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Pilotprojekt Grundeinkommen: Was tun wir, wenn wir nicht müssen?

122 Menschen bekommen ab Frühjahr 2021 drei Jahre lang monatlich ein bedingungsloses Grundeinkommen. Eine begleitende Studie soll unter anderem klären, wie sich die Menschen beruflich verändern, wenn sie weniger Geldsorgen haben. Wie aussagekräftig ist ein solcher Feldversuch?
Eine Frau hält einen Geldbeutel mit Scheinen darin in der Hand

Den Sprung in die Selbstständigkeit wagen, die Welt bereisen oder mehr Zeit mit der Familie verbringen: Viele Menschen würden anders leben, wären sie nicht auf ihr Gehalt angewiesen. Laut repräsentativen Umfragen befürworten hier zu Lande etwa die Hälfte der Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Befürworter sind tendenziell jung, gebildet, politisch links – und sie verdienen eher mäßig.

Wie sich eine solche Reform auswirken würde, ist unklar. Das bedingungslose Grundeinkommen wurde bisher in keinem Land dauerhaft eingeführt. In der Schweiz gab es dazu 2016 einen Volksentscheid, in dem sich die Mehrheit dagegen aussprach.

Die einen sehen das Staatsgeld als Gegenmittel für den gesellschaftlichen Burnout, die anderen als Freifahrtschein für Faulheit. Verfechter sind überzeugt: Ein Grundeinkommen fördert Sinn stiftende Arbeit und soziales Engagement und macht den Kopf frei für die großen Fragen unserer Zeit. Und wenn niemand mehr darauf angewiesen ist, systemrelevante Jobs wie Krankenpflege und Müllentsorgung zu wählen, dann müssten diese endlich besser entlohnt werden. Anhänger der Idee glauben gar, das Grundeinkommen könnte Neid, Abstiegsangst und empfundene Ungerechtigkeit mindern und so dem Populismus den Nährboden entziehen. Kritiker befürchten hingegen, dass ein leistungsunabhängiges Grundeinkommen vielmehr dazu führt, dass ein Großteil der Leute aufhört zu arbeiten und die Idee am Ende der Wirtschaft schadet. Zudem stellt sich die Frage: Wie soll das finanziert werden? Ist es am Ende nichts als eine realitätsferne Utopie?

Der Streit um das bedingungslose Grundeinkommen wird emotional geführt. An Stelle von Zahlen und Fakten dominieren Meinungen und Spekulationen die Debatte. Forschung gibt es bislang kaum.

Den ersten großen europäischen Feldversuch machten die Finnen. 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose bekamen in den Jahren 2017 und 2018 steuerfrei und unabhängig von anderen Einkommensquellen 560 Euro im Monat – in etwa so viel wie zuvor Arbeitslosengeld. Der Unterschied: Das Grundeinkommen war an keinerlei Bedingung geknüpft. Es stand den Beziehern frei, ihr Einkommen durch Jobs aufzustocken. Davon erhofften sich die Macher, dass die Empfänger sich stärker um eine Stelle bemühen und auch vorübergehende und schlecht bezahlte Arbeit annehmen würden. Denn der Verdienst kam zum Grundeinkommen hinzu und wurde nicht wie üblich mit dem Arbeitslosengeld verrechnet.

Pro und kontra bedingungsloses Grundeinkommen

Drei Argumente dafür
  • Ein vereinfachtes Sozialsystem spart Kosten.
  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen mindert Armut.
  • Unbeliebte Jobs müssten besser bezahlt werden.
Drei Argumente dagegen
  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht finanzierbar.
  • Es deckt die Lebenshaltungskosten in der Provinz besser ab als in den Großstädten.
  • Niemand würde mehr unbeliebte Jobs übernehmen.

