Whalewatching: Zu Gast auf dem Meer

Es ist ordentlich was los vor dem Bug der »Ascensión del Señor«. Flossen durchschneiden das Wasser, und immer wieder tauchen zwei dunkel glänzende Rücken aus der Gischt auf. Ihre Besitzer scheinen es geradezu darauf anzulegen, mit so eleganten wie spielerischen Bewegungen ihre Schwimmkünste unter Beweis zu stellen. Dem knappen Dutzend Menschen an Bord des kleinen Walbeobachtungsboots zaubert das Schauspiel ein Lächeln ins Gesicht. Minutenlang beobachtet das Grüppchen fasziniert, wie die beiden Kurzflossen-Grindwale vor der Küste von La Gomera die Bugwelle reiten.
»So ein Verhalten kannten wir früher bei dieser Art gar nicht«, sagt Fabian Ritter, Gründer des gemeinnützigen Vereins M.E.E.R. aus Berlin. Seit fast 30 Jahren ist der Biologe regelmäßig in den Gewässern vor der Kanareninsel unterwegs, um das Verhalten der dort lebenden Wale und Delfine zu erforschen. Grindwale (auch Pilotwale genannt) sieht er dabei sehr oft. Wenn sich die etwa 6,5 Meter langen Meeressäuger nicht gestört fühlen, lassen sie sich leicht beobachten. Doch als große Unterhaltungskünstler sind sie nicht bekannt. 2012 hat Ritter den ersten bugwellenreitenden Grindwal gesehen. Und seither scheinen auch einige Artgenossen dieser neuen Manier etwas abgewinnen zu können.
»Ob das ein Trend ist, dem immer mehr Tiere folgen, wissen wir noch nicht«, sagt der Forscher. Doch für ihn zeigen solche Erlebnisse sehr schön, warum Whalewatching selbst bei der 100. Ausfahrt nicht langweilig wird: »Man weiß nie, was man da draußen erlebt.« Fabian Ritter ist vor La Gomera schon den scheuen Gervais-Schnabelwalen begegnet, die man kaum einmal zu Gesicht bekommt. Und immer wieder wird er Zeuge, wie die normalerweise eher zurückhaltenden Rauzahndelfine plötzlich eine Art »Fiesta« veranstalten – rasante Schwimmmanöver und akrobatische Sprünge inklusive.
Sowohl Laien als auch Fachleuten haben die Wale und Delfine vor der kleinen Kanareninsel also viel zu bieten. Und bei diesen Begegnungen ist es durchaus möglich, die Interessen der Meeressäuger mit denen von Tourismus und Wissenschaft unter einen Hut zu bringen. Wenn es nach M.E.E.R. geht, soll das Beispiel Schule machen. La Gomera hat aus Sicht der dortigen Fachleute durchaus das Potenzial, zu einem Vorbild in Sachen nachhaltiges Whalewatching zu werden.
Leben im Schlaraffenland
Die Voraussetzungen für diese Art von Tourismus sind hier ungewöhnlich gut: Mehr als 20 verschiedene Walarten sind in den Gewässern ringsum schon gesichtet worden. Sie alle nutzen eine Art El Dorado für Meeressäuger mit den unterschiedlichsten Ansprüchen. Es gibt ruhige Bereiche im Windschatten der Insel, die als Kinderstube und als Rastplatz für durchziehende Wanderer beliebt sind. Nicht weit vor der Küste ist das Wasser zudem mehr als 1000 Meter tief, so dass Tiefseejäger wie Pott- oder Schnabelwale dort ideale Bedingungen finden. Und auch für so ziemlich jeden anderen Geschmack gibt es Nahrung im Überfluss.
