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Wespen: Entwarnung fürs Kaffeekränzchen im Freien

Medienberichte schildern 2022 als ausgesprochenes Wespen-Jahr. Doch schwirren tatsächlich besonders viele der schwarz-gelben Insekten um die Kuchenteller? Und wie wird man die ungebetenen Gäste wieder los?
Wespen tun sich an einem Stück Kuchen gütlich
Der wichtigste Rat im Umgang mit Wespen lautet: ruhig bleiben!

Das Büfett ist eröffnet. Die Kaffeetafel gedeckt. Es hätte so gemütlich werden können. Doch die ungebetenen Gäste in Schwarz-Gelb scheinen nur auf ihre Chance gewartet zu haben. Die Wespen summen um Teller und Gläser – erst vereinzelt, dann in Mannschaftsstärke. Hier säbeln sie ein Stück Apfel ab, dort naschen sie vom Kuchen oder einem süßen Getränk. Irgendwann ist ständige Wachsamkeit gefragt, damit keins der Plagegeister aus Versehen in den Mund gerät. Da bekommt der Spaß am Essen im Freien doch einen kräftigen Dämpfer.

Wespen können nerven, keine Frage. Und gerade in einer Situation wie oben beschrieben entsteht schnell der Eindruck, dass es in diesem Jahr besonders viele sind. Auch in zahlreichen Medienberichten trägt das Jahr 2022 schon das Etikett »Wespen-Jahr«. Doch sind die Insekten tatsächlich häufiger als sonst? So pauschal können Fachleute das nicht bestätigen. Denn das Geschehen in Deutschlands Wespennestern ist komplex. Und bei Weitem noch nicht in allen Details erforscht.

»Wo sich ein Wespenvolk ansiedelt, hängt stark von den Bedingungen in der Umgebung ab«, erklärt Andreas Taeger vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut im brandenburgischen Müncheberg. Denn die Insekten haben ihre Ansprüche. Sie wollen nicht nur einen geschützten Nistplatz mit möglichst günstigen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen; in der Nähe soll es zum Beispiel auch genügend Nahrung und Baumaterial fürs Nest geben. Das alles aber sei lokal sehr unterschiedlich verteilt, erklärt der Wespenforscher. Schon ein paar hundert Meter weiter kann das Angebot aus Insektensicht ganz anders aussehen. Wer ein Nest im Garten hat, bekommt also womöglich einen ganz anderen Eindruck von der Präsenz der Tiere als der Nachbar ein paar Häuser weiter.

Unter dem Radar

Zudem muss das Nerv-Potenzial nicht unbedingt mit ihrer tatsächlichen Anzahl zusammenhängen. In manchen Jahren fallen die Wespen einfach mehr auf als in anderen. »Bei warmen Temperaturen halten sich mehr Menschen im Freien auf, es wird getrunken und gegessen«, sagt Steffi Klotz, Geschäftsstellenleiterin des Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verbands im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren. »Das lockt im Allgemeinen mehr Wespen an.« Entsprechend groß ist die Motivation, das zugehörige Nest von Fachleuten beseitigen zu lassen. Doch aus der Zahl der Einsätze ihrer Kolleginnen und Kollegen kann die Expertin keinen deutschlandweiten Trend ableiten: »Gespräche mit Mitgliedsbetrieben aus unserem Verband haben ergeben, dass die Anzahl der Wespennest-Bekämpfungen von Region zu Region stark variiert.«

Die ökologische Forschung kann ebenso wenig mit bundesweiten Zahlen zur aktuellen Wespen-Saison dienen. Das wäre auch ein Mammutprojekt: In ganz Deutschland müsste man stichprobenhaft die Bestände erfassen und diese Daten über die Jahre vergleichen. Solche Volkszählungen gibt es bisher nur für wenige Insekten.

