass sie oft eine kleinere Menge an Blut verwenden – typischerweise von einem Stich in den Finger – und in einer weniger kontrollierten Umgebung als in einem Labor durchgeführt werden, was ihre Leistung beeinträchtigen kann. Die WHO empfiehlt deshalb, Point-of-care-Tests nur für Forschungszwecke einzusetzen.

Eine Variable, welche die Genauigkeit beider Testarten beeinflusst, ist das Timing der Untersuchung. Wird ein Test zu früh nach der Ansteckung durchgeführt, hatte der Körper womöglich noch keine Zeit, Antikörper zu bilden. Eine Infektion kann dann leicht übersehen werden. Doch noch wissen Forscher zu wenig darüber, wann die Immunreaktion des Körpers auf Sars-CoV-2 beginnt, um sagen zu können, wann sich spezifische Antikörper genau entwickeln.

Falsch positive Ergebnisse können hingegen auftauchen, wenn ein Test ein Antigen verwendet, das nicht nur Antikörper erkennt, die zur Bekämpfung von Sars-CoV-2 vom Körper gebildet werden, erklärt Smith. Eine Analyse des Antikörpertests von Euroimmun ergab, dass der Test zwar bei drei Personen mit Covid-19 entsprechende Antikörper nachwies, bei zwei Personen, die sich mit einem anderen Coronavirus angesteckt hatten, jedoch ebenfalls ein positives Ergebnis lieferte. Um all diese Probleme auszumerzen, brauche es Zeit sowie Versuch und Irrtum, sagt Collignon. Die Entwicklung von Antikörpertests für HIV mit einer Spezifität von mehr als 99 Prozent habe Jahre in Anspruch genommen.

Macht eine überstandene Infektion wirklich immun?

Eine andere große Frage im Zusammenhang mit Antikörpertests ist, inwieweit eine Infektion mit einem Erreger tatsächlich dauerhaft Immunität verleiht. Um eine solche zu erlangen, muss der Körper eine ganz bestimmte Art von Antikörpern produzieren, so genannte neutralisierende Antikörper, die das Eindringen des Virus in die Zellen verhindern.

Ob alle Menschen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 diese Antikörper bilden, ist allerdings unklar. Eine unveröffentlichte Studie mit 175 Personen aus China, die sich nach milden Symptomen von Covid-19 erholt hatten, deutet darauf hin, dass zehn Personen keine nachweisbaren neutralisierenden Antikörper produziert hatten – obwohl einige hohe Mengen an bindenden Antikörpern aufwiesen. Diese Personen hatten sich zwar angesteckt, doch ob sie nun auch eine Immunität gegen das Virus besitzen, ist unklar, sagt Studienleiter Wu Fan von der Fudan-Universität in Schanghai. »Die Situation ist für die Patienten sehr kompliziert.«

Bislang, so sagen Forscher, gebe es keine Belege dafür, dass man sich erneut mit dem Virus anstecken könne. Rhesusaffen, die mit Sars-CoV-2 infiziert worden waren, bekamen die Krankheit einer bislang ungeprüften Studie zufolge innerhalb eines Monats nicht noch einmal. »Wir sollten davon ausgehen, dass nach einer Infektion die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Infektion zwei bis drei Monate später gering ist«, sagt Collignon. Wie lange diese Immunität anhält, ist jedoch nicht bekannt.

»Wir sollten davon ausgehen, dass nach einer Infektion die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Infektion zwei bis drei Monate später gering ist«
Peter Collignon, Arzt und Labormikrobiologe an der Australian National University in Canberra

Auch wenn sich herausstellen sollte, dass die meisten Menschen neutralisierende Antikörper entwickeln, lassen sich diese mit den meisten Tests derzeit nicht nachweisen. Und Tests, die das tun, sind komplexer zu entwickeln und nicht allgemein verfügbar. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil einige Politiker die Idee vorantreiben, man sollte Antikörpertests dazu nutzen, jene Menschen, die Covid-19 bereits überstanden haben, von den Abstandsregeln und Kontaktsperren zu befreien. Derzeit versuchen Forscher herauszufinden, ob die Antikörper, die mit den aktuellen Test-Kits nachgewiesen werden können, auf eine Immunität schließen lassen, sagt Smith.

Ein anderes Problem des gerne vorgeschlagenen »Corona-Immunitätspasses«: Antikörpertests können nicht ausschließen, dass eine Person nach wie vor infektiös ist, sagt Smith. Eine Studie, die Anfang April 2020 im Fachmagazin »Nature« erschienen ist, zeigt, dass die virale RNA erst langsam abnimmt, nachdem Antikörper im Blut nachgewiesen wurden. Das Vorhandensein von viraler RNA könnte bedeuten, dass die Person weiterhin infektiöse Viren ausscheidet.

Trotz all der Herausforderungen ist Collignon überzeugt: Sobald verlässliche Antikörpertests zur Verfügung stehen, könnten sie wichtig sein, um zu verstehen, welche Personengruppen sich infizieren und wie man die weitere Ausbreitung stoppen kann. Und um akute Infektionen zu diagnostizieren, wenn PCR-Tests versagen, sagt Smith.

Dieser Text ist im Original unter dem Titel »Will antibody tests for the coronavirus really change everything?« bei »Nature« erschienen.

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