Das liegt zum einen daran, dass hier vor der Küste nährstoffreiches Tiefenwasser aufsteigt. Zum anderen enthält das Meer reichlich Eisen, das nicht nur vom Land kommt: Immer wieder bringt der Ostwind Calima eine Ladung Saharastaub mit und verpasst dem Wasser eine zusätzliche Eisendüngung. Algen und tierisches Plankton finden hier also beste Bedingungen und bilden die Grundlage für ein üppiges Meeresleben. Fischjäger kommen ebenso auf ihre Kosten wie die riesigen Blauwale, die mit Hilfe der Barten genannten Hornplatten in ihrem Maul das Plankton aus den Fluten sieben. Und die Grindwale finden hier so viele Tintenfische, dass sie sich in dem Schlaraffenland dauerhaft angesiedelt haben. »Eigentlich sind das Weitwanderer«, erläutert Fabian Ritter. »Sesshafte Populationen dieser Art gibt es nur an ganz wenigen Stellen auf dem Globus.«
Themenwoche: Faszination Wale & Delfine
Wale und Delfine haben die Menschen seit jeher fasziniert. Einst schrieb man ihnen gar übernatürliche Kräfte zu. Heute weiß man viel mehr über ihre Lebensweise – dank moderner Methoden wie der künstlichen Intelligenz. Mit Ihrer Hilfe versuchen Forschende zu ergründen, was sich Buckelwale und Co zu sagen haben. Und warum tragen Orcas mitunter tote Lachse auf ihrem Kopf herum? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.
Wal-Kognition: Mit Köpfchen durch die Wellen
Whalewatching: Zu Gast auf dem Meer
Wal-Kommunikation: Pfiffe, Klicks und Gesänge
Sprache der Schwertwale: »Eine Funktion der Dialekte besteht wohl darin, Inzucht zu vermeiden«
Ernährungsweise: Das Geheimnis der Buckelwale
Alle Inhalte zur Themenwoche »Faszination Wale & Delfine« finden Sie auf unserer entsprechenden Themenseite.
Während Whalewatching in vielen anderen Regionen der Welt ein Saisongeschäft ist, gibt es vor den Kanaren also das ganze Jahr über etwas zu sehen. Das ist nicht nur für die Tourveranstalter, sondern auch für die Wissenschaft eine günstige Situation. Denn so bietet sich die Chance, Wale über den kompletten Jahresablauf zu verfolgen. Fabian Ritter arbeitet dazu mit dem ortsansässigen Unternehmen OCEANO Gomera zusammen, das neben der »Ascensión« noch ein zweites kleines Boot betreibt. Wenn der Biologe bei den Ausfahrten nicht selbst dabei ist, notieren die Mitarbeiter an Bord Art, Anzahl, Aufenthaltsort und Verhaltensweisen der beobachteten Tiere.
So ist eine Datenbank entstanden, die rund 14 000 Sichtungen aus mehr als 25 Jahren enthält – eine der größten derartigen Sammlungen weltweit. »Das ist ein wissenschaftlicher Schatz, mit dem wir eine Menge anfangen können«, freut sich Fabian Ritter. Viviane Yuri Oide Komati vom Institut für Gewässerökologie der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg hat die Daten zum Beispiel genutzt, um mehr über das Sozialleben der Großen Tümmler herauszufinden. Für ihre Masterarbeit hat sie analysiert, wie sich die Gruppengrößen dieser bis zu 3,5 Meter langen Delfine zwischen 1995 und 2020 entwickelt haben. Die Beobachtungen zeigen unter anderem, dass die Tiere im Sommer einen stärkeren Hang zur Geselligkeit haben: Offenbar versammeln sie sich vor allem dann in großen Gruppen, wenn viele Neugeborene und Jungtiere dabei sind. »Wahrscheinlich hat das eine Schutzfunktion«, erklärt Ritter.