»Niemand weiß, ob es in Deutschland insgesamt dieses Jahr mehr Wespen gibt als sonst«Andreas Taeger, Entomologe

So hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle zusammen mit der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz ein Citizen-Science-Projekt namens »Tagfaltermonitoring Deutschland« ins Leben gerufen, bei dem alle Interessierten mitmachen können. Bundesweit gehen Schmetterlings-Fans seit 2005 immer wieder festgelegte Strecken ab und zählen die dabei beobachteten Tiere. Auch im Projekt »Mückenatlas« setzt ein interdisziplinäres Team des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung und des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit auf die Hilfe von Laien, die Stechmücken fangen und einschicken.

Wespen aber sind weder so populär wie Schmetterlinge noch können sie so gefährliche Krankheiten übertragen wie Mücken. Also fliegen diese Insekten oft unter dem wissenschaftlichen Radar, viele ihrer Populationen bleiben unbeobachtet. »Ob es in Deutschland insgesamt dieses Jahr mehr Wespen gibt als sonst, weiß deshalb niemand«, sagt Andreas Taeger.

Die Hauptstadt der Wespen

Zu den wenigen Regionen, über die sich Genaueres sagen lässt, gehört der Raum Berlin. Denn dort betreibt der Naturschutzbund Deutschland (NABU) schon seit 2003 ein spezielles Projekt zum Schutz der auch »Hymenopteren« genannten Hautflügler – also jener Insektengruppe, zu der Bienen und Wespen gehören. Wo lauern Konflikte mit solchen Sechsbeinern? Wie kann man Hummeln und andere bedrohte Wildbienen unterstützen? Und was tun, wenn sich Wespen im Garten oder Rollladenkasten niedergelassen haben? Über solche Fragen können sich Berlinerinnen und Berliner beim vom Senat geförderten »Hymenopterendienst« des NABU informieren. »Oft genügt dabei eine telefonische Beratung«, sagt NABU-Experte Stephan Härtel. Wenn diese nicht weiterhilft, siedelt das Team notfalls Nester um.

Aus dieser Arbeit lassen sich für Berlin auch Daten über das Wespen-Jahr 2022 ableiten. »Wir hatten dreimal so viele Anfragen wie im Jahr zuvor«, berichtet der Biologe. Schon im Frühling beklagten sich zahlreiche Anrufer über Wespen, die auf der Suche nach Nistplätzen versuchten, in Wohnungen hineinzufliegen. Später wurden die Fachleute häufig zu Nestern gerufen. Bis Ende Juli hatte sich der Hymenopterendienst mit rund 450 Fällen von störenden Wespen beschäftigt. Dagegen waren 2021 im gleichen Zeitraum gerade einmal 150 Fälle zusammengekommen. Demnach scheint 2022 zumindest in der Hauptstadt tatsächlich ein sehr starkes Wespen-Jahr zu sein.

»Anhand der Beobachtungen unserer NABU-Fachgruppe vermuten wir, dass sehr viele Königinnen über den Winter gekommen sind«, sagt Stephan Härtel. Das ist bei Wespen entscheidend. Denn anders als Honigbienen überwintern sie in unseren Breiten nicht als ganzes Volk. Die meisten Tiere sterben im Herbst, nur die junge befruchtete Königin überlebt die kalte Jahreszeit irgendwo in einem geschützten Versteck. Im Frühjahr gründet sie dann ein neues Volk, das im Lauf der Wochen immer größer wird.

Kühler, trockener Winter hilft Wespen-Königinnen

Je mehr solcher Königinnen diesen Schritt schaffen, desto mehr Wespen gibt es im Sommer. Günstig ist dafür ein kühler, trockener Winter. Bei zu viel Feuchtigkeit handeln sich die Tiere nämlich leicht gefährliche Pilzinfektionen ein. Und auch zu viel Wärme ist nicht gut. »Dann läuft ihr Stoffwechsel ständig, und sie verbrauchen ihre Energiereserven«, erklärt Andreas Taeger. Die fehlen ihnen dann im Frühjahr, wenn der Startschuss für die Staatsgründung fällt.