Doch diese Erwartung wurde enttäuscht: Das Grundeinkommen sorgte nicht für mehr Beschäftigung. Allerdings fühlten sich die Erwerbslosen, die das Grundeinkommen bezogen, glücklicher und weniger gestresst als jene mit Arbeitslosengeld. Der finnischen Regierung genügte dies nicht. Sie ließ den Test auslaufen. Ein ähnlicher Versuch fand 2018 und 2019 in der niederländischen Stadt Utrecht statt. Dort nahmen Versuchspersonen, die eine staatliche Unterstützung bezogen, mehr kleine Jobs an, wenn sie das zusätzlich verdiente Geld zu größeren Anteilen behalten durften. Projekte dieser Art sagen allerdings wenig über die Auswirkungen eines echten bedingungslosen Grundeinkommens aus. Dafür müsste man nicht nur Arbeitslose, sondern Menschen verschiedenster Einkommensklassen untersuchen.

Einen solchen Versuch unternahm Kanada schon im Jahr 1974 in der Kleinstadt Dauphin mit dem bisher größten Forschungsprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen. Beim so genannten »Mincome«-Experiment (Manitoba Basic Annual Income Experiment) zahlte die linksliberale Regierung jedem Haushalt des abgeschiedenen Städtchens ein Grundeinkommen, das etwa der Hälfte des damaligen mittleren Familieneinkommens entsprach. Jeder hinzuverdiente Dollar ließ das Grundeinkommen um 50 Cent sinken. Der zunächst für acht Jahre veranschlagte Versuch wurde wegen wirtschaftlicher Turbulenzen nach vier Jahren abgebrochen. Was blieb, waren die gesammelten Daten: Während des Experiments war es zu deutlich weniger Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten gekommen. Außerdem hatten mehr Jugendliche ihren Highschool-Abschluss gemacht als vor und nach dem Versuch.

»Wir haben gelernt, dass die Menschen gar nicht faul werden«
Michael Bohmeyer, Gründer des Vereins »Mein Grundeinkommen«

Die Ergebnisse aus Kanada sind viel versprechend. Aber sind sie auf Deutschland übertragbar?

Im Frühjahr 2021 starten deutsche Forscher selbst einen Test. Sie wollen herausfinden: Was tun wir, wenn wir nicht müssen? Der Verein »Mein Grundeinkommen« verlost bereits seit 2014 regelmäßig Gratisgehälter. Über 600 Deutsche haben so schon ein Jahr lang monatlich 1000 Euro erhalten. Finanziert wird das über Crowdfunding: Immer wenn mit Hilfe privater Spenden 12 000 Euro zusammenkommen, erhält der Nächste aus dem Pool von Bewerbern die Finanzspritze. Wer, entscheidet der Zufall.

Für den Gründer des Vereins Michael Bohmeyer fing alles mit einer jährlichen Gewinnausschüttung aus einem seiner Unternehmen an. Die regelmäßigen Einkünfte empfand er als finanzielle Befreiung und ist seither Feuer und Flamme für die Idee. »Wir haben gelernt, dass die Menschen gar nicht faul werden«, sagt der 36-Jährige. Stattdessen seien die Gewinner zufriedener mit ihrer Arbeit als zuvor, fänden Jobs, die besser zu ihnen passten, machten sich selbständig oder bildeten sich weiter. »Sie haben das Gefühl, das Leben jetzt selbst in der Hand zu haben. Ein Ohnmachtsgefühl wich einem Aufbruchsgefühl. Wir würden gerne wissen, ob sich dieses individuelle Gefühl des Aufbruchs auf eine ganze Gesellschaft übertragen lässt.«

Initiiert vom Verein »Mein Grundeinkommen« startete am 18. August 2020 hier zu Lande die erste Langzeitstudie namens »Pilotprojekt Grundeinkommen«. Der Verein kümmert sich dabei ausschließlich um das Crowdfunding. Die Studie selbst führt ein Forschungsteam durch: Soziologen, Psychologen und Verhaltensökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und der Universität zu Köln. Sie möchten herausfinden, was passiert, wenn die Deutschen jeden Monat ein Gehalt überwiesen bekämen – einfach so.