Die Daten aus dem Archiv von M.E.E.R. fließen aber nicht nur in wissenschaftliche Studien ein, sondern auch in naturschutzfachliche Entscheidungen. So haben sie dazu beigetragen, dass eine Kommission der Weltnaturschutzunion IUCN die gesamten Kanaren und Madeira kürzlich zur Important Marine Mammal Area (IMMA) erklärt hat. Damit gehört die Region nun zu den weltweit 280 Gebieten, die wegen ihrer Bedeutung für Meeressäuger als besonders schutzwürdig eingestuft sind.
Auch in ein Vorhaben der spanischen Regierung, die spezielle Schutzpläne für Wale und Delfine entwickelt, werden die Informationen aus den Walbeobachtungen vor La Gomera einfließen. »Ohne die Zusammenarbeit mit einem Tourenanbieter wäre das nicht möglich gewesen«, betont Fabian Ritter. All die Ausfahrten mit einem eigenen Boot zu unternehmen, hätte seiner Einschätzung nach Millionen von Euro gekostet – für eine kleine Naturschutzorganisation wie M.E.E.R. undenkbar.
Schleichende Veränderungen
Ähnliche Chancen für die Wissenschaft bietet der Beobachtungstourismus auch in anderen Regionen der Welt. Denn Whalewatching boomt. So hatten bereits im Jahr 2008 rund 13 Millionen Menschen rund um die Welt eine solche Tour gebucht. Neuere Informationen dazu gibt es nicht. Doch Fachleute schätzen, dass die heutigen Zahlen noch um etliche Millionen höher liegen. Die Coronakrise hat dem Geschäft zwar einen vorübergehenden Dämpfer verpasst. Viele Anbieter, darunter auch OCEANO Gomera, standen kurz vor dem Aus. Inzwischen aber haben die Buchungszahlen wieder ein ähnliches Niveau wie vor der Pandemie erreicht. Es sieht nicht so aus, als würden die Begegnungen mit den Riesen der Meere an Attraktivität verlieren.
Besonders große und leicht zu beobachtende Arten mit spektakulären Verhaltensweisen ziehen immer mehr Menschen in ihren Bann. Hoch im Kurs stehen zum Beispiel die eindrucksvollen schwarz-weißen Orcas mit ihren raffinierten Jagdtechniken und ihrem ausgefeilten Sozialleben. Auch Buckelwale punkten mit viel Action. Mal katapultieren sie ihren massigen Körper hoch in die Luft, um anschließend krachend wieder im Meer zu landen. Dann wieder halten sie äußerst fotogen die Fluke aus dem Wasser oder winken mit den Flippern. Pottwale dagegen sind wegen ihrer Verlässlichkeit beliebt. In manchen Gebieten, etwa vor den Azoren oder in Norwegen, findet nur selten eine Ausfahrt ohne Begegnung mit diesen großen Tiefseejägern statt. Blauwale dagegen sind viel unterwegs, so dass man für ein Treffen mit ihnen mehr Glück braucht. Trotzdem stehen jene größten Tiere der Erde ebenfalls ganz oben auf der Liste der bei Walbeobachtern beliebten Arten.
Allerdings hat Popularität auch ihre Schattenseiten. Wale können bei einer Tour verletzt werden, wenn sie mit einem Boot kollidieren. Doch das ist die Ausnahme. Die meisten Auswirkungen des boomenden Waltourismus sind wesentlich subtiler. Aber durch genaue Beobachtungen lassen sie sich nachweisen: Zahlreiche Studien zeigen mittlerweile, dass die Boote das Verhalten der Meeressäuger stark beeinflussen können. Und nicht alle diese Veränderungen sind so harmlos wie bei den Grindwalen, die den Reiz des Wellenreitens entdeckt haben.
Die Bucht Caleta Chañaral de Aceituno in Chile zum Beispiel ist für ihre guten Beobachtungsmöglichkeiten bekannt. Blau-, Buckel- und Minkwale, vor allem aber Finnwale lassen sich im Sommer dort regelmäßig sehen. Und das hat sich immer weiter herumgesprochen. Hatten im Jahr 2010 noch rund 1200 Walfans eine Beobachtungstour gebucht, waren es zehn Jahre später schon 8000. Für den Alltag der Finnwale ist das nicht ohne Folgen geblieben.