Diese Phase in April und Mai ist entscheidend für den Erfolg der Königinnen und ihrer Völker. Und dabei hat das Wetter in diesem Jahr ebenfalls mitgespielt: »Das Frühjahr war durchgängig weder zu warm noch zu kalt«, erinnert sich Stephan Härtel. »Und da es wenig geregnet hat, konnten die Tiere viel durch die Gegend fliegen und Nahrung sammeln.« Der Grundstein für ein erfolgreiches Wespen-Jahr war damit gelegt.

Wespe ist nicht gleich Wespe

Das heißt allerdings nicht, dass nun besonders viele gestreifte Plagegeister um die Kuchenteller der Hauptstadt schwirren. Genau das war zwar die Befürchtung vieler Anruferinnen und Anrufer, die sich im Frühjahr beim Hymenopterendienst gemeldet haben. Denn selbst wenn es in den Augen mancher Laien so aussieht: Wespe ist nicht gleich Wespe. Die einzelnen Arten haben nicht nur verschiedene Ansprüche, sondern legen auch ein unterschiedlich konfliktträchtiges Verhalten an den Tag.

In überdurchschnittlich vielen Fällen, die das Team vom NABU in diesem Jahr bearbeitet hat, ging es um die Mittlere Wespe (Dolichovespula media) und die Sächsische Wespe (Dolichovespula saxonica). Beide sind eher zurückhaltend. »Mittlere Wespen stechen zwar durchaus manchmal Leute«, sagt Stephan Härtel. Das liege jedoch daran, dass diese Tiere ihre Nester gern in Gebüsche und Hecken bauen – und zwar genau zu der Zeit im Frühjahr, in der viele Gartenbesitzer ihre Gehölze schneiden.

Zu Mundraub aber neigt keine der beiden Arten, die in diesem Jahr besonders häufig sind. Die erwachsenen Tiere fressen vor allem Blütennektar, ihren Nachwuchs ernähren sie mit einem Brei aus zerkauten Insekten. Für Pflaumenkuchen oder Leckereien vom Grill interessieren sie sich eher nicht.

Ganz anders ist das dagegen bei der Deutschen Wespe (Vespula germanica) und der Gemeinen Wespe (Vespula vulgaris). Das sind die beiden Arten, die wegen ihres großen Appetits auf Fleisch und Süßigkeiten am häufigsten als störend empfunden werden. »Diese Tiere sind in Berlin im Jahr 2022 aber nicht häufiger unterwegs als sonst«, berichtet Stephan Härtel.

Sie wollen nur essen

Doch auch in einem solchen Durchschnittsjahr können die gestreiften Besucherinnen lästig werden. Ein Wespenvolk besteht zu seinen stärksten Zeiten im Spätsommer aus 4000 bis 7000 Mitgliedern. Und wenn die Arbeiterinnen dann auf der Suche nach kohlenhydrat- und proteinreicher Nahrung ausschwärmen, sind die Konflikte vorprogrammiert. »Dabei wollen auch diese Arten eigentlich gar nichts von uns«, betont Andreas Taeger. »Außer eben unser Essen.«

Für sie interessante Nahrungsquellen finden Deutsche Wespen unter anderem durch den Geruch, wie Experimente eines argentinischen Forschungsteams um Mariana Lozada von der argentinischen Universidad Nacional Del Comahue in Bariloche zeigen. Dabei lernen die Tiere sehr rasch, wo es etwas zu holen gibt. Und manchmal werfen sie dabei sogar spontane Aversionen über Bord. Das haben die Forscherinnen beobachtet, als sie Fleischstückchen mit einem für Wespen eigentlich abschreckenden Duft präparierten. Zunächst verschmähten die Insekten diese Häppchen zwar. Irgendwann lernten sie allerdings, dass diese durchaus fressbar waren – und flogen dann sogar besonders eifrig auf den einst gemiedenen Duft zu. Schon nach drei bis fünf Besuchen an der Futterquelle hatten sie die neue Vorliebe im Langzeitgedächtnis gespeichert.

