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Astrophysik: Werden Neutronensterne von winzigen Schwarzen Löchern gefressen?

In einer Zwerggalaxie gibt es weit mehr schwere Elemente, als Wissenschaftler erwartet haben. Eine Theorie dreier Physiker könnte nun erklären, wie sie entstanden sind.
Vor dem Ereignishorizont

Ein Aufsehen erregender Vorschlag dreier amerikanischer Physiker könnte erklären, wie Gold und andere schwere Elemente im Weltall entstehen. Seit Längerem vermuten Wissenschaftler, dass die wertvollen Stoffe aus leichteren Atomkernen hervorgehen, nachdem diese für längere Zeit mit sehr vielen Neutronen bombardiert wurden. Dieser so genannte r-Prozess findet allerdings nur in ungewöhnlich heißen Umgebungen statt, beispielsweise während einer Supernova-Explosion oder beim Zusammenstoß zweier ausgesprochen kompakter Sternleichen, so genannter Neutronensterne.

Derartige Ereignisse sind allerdings sehr selten. So selten, dass sie allein zu wenige schwere Elemente hervorbringen könnten, um deren Häufigkeit in manchen Regionen des Alls zu erklären. Da ist beispielsweise die benachbarte Zwerggalaxie Reticulum II. In ihr enthalten Sterne mehr schwere Elemente als erwartet, berichtete ein Forscherteam bereits 2016. Seit geraumer Zeit nehmen Astrophysiker an, dass dort ein bisher unbekanntes Phänomen die massiven Atomkerne hervorgebracht hat.

Schwarze Löcher vom Format eines Atoms

Aber welches? George Fuller von der University of California in San Diego hat nun zusammen mit zwei Kollegen eine spektakuläre, wenn auch spekulative Erklärung ausgetüftelt: Winzige Schwarze Löcher vom Format eines Atoms könnten manchmal ins Zentrum von rotierenden Neutronensternen sinken und diese von innen auffressen. Dabei würde die Drehung der kompakten Sternleichen stark beschleunigt, was einen Teil ihrer Oberfläche ins All katapultieren würde. In diesen Auswürfen wären die Bedingungen extrem genug für die rapide Entstehung schwerer Elemente, berichtet das Trio im Fachmagazin »Physical Review Letters«.

Die Theorie könnte noch andere astronomische Rätsel lösen. Beispielsweise, wieso Wissenschaftler bisher vergleichsweise wenige Pulsare (schnell rotierende Neutronensterne) im Zentrum unserer Galaxie aufgespürt haben. Auch würde der von Fullers Team beschriebene Prozess möglicherweise besonders kurzlebige Radioblitze hervorbringen, deren Ursprung Astrophysiker seit einiger Zeit debattieren.

Der Vorschlag hat aber auch mindestens einen Haken: Die winzigen Schwarzen Löcher müssten leichter sein als der Mond. Bisher sind Astronomen aber nur Schwarze Löcher bekannt, die deutlich schwerer sind als die Sonne. Allerdings spekulieren Physiker seit Jahrzehnten über deutlich leichtere Masse vernichtende Klumpen. Diese »primordialen« Schwarzen Löcher müssten im Urknall entstanden sein und in großer Anzahl durchs Weltall fliegen. Bisher haben Wissenschaftler sie aber nicht aufspüren können.

Forscher, die nicht an der Arbeit von Fullers Team beteiligt waren, üben noch andere Kritik: So gehe aus dem Paper des Trios nicht wirklich hervor, ob kollabierende Neutronensterne tatsächlich derart viel Materie ins All schleudern, schreibt Hans-Thomas Janka vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in einem Begleitkommentar. Das könnte man nur mit äußerst aufwändigen Computersimulationen beurteilen, welche die drei Physiker nicht durchgeführt hätten.

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