Ein Team um Macarena Santos Carvallo von der Universität in Santigo de Chile hat festgestellt, dass die Tiere in Anwesenheit von Booten weniger zielstrebig durch die Gegend schwimmen und zu häufigeren Richtungswechseln neigen. Offenbar versuchen sie, den Besuchern auszuweichen. Wandernde Artgenossen steigern zudem ihr Schwimmtempo. Obwohl in der Bucht von Massentourismus noch keine Rede sein kann, gibt es also bereits Hinweise auf eine Störung der Meeresbewohner.
Auch bei anderen Arten scheint der Besuch von Menschen mitunter zu Stress zu führen. Und der endet nicht unbedingt, wenn sie wieder allein sind, zeigt eine Studie in der Encounter Bay in Südaustralien: Südkaper-Mütter und ihre Kälber ruhen dort nach der Abfahrt der Boote sogar weniger als während der eigentlichen Beobachtungsphase. Möglicherweise liegt das daran, dass die Schiffe bei der Abfahrt in höherem Tempo unterwegs sind und entsprechend mehr Lärm machen.
Besucherstress durch Whalewatching
Die Geräuschentwicklung ist jedenfalls einer der Aspekte, die für die Tiere problematisch werden können. Ob es um die Klicklaute zur Orientierung geht oder um die Gesänge, mit deren Hilfe etliche Walarten kommunizieren: Wenn es unter Wasser zu laut wird, funktioniert das alles nicht mehr richtig. Welches Ausmaß diese akustische Störung annehmen kann, hat eine Forschungsgruppe um Maria Paula Rey-Baquero von der Pontificia Universidad Javeriana in Bogota analysiert.
Mit Computermodellen simulierte das Team, welche akustischen Folgen der Tourismus für die Buckelwale vor der kolumbianischen Pazifikküste hat. Im Golf von Tribugá liegt eine beliebte Kinderstube für Buckelwale. Stark belastet werden ihre Ohren dort bisher nicht: Die Motoren von Beobachtungsschiffen sind so ziemlich die einzigen Lärmquellen. Doch selbst die können den Meeressäugern in ihre Kommunikation hineinfunken. Schon durch ein einziges Boot schrumpft der Raum, in dem sich die Wale verständigen können, den Berechnungen zufolge um mehr als 60 Prozent.
Gerade für Walpopulationen, die ohnehin schon unter Druck stehen, werden solche Einflüsse möglicherweise zu einer ernsthaften Bedrohung. Ein Team um Marla Holt von der Naturschutzabteilung der US-amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA macht sich zum Beispiel Sorgen um die bedrohten Orcas vor den San-Juan-Inseln im US-Bundesstaat Washington. Um mehr über deren Reaktion auf Boote herauszufinden, haben die Forscherinnen und Forscher kleine Messgeräte mit Saugnäpfen an den Tieren befestigt. So ließen sich die Bewegungen und Aktivitäten der Orcas nicht nur an der Oberfläche, sondern auch unter Wasser verfolgen.
»Oft haben sie die Nahrungssuche ganz aufgegeben, wenn ihnen die Boote auf die Pelle rückten«Marla Holt, Biologin
Die Aufzeichnungen haben Befürchtungen bestätigt, die es schon länger gibt: Offenbar lassen sich Orcas durch die Besuche ihrer Fans vom Fressen abhalten. Wenn die Boote näher als 400 Yards (366 Meter) kamen, tauchten sie nicht so oft und verbrachten zudem weniger Zeit mit dem Fangen von Lachsen. Marla Holt sieht mehrere mögliche Erklärungen für dieses Verhalten: Vielleicht stört der Lärm der Boote die Echoortung, mit der die Unterwasserjäger ihre Beute finden. Oder die Tiere nehmen die Besucher als Bedrohung wahr.