Der Plan: Eine Gruppe von Menschen soll drei Jahre lang monatlich 1200 Euro erhalten. Die Forscher untersuchen in dieser Zeit Verhalten und Wohlbefinden der Bezieher. Um sicherzustellen, dass etwaige Veränderungen ausschließlich auf das Grundeinkommen zurückzuführen sind, wird parallel eine Kontrollgruppe mit 1380 Personen genauso engmaschig begleitet. Als Teilnehmer bewerben konnte sich jeder in Deutschland gemeldete Bürger über 18. Für die Rekrutierung eines Probandenpools von einer Million Menschen hatten die Organisatoren drei Monate veranschlagt. Am Ende reichten drei Tage. Damit die Zahl der Kandidaten weiter wachsen konnte, durfte man sich noch bis zum 10. November 2020 auf der Website pilotprojekt-grundeinkommen.de registrieren. Insgesamt bewarben sich über zwei Millionen Deutsche.

Barbara Felderer vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim, die nicht an der Studie beteiligt ist, sieht jedoch ein Problem. »Eine solche Selbstrekrutierung kann zu systematischen Verzerrungen in den Daten führen«, sagt die Statistikerin. »Es könnten sich beispielsweise vermehrt Menschen mit geringem Einkommen melden oder solche, die dem bedingungslosen Grundeinkommen von vornherein sehr positiv gegenüberstehen.« Henning Lohmann, Professor für Soziologie und empirische Methoden der Sozialforschung an der Universität Hamburg, hält das Vorgehen der Forscher trotzdem für vertretbar: »Sie haben eine sehr große Gruppe zur Verfügung, aus der sie geeignete Teilnehmer auswählen können.«

»Je weniger Versuchspersonen, desto schwieriger ist es, kleine Effekte zu entdecken«
Henning Lohmann, Professor für Soziologie und empirische Methoden der Sozialforschung an der Universität Hamburg

Die Stichprobe soll repräsentativ sein, also die Bevölkerung in wesentlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Einkommensklasse und Familienstand abbilden. Deshalb wählen die Forscher im ersten Schritt aus den mehr als zwei Millionen Kandidaten 20 000 und schließlich rund 1500 geeignete aus. Am 12. Januar 2021 bekommen alle Bewerber per Mail Bescheid, ob sie zu den 20 000 gehören, die in die engere Auswahl kommen. Nach einer ersten Befragung und Vorauswahl – die Kriterien werden noch nicht verraten – entscheidet der Zufall, wer zu den 122 Glücklichen gehört und wer zur Kontrollgruppe. Bei einer zufälligen Zuteilung der Teilnehmer spricht man von Randomisierung, ein Qualitätsmerkmal wissenschaftlicher Studien.

Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist die Größe der Stichprobe. 122 Probanden erscheinen hier vergleichsweise wenig. »Das hat praktische Gründe der Finanzierbarkeit«, erklärt Studienleiter Jürgen Schupp. Der Sozialwissenschaftler leitete zuvor jahrelang das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), die größte regelmäßige repräsentative Befragung in Deutschland. »Wir beziehen das Geld für die Grundeinkommenszahlungen aus privaten Spenden. Über den Zeitraum der drei Jahre werden so schon mehr als fünf Millionen Euro ausgezahlt.«

Die kleine Stichprobe hat jedoch einen großen Nachteil. »Je weniger Versuchspersonen, desto schwieriger ist es, kleine Effekte zu entdecken«, gibt Henning Lohmann zu bedenken. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass die Forscher auf Grund der kleinen Probandenzahl einen Effekt des Grundeinkommens übersehen. Allerdings: Bestätigt das Experiment, dass sich die Zahlungen auf das Leben der Menschen auswirken, kann man davon ausgehen, dass es sich um einen substanziellen Effekt handelt. Wie groß eine Veränderung sein muss, damit sie sichtbar wird, sei nicht pauschal zu beantworten, sagt Lohmann. Es komme unter anderem darauf an, wie stark sich die Teilnehmer im fraglichen Merkmal, etwa der Arbeitszeit, unterscheiden. Sind sie sehr heterogen, wären kleine Veränderungen bei kleinen Stichproben statistisch schwerer nachweisbar als bei homogenen Gruppen.

Wer kündigt? Wer wechselt den Job?

