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Persönlichkeitswandel: Konkurrenzdruck verändert den Charakter

Wer früh die Ellenbogen ausfahren muss, wird dadurch härter und misstrauischer. Selbst Jahre später lässt sich der Effekt noch nachweisen.
Eine Person schaut durch die Lamellen einer Jalousie. Nur die Augen und ein Teil des Gesichts sind sichtbar, während die Hand die Jalousie leicht anhebt. Die Szene vermittelt einen Eindruck von Neugier oder Vorsicht.
Wo es immer nur ums Gewinnen geht, verliert der Gemeinsinn.

Konkurrenz im Klassenzimmer hinterlässt Spuren. Wer sich beim Lernen gegen Rivalen durchsetzen muss, zeigt noch Jahre später weniger Hilfsbereitschaft, Vertrauen und Mitgefühl. Das zeigt eine Studie, die im »Journal of the European Economic Association« erschienen ist. Die Forschenden um Fabian Kosse von der Universität Würzburg belegen damit erstmals kausal, dass Konkurrenzdruck nicht nur kurzfristig kooperatives Verhalten hemmt, sondern auch bleibende Auswirkungen auf den Charakter hat.

Die Grundlage der Untersuchung ist ein großangelegtes Bildungsexperiment in Chile. Dort führte die Regierung 2014 das sogenannte PACE-Programm ein: Die besten 15 Prozent an ausgewählten Schulen erhielten automatisch einen Studienplatz – unabhängig vom landesweiten Aufnahmeverfahren. Das sollte die Chancen für engagierte sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler verbessern. Für die Jugendlichen bedeutete das aber zugleich zwei Jahre lang intensiven Wettbewerb innerhalb ihres Jahrgangs.

Die Forschenden verglichen mehr als 6 000 Lernende aus 64 »PACE-Schulen« mit einer gleich großen Kontrollgruppe aus 64 Schulen ohne diese Regelung. Erhoben wurden verschiedene Maße der »Prosozialität« – also der Neigung zu Altruismus und Vertrauen. Abgefragt wurde zum Beispiel, wie sehr man bereit sei, anderen ohne Gegenleistung zu helfen, oder inwieweit man davon ausgehe, dass Menschen gute Absichten haben.

Das Ergebnis: Am Ende ihrer Schulzeit zeigten Jugendliche aus den Wettbewerbsschulen signifikant niedrigere Werte in allen Facetten der Prosozialität. Am deutlichsten war der Rückgang beim Hilfeverhalten nach dem Prinzip »Wie du mir, so ich dir«, der sogenannten Reziprozität. Eine erneute Erhebung vier Jahre später mit über 1000 ehemaligen Teilnehmenden fiel ähnlich aus: Die geringere Hilfsbereitschaft und das gesunkene Vertrauen waren stabil geblieben – und bezogen sich nicht nur auf frühere Mitschüler, sondern auch auf Menschen im jetzigen Alltag. Männliche Teilnehmer waren besonders stark betroffen.

Die Befunde deuten an, dass Konkurrenzdruck in sensiblen Entwicklungsphasen die Persönlichkeit verändern kann. Das hat womöglich weitreichende Folgen, denn Prosozialität gilt als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den persönlichen Lebensweg. Die Forschenden warnen deshalb, dass scheinbar faire Prozentpläne zur Studienzulassung unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben – sie erleichtern zwar den Hochschulzugang, können aber zugleich soziale Kompetenzen schwächen.

  • Quellen
Kosse, F. et al., Journal of the European Economic Association 10.1093/jeea/jvaf030, 2025

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