»Bei den Weibchen war der Effekt jedenfalls noch größer als bei den Männchen«, berichtet die Forscherin. »Oft haben sie die Nahrungssuche ganz aufgegeben, wenn ihnen die Boote auf die Pelle rückten.« Das aber könnte gerade bei Orca-Müttern problematisch sein. Denn wenn sie nicht genug fressen, fehlt es ihnen womöglich an Energie, um ihren Nachwuchs ausreichend zu versorgen. Keine guten Nachrichten für eine Population, die nur noch aus 74 Tieren besteht.
»Man muss bedenken, dass die meisten Wale einer ganzen Reihe von Stressfaktoren ausgesetzt sind«, sagt Fabian Ritter. »Wenn sie durch Überfischung, Meeresverschmutzung, Unterwasserlärm und intensiven Schiffsverkehr ohnehin schon am Limit sind, kann der Beobachtungstourismus das Fass ohne Weiteres zum Überlaufen bringen.« Der Biologe kennt Fälle, in denen das weit reichende Folgen hatte. Zum Beispiel vor der Nordinsel Neuseelands, wo die Großen Tümmler eine von Touristenbooten häufig frequentierte Bucht inzwischen meiden. Oder im Westen Australiens, wo die Fortpflanzungsrate dieser Delfin-Art stark zurückgegangen ist.
Nachhaltige Walbeobachtung
Fachleute fordern daher, das beliebte Freizeitvergnügen so zu gestalten, dass die Tiere dabei nicht zu Schaden kommen und im besten Fall sogar davon profitieren können. Erste Schritte dahin gibt es bereits. So gelten in vielen Regionen Abstandsregelungen, an die sich die Tourveranstalter halten müssen. Auf den Kanaren zum Beispiel müssen Boote mindestens 60 Meter Distanz zu den Tieren halten – es sei denn, diese kommen von selbst näher.
Ein wirklich ökologisch nachhaltiges Whalewatching aber geht über solche Vorschriften hinaus. Gezielte Information der Kundschaft ist dabei ebenso gefragt wie die Kooperation mit der Forschung und natürlich ein verantwortungsvolles Verhalten der Skipper vor Ort. In solchen Punkten sehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit noch einiges Verbesserungspotenzial.
So bietet eine Beobachtungstour zwar eigentlich die beste Gelegenheit, direkt vor Ort etwas über die Lebensweise, die Gefährdung und den Schutz der faszinierenden Meeressäuger zu lernen. Das Angebot in diesem Bereich ist vielerorts allerdings noch ausbaufähig. Das zeigt zum Beispiel eine Studie, bei der Marcus Reamer und seine Kolleginnen von der University of Miami die Internetauftritte von 178 Anbietern in den USA analysiert haben.
Dabei stellten sie fest, dass die Texte und Bilder auf den Websites vor allem die Besonderheiten der jeweiligen Tour in den Mittelpunkt stellen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Um die Wale selbst und ihren Schutz oder um Bildungsangebote geht es dagegen weniger. Offenbar zielen die Informationen eher auf ein unterhaltungssuchendes Publikum ab als auf eines, das großen Wert auf Nachhaltigkeit legt. Bei Anbietern mit Ökolabel ist die Situation der Studie zufolge etwas besser. Auch da sieht das Forschungsteam in Sachen Informationsangebot allerdings noch Verbesserungsmöglichkeiten.
- Tipps für nachhaltiges WhalewatchingMachen Sie sich im Vorfeld ein Bild darüber, wie die generelle Situation für die Meeressäuger vor Ort ist: Wie viele Walbeobachter kommen jährlich an diesen Ort? Gibt es die Möglichkeit, die Tiere von Land aus zu beobachten? Wie stark ist der Boots- und Schiffsverkehr? Wer zu dem Schluss kommt, eine Tour machen zu wollen, sollte darauf achten, einen seriösen Anbieter auszuwählen.