»Die meisten Tipps aus dem Internet funktionieren nicht«Andreas Taeger, Wespenexperte

Bemühungen, die ungebetenen Gäste durch abschreckende Düfte loszuwerden, scheinen auf Dauer also nicht besonders erfolgversprechend zu sein. Und das gilt auch für viele andere angeblich wirkungsvolle Vertreibungsmethoden. »Die meisten Tipps aus dem Internet funktionieren nicht«, sagt Andreas Taeger. Sein wichtigster Rat im Umgang mit Wespen lautet: ruhig bleiben! Nach den Tieren zu schlagen oder hektisch in der Luft herumzufuchteln, bringe nichts: »Das macht sie nur wütender.« In der Nähe eines Nestes Federball zu spielen oder andere schnelle Bewegungen zu machen, sei ebenfalls keine gute Idee. Denn dann fühlen sich die Tiere motiviert, ihr Refugium zu verteidigen. Aufmerksam zu sein und wenn nötig auszuweichen, hält der Biologe für die erfolgversprechendste Strategie. »Wenn es zu schlimm wird, gehe ich halt rein und esse meinen Kuchen dort.«

Wer im Freien sitzen bleiben will, sollte alles Essbare so weit wie möglich abdecken, ergänzt Stephan Härtel. Und vor allem gleich bei der ersten fliegenden Besucherin verhindern, dass sie sich auf dem Teller niederlässt. »Man kann sie mit einer Zeitung langsam und ruhig wegschieben«, sagt der Experte. Seiner Erfahrung nach geben die Tiere dann meist nach ein paar Versuchen auf. Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) empfiehlt dagegen ein paar Spritzer Wasser aus einer Sprühflasche als wirksame Vertreibungsmethode. Dann denken die Tiere offenbar, es fange an zu regnen, und flüchten in ihr Nest.

Die erste Wespe auf dem Kuchen vertreiben

»Wenn sie dagegen erst einmal auf dem Fleisch oder Kuchen sitzen, ist das aus zwei Gründen nicht gut«, erklärt Stephan Härtel. Zum einen könne man nie sagen, worauf so ein Insekt vorher gesessen hat – Wespen sind schließlich auch begeisterte Aasfresser. Zum anderen wissen die Späherinnen gleich nach der Landung, wie der entdeckte Leckerbissen riecht und schmeckt. Und diese Information behalten sie ungünstigerweise nicht für sich: Sie tragen ein paar kulinarische Mitbringsel in ihr Nest zurück und markieren den Weg zur Fundstelle mit chemischen Lockstoffen. Minuten später schwirren dann immer mehr Interessentinnen um den Tisch. Das gilt es möglichst zu verhindern.

Sollte man trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gestochen werden, empfiehlt Stephan Härtel einen so genannten Stichheiler aus der Apotheke. Möglichst schnell nach der unangenehmen Begegnung mit dem Insekt hält man dieses kleine Elektrogerät auf den Stich und erhitzt diesen so. Durch die starke Wärmeeinwirkung denaturiert das Wespengift, so dass es weder starken Juckreiz noch schmerzhafte größere Schwellungen auslösen kann.

Wer Bekanntschaft mit einem Wespenstachel gemacht hat, ist auf seine gestreiften Nachbarn meist trotzdem nicht allzu gut zu sprechen. Objektiv betrachtet ist es aber durchaus von Vorteil, diese in der Umgebung zu haben. Denn sie erbringen wertvolle Dienstleistungen für Menschen und Ökosysteme. Wespen bestäuben zahlreiche Pflanzen, recyceln Totholz und beseitigen Aas. »So ein Volk kann einen toten Spatzen innerhalb eines Tages komplett abnagen«, sagt Stephan Härtel. Und auch noch in anderer Hinsicht betätigen sich die schwarz-gelben Insekten als geflügelte Gesundheitspolizei: Sie bringen jede Menge Fliegen und Mücken zur Strecke, darunter auch mögliche Krankheitsüberträger. Da kann man ein paar nervige Begegnungen schon mal in Kauf nehmen. Zumal der Spuk je nach Wetter spätestens im November vorbei ist. Bis zum nächsten Jahr.

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