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Genetik: Wertvoller Wahn

Die Natur macht nichts umsonst. Deshalb sollten Genversionen, die Krankheiten verursachen, auch irgendwelche Vorteile bergen - sonst hätte die Selektion sie längst eliminiert. Worin liegt nun der Wert von Erbfaktoren, die Schizophrenie auslösen?
Schizophrenie
Princeton, Ende der 1940er Jahre. Das US-Militär interessiert sich für einen eigenbrötlerischen, aber offensichtlich hoch begabten Mathematikstudenten. In geheimer Mission soll er Spionage-Botschaften entziffern, die sowjetische Agenten in Tageszeitungen und Zeitschriften versteckt haben. Der Student knackt den raffinierten Kode, doch seine Gegner sind ihm bereits dicht auf den Fersen: Als gewissenslose Ärzte versuchen sie, ihn in einer Nervenklinik kalt zu stellen ...

Was wie ein gewöhnlicher Agententhriller beginnt, wandelt sich immer mehr zu einem Verwirrspiel. Der Film "A Beautiful Mind" erzählt aus der Sicht des Protagonisten die Lebensgeschichte des Mathematikers John Nash, der von schweren Wahnvorstellungen geplagt wurde – und 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Spieltheorie erhielt.

Genie und Wahnsinn gingen bei Nash Hand in Hand. Doch nicht alle, bei denen die typischen Symptome für Schizophrenie - Wahnvorstellungen, Halluzinationen und ein gestörtes Ich-Gefühl – diagnostiziert werden, dürfen auf einen Nobelpreis hoffen. Im Gegenteil. Die meisten Betroffenen können sich wegen ihrer gestörten Persönlichkeit geistig kaum entfalten.

Wodurch die Nervenkrankheit ausgelöst wird, ist immer noch nicht restlos geklärt. Doch schon lange gibt es Hinweise, dass eine geerbte Veranlagung eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt. So liegt das Erkrankungsrisiko bei etwa vierzig Prozent, wenn beide Elternteile an Schizophrenie leiden. Unter eineiigen Zwillingen steigt sie gar auf fünfzig Prozent.

Doch warum gibt es überhaupt Genversionen, die zu Schizophrenie führen können?
"Es ist paradox, dass Schizophrenie weltweit so häufig auftritt, obwohl sie den Fortpflanzungserfolg beeinträchtigt"
(Steve Dorus)
Schließlich fördert die Geisteskrankheit, die typischerweise zwischen Pubertät und dem 30. Lebensjahr ausbricht, nicht gerade die Fortpflanzung. Die Evolution sollte also derartige Varianten längst eliminiert haben. Dennoch erkranken auf der ganzen Welt immerhin etwa ein Prozent der Bevölkerung an Schizophrenie.

"Es ist irgendwie paradox, dass diese Störung weltweit so häufig auftritt, obwohl sie die Gesundheit und den Fortpflanzungserfolg beeinträchtigt", meint auch Steve Dorus von der britischen Universität Bath. Zusammen mit Bernard Crespi von der kanadischen Simon-Fraser-Universität in Burnaby und Kyle Summers von der US-amerikanischen East Carolina University in Greenville versuchte er, das Evolutionsgeheimnis der Schizophrenie zu ergründen.

Hierzu wählten die Forscher 76 DNA-Sequenzen aus, die in Verdacht stehen, das Risiko für Schizophrenie zu erhöhen. Bei ihrer Analyse stützten sie sich einerseits auf das HapMap-Projekt, das die Variationen im menschlichen Erbgut gesammelt hat. In der Datenbank "Haplotter" sind die Genversionen hinterlegt, bei denen eine positive Selektion vermutet wird, die sich also – aus welchen Gründen auch immer – in der menschlichen Bevölkerung verstärkt ausgebreitet haben. Als hilfreich erwies sich andererseits die Datenbank "HomoloGene" mit sich jeweils entsprechenden Genen verschiedener Tier- und Pflanzenarten, sodass die Forscher die Unterschiede einzelner Erbfaktoren zwischen Menschen und Affen vergleichen konnten.

Die HapMap-Analyse kristallisierte 14 Genversionen heraus, die von der Evolution bevorzugt erscheinen. Als besonders herausragend fiel hier das Gen DTNBP1 (dystrobrevin-binding protein 1) auf. Beim Vergleich mit anderen Primatenarten schälten sich vier Gene heraus, wobei vor allem NRG1 (neuregulin 1) aus dem Rahmen fiel. Und schließlich scheint auch noch das Gen DISC1 (disrupted in schizophrenia 1), dessen genetischer Einfluss bei der Schizophrenie unbestritten ist, eine besondere Förderung durch die Selektion zu genießen.

Kurz: Alle drei Genversionen erhöhen das Erkrankungsrisiko, unterliegen aber dennoch einer positiven Selektion. Sie müssen also irgendeinen Vorteil für den Träger darstellen. Nur welchen?

Das sei, gibt Dorus zu, die große Frage – "und wir haben wirklich noch keine gute Antwort darauf gefunden".

Dass krankheitsauslösende Genmutationen auch vorteilhaft sein können, ist nicht ungewöhnlich. Als viel zitiertes Beispiel wird gerne die Sichelzellanämie herangezogen, deren Träger gegen Malaria gefeit sind.

Bei den Schizophrenie-Genen liegt der Verdacht nahe, dass sie als Gegenleistung die Kreativität, Fantasie und die geistige Flexibilität der Betroffenen fördern könnten. Ob dem so ist, wollen die Forscher noch untersuchen. Doch vielleicht verbergen sich in der Neigung zu einer Geisteskrankheit tatsächlich auch gute Seiten - und mitunter fällt dabei sogar ein Nobelpreis ab.

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