- So sieht tierfreundliches Whalewatching aus:
Es befinden sich Expertinnen und Experten an Bord, die über die Meeressäuger und deren Schutz informieren
Es gibt Verhaltensregeln für Besatzung und Touristen
Das Unternehmen unterstützt lokale Umweltgruppen, ist vielleicht sogar zertifiziert und/oder arbeitet mit Forschungseinrichtungen zusammen
Der Motor wird ausgeschaltet und man wartet, bis sich die Wale freiwillig dem Boot nähern. Es wird ihnen nicht hinterhergejagt
Anwesende Guides achten darauf, dass die Tiere weder angefasst noch gefüttert werden
Nach höchstens 30 Minuten lässt man die Meeressäuger wieder in Ruhe
Um Lärmbelästigung zu vermeiden, kommen statt Motorbooten möglichst Segelboote, E-Boote, Kanus, Kajaks oder Paddelboote zum Einsatz
Es sind nie mehr als drei Boote gleichzeitig bei einer Beobachtung anwesend
- Die sanfte Alternative: Wale vom Land aus beobachtenWeltweit gibt es eine Vielzahl an Orten, an denen man mit etwas Glück Delfine und Wale beobachten kann, beispielsweise an der Küste Südafrikas oder in Kalifornien. Aber auch auf Sylt, in Großbritannien, Frankreich, Irland, den Azoren und vielen anderen Ländern kann man Meeressäuger vom Land aus erspähen.
»Es geht vor allem darum, bei den Leuten keine falschen Erwartungen zu wecken«, betont Fabian Ritter. Wenn man etwa Flyer mit springenden Buckelwalen verteile, wollten viele Kundinnen und Kunden genau so ein Schauspiel sehen – und seien oft enttäuscht, wenn die Tiere an diesem Tag keine Lust auf spektakuläre Akrobatik haben oder sich erst gar nicht blicken lassen. Der Biologe findet es daher wichtig zu vermitteln, dass eine solche Tour eben kein Zoobesuch mit Tierbeobachtungsgarantie ist, sondern ein Ausflug aufs offene Meer. Inklusive der Ungewissheit, was man dort erleben wird. Man könne zwar eine ungefähre Wahrscheinlichkeit angeben, einer bestimmen Art zu begegnen, mehr aber auch nicht.
Auf La Gomera kommt die Botschaft an – und zwar nicht nur während der Touren selbst. Zusammen mit OCEANO Gomera hat M.E.E.R. dort ein kleines Informationszentrum eingerichtet, das reichlich Wissen rund um die Meeressäuger vor der Kanareninsel anbietet. Man kann die verschiedenen Arten und ihren Lebensraum kennen lernen, ihren Rufen lauschen und bei Vorträgen und anderen Veranstaltungen mehr über ihre Bedrohung und ihren Schutz erfahren. Und man bekommt auch einen Einblick in die Forschungsergebnisse, die aus den auf den Beobachtungstouren gesammelten Daten hervorgegangen sind.
Diese Kooperation zwischen Anbietern und Wissenschaft ist noch alles andere als üblich. »Dabei können Whalewatching-Tourismus und Forschung Hand in Hand gehen«, findet Fabian Ritter. So untersuchen er und sein Team vor allem das Verhalten der einzelnen Arten gegenüber Booten. Zwar reagiert innerhalb derselben Art keineswegs ein Tier wie das andere. Auch unter Walen scheint es Draufgänger und eher zurückhaltende Naturen zu geben. Doch die Fachleute haben durchaus arttypische Unterschiede beobachtet.