Jürgen Schupp interessiert vor allem das Verhalten der Probanden auf dem Arbeitsmarkt: Wer reduziert seine Arbeitszeit? Wer kündigt? Wer wechselt den Job? Und wagen mehr Angestellte den Schritt in die Selbstständigkeit? Ein Team um Susann Fiedler vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern wird derweil die psychologischen Auswirkungen des Grundeinkommens untersuchen. Sind die Bezieher womöglich weniger gestresst? Treffen sie gar klügere Entscheidungen? »Sobald man unter Druck steht – sei es durch fehlende finanzielle Mittel oder Zukunftssorgen –, gehen kognitive Kapazitäten verloren«, sagt die Psychologin. Welche Tests die Wissenschaftler genau durchführen werden und welche Ergebnisse sie dabei erwarten, möchten sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten. So wollen sie ein möglichst unverfälschtes Verhalten der Teilnehmer garantieren.

Doch eins ist klar: Auf viele drängende Fragen wird das 1200-Euro-Experiment keine Antwort liefern: »Wie sich die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf Ladenpreise, Mieten und den Arbeitsmarkt auswirken würde, bleibt offen«, gibt Jürgen Schupp zu. Ein weiteres Manko ist die so genannte ökologische Validität der Studie – also wie gut sie die Bedingungen jener Wirklichkeit abbildet, auf die sie Rückschlüsse erlauben soll. Denn anders als bei einer echten Einführung des Grundeinkommens sind die Zahlungen befristet. Spätestens nach drei Jahren versiegt die Geldquelle. Kritiker gehen davon aus, dass daher die wenigsten ihren Job ganz aufgeben werden. Viele, so die Befürchtung, könnten das Geld womöglich einfach sparen oder in lang ersehnte Anschaffungen oder Urlaube investieren. Dazu kommt, dass die Teilnehmer das Geld womöglich anders verwenden, wenn sie wissen, dass sie darüber im Rahmen der Studie Auskunft geben sollen und ihr Verhalten künftige politische Entscheidungen beeinflussen könnte.

»Sozialwissenschaftliche Feldversuche können immer nur Teile der Wirklichkeit experimentell manipulieren«
Henning Lohmann, Universität Hamburg

Und noch einen entscheidenden Unterschied gibt es: Die Teilnehmer erhalten als Einzige in ihrem Umfeld ein Grundeinkommen. Somit fühlt sich die Zahlung eher an wie ein Lottogewinn als eine Grundversorgung. Laut Henning Lohmann kann man das den Machern des Pilotprojekts nur bedingt vorwerfen: »Jede Form von empirischer Forschung unterliegt bestimmten Beschränkungen. Sozialwissenschaftliche Feldversuche können immer nur Teile der Wirklichkeit experimentell manipulieren.«

Schupp und sein Team planen derweil schon die nächsten Schritte. In einem zweiten Versuch, der 2022 an den Start gehen soll, wird das Einkommen von Geringverdienern auf 1200 Euro aufgestockt. Die Frage dahinter: Wie wirkt sich ein Mindesteinkommen im Vergleich zum bedingungslosen Grundeinkommen auf die Teilnehmer aus? 2023 soll das Pilotprojekt wiederholt werden, allerdings mit einer simulierten Besteuerung. Die Probanden erhalten 1200 Euro, diesmal werden jedoch Steuern von 50 Prozent auf alle sonstigen Einkünfte erhoben. Die Differenz wird ausgezahlt. Das soll zeigen, wie ein realistisches Finanzierungskonzept aussehen könnte.

»Die Digitalisierung und der demografische Wandel machen eine Reform des Sozialstaats immer nötiger«, sagt Studienleiter Jürgen Schupp. »Durch die Corona-Pandemie ist die Frage nach einem effektiven System noch drängender geworden.« Das erste Grundeinkommen wird voraussichtlich im Frühjahr 2021 ausgezahlt. Die Ergebnisse wollen die Wissenschaftler 2024 präsentieren.

In der ersten Fassung des Textes hieß es, die Schweizer hätte 2016 über ein Grundeinkommen von 2500 Franken abgestimmt. Tatsächlich handelte es sich bei dem Betrag um einen Vorschlag; die Höhe sollte erst nach dem Volksentscheid festgelegt werden. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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