Eine Frage des Timings
Der Zügeldelfin etwa gilt als Traum jedes Walbeobachters, weil er so kontaktfreudig, verspielt und neugierig ist. Das andere Extrem verkörpern die scheuen Schnabelwale, die meist schnell das Weite suchen. Solche Profile haben Fabian Ritter und sein Team für die vor La Gomera häufigsten Arten erstellt. Daraus entwickeln sie artspezifische Empfehlungen, wie Whalewatching-Unternehmen mit den einzelnen Arten umgehen sollten, um sie bei den Touren möglichst wenig zu stören.
Was dabei möglich ist und was nicht, hängt allerdings nicht nur von der Spezies, sondern auch vom Zeitpunkt ab. So springen Große Tümmler vor den Augen des staunenden Publikums manchmal bis zu acht Meter hoch aus den Wellen und schlagen Saltos. Allerdings nur dann, wenn sie in der richtigen Stimmung dafür sind. Schwimmen sie in der Nähe der Küste, haben sie jedoch in der Regel Besseres zu tun, nämlich zu fressen. Und dabei wollen sie nicht gestört werden. »Oft weichen sie den Booten dann aus und versuchen, sie durch regelrechte Täuschungsmanöver abzuschütteln«, berichtet Ritter. »In solchen Situationen sollte man sie lieber in Ruhe lassen.« Das Gleiche gilt für ruhende Grindwale. Die dümpeln vormittags oft erschöpft im Wasser, um sich von ihren anstrengenden nächtlichen Jagdausflügen in die Tiefsee zu erholen. Dann haben sie oft nicht die Kraft, auch noch störenden Booten auszuweichen.
»Sie sind hier zu Hause, wir sind zu Gast auf dem Meer«Fabian Ritter, Biologe
Bei den Skippern der Beobachtungsboote liegt also eine große Verantwortung. Doch die Situation vor Ort richtig einzuschätzen, erfordert viel Wissen und Fingerspitzengefühl. Und das ist offenbar längst nicht überall vorhanden. So hat eine Umfrage unter kanadischen Anbietern gezeigt, dass sich die Crews zwar an die Abstandsregeln halten. Sie sind sich aber nicht immer darüber im Klaren, welchen Einfluss die Schiffe tatsächlich auf die Tiere haben. Es sei daher wichtig, die Veranstalter verstärkt in die Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit einzubeziehen, folgern die Studienautorinnen um Alice Affatati vom Nationalen Institut für Ozeanografie und angewandte Geophysik im italienischen Triest. Regelmäßige Weiterbildungen für das Personal könnten da helfen.
»Ein Beobachtungsboot muss sich vor allem so verhalten, dass es für die Tiere vorhersagbar ist«, sagt Fabian Ritter. Den Walen und Delfinen hinterherzujagen oder mitten in eine Gruppe hineinzufahren, verbiete sich da von selbst. Viel besser sei es, sich in einem langsamen, konstanten Tempo zu nähern und den Tieren so viel Raum wie möglich zu lassen. Wie sich die Begegnung dann entwickelt, sollte den Meeressäugern überlassen bleiben. »Sie sind hier zu Hause, wir sind zu Gast auf dem Meer«, fasst der Biologe seine goldene Regel für ein nachhaltiges Whalewatching zusammen. »Wir klopfen freundlich an und schauen, ob jemand da ist und Lust auf Besuch hat.«
Anbieter, die dieses Prinzip beachten, haben aus seiner Sicht schon die Hälfte richtig gemacht. Und der respektvolle Umgang lohnt sich seiner Erfahrung nach oft. Der Biologe ist überzeugt davon, dass Wale und Delfine die Boote in ihrer Nachbarschaft am Motorengeräusch unterscheiden können. Möglicherweise haben sie so gelernt, dass die mit höchstens sechs Knoten dahintuckernde »Ascension« nicht gefährlich ist. Und wenn sich der Eindruck bestätigt, tauen sie im Lauf einer Begegnung oft merklich auf. Dann lassen Mütter ihren Nachwuchs vielleicht nur wenige Meter neben dem Boot schwimmen. Oder ein paar Grindwale bekommen Lust aufs Bugwellenreiten.
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